zurück zum Artikel

Goldbarren

Alltags-Youngtimer Volvo 940 GL

Autos Christian Lorenz
Volvo 940

Es gibt Autos und es gibt Werkzeuge. Die einen sind für Herz und Freude da, die anderen nutzen wir im grauen Alltag für Transportaufgaben oder als Familientaxis. Ganz selten kommt es vor, dass ein Fahrzeug souverän beide Rollen spielen kann. Der Volvo 940 GL ist so ein automobiler Goldbarren

Es gibt Autos und es gibt Werkzeuge. Die einen sind stilbildend, technisch gelungen und für Herz und Freude da, die anderen nutzen wir im grauen Alltag für Transportaufgaben oder als sichere Familientaxis. Diese Werkzeuge haben robust, langlebig sowie wirtschaftlich zu sein. Ganz selten kommt es vor, dass ein Fahrzeug souverän beide Rollen spielen kann. Der Volvo 940 GL ist so ein automobiler Goldbarren: langlebig, eckig, kantig, edel und wertvoll.

Ab 2500 Euro

Und das schönste daran ist, dass ein Volvo 940 GL heutzutage auch durchaus erschwinglich ist. Modelle ab 1993, die wir wegen der besseren Sicherheitsausstattung empfehlen, werden mit Laufleistungen unter 200.000 km schon ab 2500 Euro angeboten. Modelle in besonders gutem Zustand mit wenigen Kilometern und außergewöhnlich kompletter Ausstattung können zwar deutlich mehr kosten, bei 8000 Euro ist aber Schluss. Und dafür bekommt man den letzten echten Volvo mit Hinterradantrieb. Die Volvo 900er-Reihe wurde 1990 vorgestellt. Sie löste die 700er-Reihe als Topmodelle ab. Der bekannten Nomenklatur folgend wurden die Vierzylindermodelle als 940 und die Sechszylindermodelle als 960 bezeichnet. Unter Volvo-Insidern hält sich nach wie vor die inoffizielle Bezeichnung 944/964 für die Limousinen (4-Türer) und 945/965 für die Kombis (5-Türer), die auf eine schon damals längst aufgegebene Nomenklatur bei Volvo rekuriert.

Held des Alltags

602 bis 1702 Liter Kofferraumvolumen (VDA) und ein familientaugliches Platzangebot bei nur 1,75 Metern Fahrzeugbreite sowie einem erstaunlich kleinen Wendekreis machen den 940 Kombi zum Helden des Alltags. Angeblich legt das kurveninnere Hinterrad bei einem Wendemanöver nicht einmal eine ganze Umdrehung zurück. Die großen Fensterflächen und die eckige Form machen ihn auch noch wunderbar übersichtlich. Als Zugfahrzeug ist der Volvo zudem für bis zu 1,9 Tonnen schwere Anhänger geeignet.

Rost ist kein Thema

Um so erfreulicher ist es, dass auch härtester Alltagseinsatz die robusten Karosserien nicht kleinzukriegen vermag. Rost ist eigentlich kein Thema. Allenfalls die vorderen Querlenkeraufnahmen und die Heckklappen sollten überprüft werden. Mit Schönheitsfehlern wie verblichenen Kunststoffen an Rückspiegeln und Stossfängern sollte man sich aber abfinden.

Kritischer inspizieren sollte ein Kaufinteressent das Interieur des großen Volvo. Eine weit verbreitete 900er-Krankheit sind knitternde Türverkleidungen. Relativ günstig reparieren lassen sich noch gebrochene Lordosenstützen an den Vordersitzen, gerissene Seitenablagen, lose Fensterhebermechanismen, klappernde Heckklappenverkleidungen und kaputte Heckscheibenwischer. Teuer kann es aber werden, wenn Sitzheizungen, der Gebläsemotor oder Klimaanlagen nicht mehr richtig funktionieren. Es ist also unbedingt zu empfehlen, bei einer Probefahrt die Klimatisierung ausgiebig zu testen. Auch die Lampen der Heizungsregelung funktionieren oft nicht mehr. Das gilt ebenso für die Instrumentenbeleuchtung und die beleuchteten Symbole im Kombiinstrument. Auch auf die Tankanzeige ist zu achten. Sie ist häufig ausgefallen oder arbeitet zumindest nur noch unzuverlässig. Schäden, Kratzer und hartnäckige Verschmutzungen im Interieur zeugen zudem oft von jahrelangem hartem Alltag.

