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Autos kommunizieren mit Ampeln, um Verbrauch zu senken und Sicherheit zu erhöhen

Ampel-Koalition: Audi-Projekt "travolution"

rhi/ggo

Im Audi-Projekt "travolution" kommunizieren Ampeln mit den Autos, die auf sie zufahren. Wir konnten erstmals ausprobieren, wie sich das System in der Praxis anfühlt

Ingolstadt, 8. Juni 2010 – An Car-to-X-Systemen haben verschiedene Seiten Interesse, auf öffentlicher ebenso wie auf privatwirtschaftlicher Seite. Der Politik geht es erklärtermaßen vor allem darum, die Anzahl und Schwere der Verkehrsunfälle zu verringern und den Verkehrsfluss zu verbessern, manche fürchten freilich auch die Nutzung anfallender Daten für andere Zwecke, die automatische Erhebung einer Maut gehört dabei noch zu den harmlosen Szenarien. Die Autohersteller interessieren sich auch deswegen für kommunizierende Leitsysteme, weil ihr Wohl mit Erfolgen bei der Verbrauchsreduzierung verknüpft ist. Ein besser fließender Verkehr spart Sprit, das dient zweifellos allen Seiten. 2006 hat Audi gemeinsam mit Partner das Projekt "travolution" gestartet [1], das nun in seine zweite Phase geht. Nachdem es bisher "nur" um eine optimierte Ampelsteuerung ging, kommunizieren in der zweiten Phase die Ampeln auch mit dem Autos. Wir konnten es in Ingolstadt ausprobieren.

Kommunizierende Ampeln

Um die Bedeutung des Projekts zu unterstreichen, macht Audi folgende Beispielrechnung auf: Wenn ein Pkw an einer roten Ampel stoppt, verbraucht er beim anschließenden Beschleunigen etwa 0,02 Liter zusätzlichen Kraftstoff, entsprechend rund 5 g/km CO2. Der Stadtverkehr wird in Deutschland durch etwa 60.000 Ampelanlagen geregelt. Dabei produzieren die 50 Millionen Pkw pro Jahr etwa 15 Millionen Tonnen CO2, zirka 20 Prozent ihrer gesamten Emissionen, argumentiert Audi. In der nun startenden zweiten "travolution"-Phase werden die Ampelanlagen in die Lage versetzt, mit Fahrzeugen zu kommunizieren. Dies erfolgt per WLAN und UMTS und ist derzeit mit 15 Testfahrzeugen an 25 Ampelanlagen in Ingolstadt möglich.

Kabel, WLAN, UMTS

Für die Kommunikation zwischen Ampel und Auto setzt Audi zwei Übertragungstechnologien ein: Zehn Anlagen funken ihre Signale per WLAN in die unmittelbare Umgebung, die restlichen 15 schicken sie auf einen Server, der im Alten Rathaus in der Stadtmitte platziert ist. Zur Datenübertragung dorthin dienen die bereits existierenden Erdkabel. Die Fahrzeuge holen sich die Informationen dann per UMTS, können somit die bestehende Mobilfunk-Infrastruktur nutzen. Jede Ampelanlage versendet permanent ein Paket mit Standard-Infos, in dem sie ihren Aufbau beschreibt, einen Statusbericht über die Farbe der einzelnen Lichtsignale für die jeweiligen Fahrtrichtungen und die Vorschau darauf, wie sie sich aller Voraussicht nach in naher Zukunft verändern werden.

Vorausschauendes Fahren

Aus diesen Informationen errechnet das Steuergerät im Testfahrzeug das sinnvolle Verhalten für den Fahrer. Audi-Vorentwickler Cornelius Menig, der das Projekt leitet, erklärt: "Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihrem A4 allroad quattro gerade 150 Meter von der Ampel entfernt. Das Licht dort zeigt Rot, wird aber in 15 Sekunden auf Grün umschalten. Wenn Sie jetzt mit 50 km/h weiterfahren, werden Sie in den letzten Sekunden der Rotphase an der Ampel eintreffen und stoppen müssen, nur um gleich darauf wieder anzufahren. Falls Sie jedoch Ihr Tempo auf 35 km/h senken, haben Sie bereits Grün, wenn Sie an der Ampel ankommen."

Wir versuchen, das praktisch nachzuvollziehen und stellen fest, dass auf dem Display im Cockpit bisweilen widersprüchliche Angaben angezeigt werden oder keine Reaktion kommt. Allerdings weisen die Ingenieure ausdrücklich darauf hin, dass sich das Projekt noch in der Vorentwicklung befindet. Wird aber eine Geschwindigkeit angezeigt, mit der man noch bei Grün durchkommt, ist diese bisweilen so niedrig, dass man sich als Verkehrshindernis vorkommt, gewöhnungsbedürftig, aber eben nicht zu vermeiden bei vernunft- oder ampelgesteuerter Fahrweise.