Lenkung prüfen

Einmal in Fahrt ist der große Volvo eine Entspannungs- und Entschleunigungsschachtel. Der nüchtern-plüschige Innenraum, die weichen Polster und das komfortbetonte Fahrwerk bringen es fertig, dass auch notorische Raser das Cruisen für sich entdecken. Zerschlissene Lenkgetriebe und ausgeschlagene Kugelköpfe können die Freude am entschleunigten Fahren jedoch nachhaltig trüben. Das muss bei einer Probefahrt aufmerksam geprüft werden.

Hoher Verbrauch

Leider ist der Verbrauch trotz der defensiven Fahrweise, zu der der Kombi erzieht, sehr hoch. Man muss nämlich zu den Benzinmotoren greifen, die veralteten Dieselvarianten kann in der heutigen politischen Situation niemand mehr brauchen. Mit den 2,3-Liter-Vierzylindern sind Durchschnittsverbräuche von über 13 Litern leider eher die Regel als die Ausnahme. Das gilt insbesondere für die beiden Turbovarianten mit 135 und 165 PS. Gegen den Sechzehnventiler mit 155 PS spricht, dass er nicht auf die Euro2-Abgasnorm umgerüstet werden kann. Mit dem 135 PS starken Softturbomotor, berichtet ein Redaktionskollege, sei es bei Autobahnfahrten nahezu unabhängig von der Fahrweise unmöglich weniger als elf und viel mehr als 12 Liter zu verbrauchen. Deshalb wurden und werden sehr viele Volvo 940 mit Autogasanlagen nachgerüstet.

Wichtig: Zahnriemenwechsel

Erfreulicherweise sind speziell die frei saugenden Versionen des 2,3-Liter-Vierzylindermotors im Volvo 940 äußerst langlebig und erreichen Laufleistungen von über 500.000 km ohne Probleme. Für die Turbomotoren gilt im Prinzip dasselbe. Vorausgesetzt ist, sie wurden vorsichtig warmgefahren. Auf jeden Fall muss auf die Wechselintervalle der Zahnriemen geachtet werden (je nach Version 75.000 oder 80.000 km). Schon allein deshalb sind nur Fahrzeuge mit Wartungshistorie zu empfehlen. Wichtig ist auch, dass der Vorbesitzer den Ölstand akribisch kontrolliert hat. Ein Ölverbrauch von einem Liter auf 2000 km ist normal. Bei Overdrive- und Automatikgetrieben sollte dann auch gleich geschaut werden, ob regelmäßig das Getriebeöl gewechselt wurde. Die Auspuffanlage erreicht bei Weitem nicht die Langlebigkeit der restlichen Komponenten. Ein Wechsel vom Katalysator stromabwärts kostet mindestens 450 Euro. Kommen noch ein Verteilerfinger und zwei Dichtungen hinzu sind schon 1000 Euro oder mehr fällig. Wenn diese Punkte beachtet wurden, können auch Fahrzeuge mit mehreren 100.000 km Laufleistung bedenkenlos gekauft werden.

Verbesserte Sicherheit ab 93

Der Volvo 940 ist ein Klassiker, der Hinterradantrieb und hohe Sicherheit verbindet. Ab Baujahr 1993 wurde das volvotypische Sicherheitsniveau nochmals erhöht. Diese Modelle verfügen serienmäßig über den Seitenaufprallschutz SIPS. Häufig sind sie mit Airbags und dem integrierten Kindersitz im Fond ausgestattet. Auch sein gleichzeitg klassenloses und leicht alternatives Image spricht für ihn. Zu Preisen zwischen 2500 und 8000 Euro ist der Volvo 940 Kombi ein individuelles Auto und ein ebenso praktisches wie anspruchsloses Werkzeug in einem. So etwas ist ganz selten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3658805