Stopp bei Rot

Noch etwas schlauer stellt sich das "smartACC" an, das in zwei Testwagen verbaut ist. Es ist eine Zusatzfunktion der Adaptive Cruise Control, die sich hier allerdings nicht des Radars bedient, sondern der Daten aus der Ampelanlage: Die Ampelanlage sendet den nächsten Schaltzeitpunkt an das Fahrzeug. Der Bordcomputer berechnet daraufhin die optimale Geschwindigkeit. Wenn der Fahrer daraufhin kurz am Lenkstockhebel zieht, bringt dieser Assistent das Auto genau auf dieses Tempo. Damit wird die Haltezeit an der Ampel vermieden.

Eine weitere Funktion: Das System warnt einen Fahrer, der versucht, in eine Kreuzung einzufahren, wenn die Ampel schon Gelb oder Rot zeigt oder umschaltet, während er die Haltelinie überquert. Audi hat dieses Merkmal vor dem Hintergrund entwickelt, dass die Behörden jedes Jahr in Deutschland fast 300.000 Rotlichtverstöße registrieren. Durch derartige Verstöße komme es zu etwa 7500 Unfällen mit verletzten Personen und zu etwa 100 tödlichen Kollisionen, bei denen meist Fußgänger die Opfer sind. Die Rotlicht-Warnung erfolgt je nach Situation in zwei Stufen. Stufe eins ist eine rote Leuchte im Fahrerinformationssystem, kombiniert mit einem Warnton. Auf Stufe zwei folgt ein kurzer Warnruck, das System verzögert das Auto leicht, um den Fahrer dazu zu bringen, selbst auf die Bremse zu treten.

Mehr Komfort

travolution integriert zudem zwei Dienstleistungen, das Online-Bezahlen an der Tankstelle und im Parkhaus. Die einzelnen Schritte werden in beiden Fällen im MMI-Bordmonitor visualisiert. Dort sieht der Fahrer auch, wie viele Parkplätze noch frei sind. Das Auto meldet sich per WLAN an der Zapfsäule beziehungsweise der Schranke an. Die Kredit- oder die Kundenkarte des Fahrers ist im System hinterlegt. Der Fahrer bestätigt die Bezahlung über das MMI und nach dem Tanken oder Parken wird die fällige Summe abgebucht.

Interdisziplinäres Arbeiten

Wie sehr die Arbeiten an Car-to-X-Projekten interdisziplinar verknüpft sind, zeigt der Umstand, dass sich Audi auch im Projekt simTD [2] engagiert, das von drei Bundesministerien gefördert wird. Hier arbeiten seit 2008 fünf weitere deutsche Automobilhersteller, zwei große Lieferanten, die Deutsche Telekom und eine Reihe wissenschaftlicher und öffentlicher Einrichtungen zusammen. Der auf vier Jahre angelegte Großversuch besteht aus fünf Teilprojekten. Audi verantwortet eines davon. Im Großraum Frankfurt am Main, wo der Großversuch simTD stattfindet, werden 20 Ampelanlagen und 400 Fahrzeuge mit der gleichen Technologie wie in Ingolstadt umgerüstet.

Ohne Gleichheit läuft wenig

Die bei simTD untersuchten Techniken sind aus anderen Bereichen von IT und Telekommunikation bekannt und werden dort auf das System Infrastruktur-Auto umgesetzt. Dass dies nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist, hat einen einfachen Grund: Wie auf den Informationsseiten des Projekts treffend geschrieben wird, muss sichergestellt sein, dass "Fahrzeuge Informationen über Fahrzustände oder Risiken auf einer einheitlichen Basis erkennen". Denn die Kommunikation von Infrastruktur und Autos setzt natürlich voraus, dass überall eine funktional vergleichbare Technik verbaut ist, das lässt sich praktisch nur per EU-Verordnung bewerkstelligen. Es würde darauf hinauslaufen, dass ein weitgehend standardisiertes Kommunikationsmodul verbaut wird und auch bei älteren Autos nachgerüstet werden kann, übrigens ein super Geschäft für einschlägige Zulieferer.

Daten-Karussell

Und wenn man sich einmal anschaut, wie bei simTD das Idealbild der Infrastruktur [3] grafisch dargestellt wird, kann einem unbefangenen Betrachter durchaus mulmig werden: Da werden also kräftig von Auto zu Auto und Infrastruktur allerlei Daten übermittelt, so weit so gut. Doch dann tauchen Begriffe auf wie "Observationsdaten", Polizei, Landesmeldestelle, klar – alles logisch und verständlich, aber weit mehr, als man benötigt, um vor der Ampel Sprit zu sparen.

Es liegt im Wesen der Car-to-X-Kommunikation, dass – konsequent zu Ende gedacht – das Auto kein Hort der persönlichen Freiheit mehr sein kann, wie es sich der sattsam benannte "mündige Autofahrer" angeblich oder tatsächlich wünscht. Kurz: Wir sind gespannt, feine Sache, werden aber neugierig verfolgen, wer hier eigentlich mit wessen Daten hantiert.


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https://www.heise.de/-1017640

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Gruene-Welle-fuer-Ingolstadt-475995.html
[2] http://www.simtd.de/index.dhtml/354c0e5cfb30f220501d/-/deDE/-/CS/-/
[3] http://www.simtd.de/dyn/mediaout.dhtml/354c0e5cfb30f220501d/mime/PDFs_Grafiken/technologie/simTD_technologie02.pdf