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Ausfahrt im VW e-Golf

Geladener Bestseller

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
Denken Sie sich die großen e-Golf-Schriftzüge weg, mit denen Volkswagen das Pressefahrzeug beklebt hat – hätten Sie den Stromer erkannt? Der e-Golf trägt eigene Felgen mit Leichtlaufreifen,...

Jetzt entscheiden die Kunden, ob sie mindestens 34.900 Euro für den e-Golf ausgeben wollen. Wird das meist verkaufte Auto der Republik auch in seiner Batterie-elektrischen Version zum Topseller? Eine Ausfahrt im neuesten Golf

Hamburg, 15. August 2014 – Er rollt und rollt, als wolle er niemals aufhören. Um den Stromverbrauch zu reduzieren und damit die Reichweite zu erhöhen, hat Volkswagen dem e-Golf besonders leicht laufende Reifen aufgezogen. Der Lohn der Mühe: Auf einer simulierten Pendelstrecke über 40 Kilometer von der Hamburger Innenstadt in Richtung Tangstedt und zurück konsumierte der e-Golf 12,6 Kilowattstunden (kWh) pro 100 Kilometer. Ein Zehntel weniger, als das Werk angibt. Jetzt entscheiden die Kunden, ob sie mindestens 34.900 Euro für den e-Golf ausgeben wollen. Wird das meist verkaufte Auto der Republik auch in seiner Batterie-elektrischen Version zum Topseller?

Kaum zu erkennen

Das Zeug dazu hat er. Die Qualitäten des Golfs [1] an sich sind bekannt. Konzentrieren wir uns also auf das, was den e-Golf ausmacht. Optisch unterscheidet er sich durch die speziellen Felgen sowie umlaufende blaue Linien, die unter anderem – Toyotas Hybridmodelle lassen herzlich grüßen – das Markenlogo zieren. Am leichtesten ist der e-Golf von vorne zu identifizieren. Das Tagfahrlicht ist auffällig geformt, und die serienmäßigen LED-Hauptscheinwerfer sind nicht nur mühelos erkennbar, sie bringen auch ein überzeugendes Licht in die Dunkelheit.

Im Innenraum ersetzt ein Powermeter den Drehzahlmesser. Wie von anderen Hybrid- und Elektroautos [2] bekannt, markiert das untere Ende des „Charge“-Bereichs den Punkt, an dem nicht mehr in den Generator, sondern in die Scheiben gebremst wird. Der Tachometer reicht bis 160 km/h, wovon 140 km/h als abgeregelte Höchstgeschwindigkeit möglich sind. Die Leistung des Elektromotors von 85 kW (115 PS) sowie das Drehmoment von 270 Nm wären für deutlich mehr gut – aber wir wollen ans Ziel kommen.

Volkswagen gibt die Kapazität der Batterie mit 24,2 kWh an. Wie viel davon tatsächlich frei ist, veröffentlichen die Wolfsburger nicht. Nimmt man aber ähnlich wie bei der Konkurrenz einen Wert von 85 Prozent dieser Bruttokapazität an, verbleiben 20,57 kWh als geschätzte nutzbare Strommenge.

Die Wetterbedingungen auf der mehrtägigen und mehrere Hundert Kilometer langen Testfahrt in und um Hamburg waren exzellent, also positiv im Sinn des e-Golf. Bei 20 bis 25 Grad Außentemperatur musste die Klimaautomatik, die durchgehend im Automatikbetrieb auf 22 Grad eingestellt war, wenig arbeiten. Darüber hinaus war es nahezu windstill, und geregnet hat es nicht – fast nicht, aber dazu später mehr. Von den drei Fahrmodi wurde ausschließlich „normal“ genutzt, das Fahrlicht schaltete sich über den Sensor ein, und auch auf elektrische Verbraucher wie das Radio oder das Navigationssystem [3] wurde nicht verzichtet.

Wechselnden Fahrwiderstände

Der eingangs genannte Wert von 12,6 kWh / 100 km war reproduzierbar, wobei alle Tempolimits genau eingehalten wurden. Daraus ergibt sich eine Reichweite von 163 Kilometern. Aber Vorsicht – das kann sich schnell ändern! Zum Beispiel, wenn die Strecke kürzer oder viel kürzer ist als die hier zurück gelegten 40 Kilometer. Denn bei jedem Start muss der Innenraum entweder aufgeheizt oder abgekühlt werden, und die dafür notwendige Energie schlägt sich auf der berüchtigten Fahrt zum Bäcker prozentual stärker nieder. So benötigte der e-Golf für eine sieben Kilometer lange Tour zum Hafen 16,4 kWh / 100 km, und auf eine zwei Kilometer langen Ultrakurzstrecke früh morgens bei 13 Grad Außentemperatur stieg der Bedarf auf 25,2 kWh / 100 – entsprechend 82 Kilometern Aktionsradius.

Der mit 11 kWh / 100 km niedrigste Verbrauchswert kam im Windschatten eines 87 km/h schnellen Lkw zu Stande. Bei konstant 100 km/h (alle Werte per GPS ermittelt) über die Autobahnen A255, A1 und A39 Richtung Lüneburg und zurück lag der Verbrauch unter optimalen Bedingungen bei 12,5 kWh / 100 km (errechnete Reichweite 165 km). Mit Richtgeschwindigkeit waren 22,8 kWh / 100 km notwendig (entsprechend 90 km).

Wie sensibel Batterie-elektrische Autos auf veränderte Bedingungen reagieren, zeigte der einzige Testtag, an dem Regen und Wind aufkamen – schon sprang der Verbrauch bei 100 km/h von 12,5 auf 15,7 kWh. Also ein gutes Viertel mehr. So ist es eben, wenn der Antriebsstrang effizienter ist als beim Verbrennungsmotor: Für jeden Fahrwiderstand gibt es die direkte Quittung.

Kaufinteressierte sollten bei der Berechnung der Reichweite zwei zusätzliche Faktoren im Hinterkopf haben: Volkswagen gibt acht Jahre oder 160.000 km Garantie auf die Batterie. Hierbei gelten 70 Prozent der ursprünglichen Kapazität als Verschleißgrenze. Die maximal mögliche Distanz reduziert sich also im Lauf der Zeit. Wobei die Erfahrung mit den bisher ausgelieferten Batterie-elektrischen Autos der Wettbewerber Hoffnung machen, dass die Alterung eher langsam als schnell eintritt.

Ladegeschwindigkeit unbefriedigend

Der zweite Faktor ist die Reduktion der Ladegeschwindigkeit an schnellen CCS („Combined Charging System“)-Säulen: Bis 80 Prozent des Ladestands geht es zügig nach vorne, dann wird radikal auf eine Leistung von 3,6 kW gebremst. Übersetzt: Wer hofft, sich analog zu Teslas Superchargern irgendwann an CCS-Säulen durch Deutschland hangeln zu können, sollte beachten, dass ihm faktisch nur 80 Prozent von der in Abhängigkeit der Abnutzung verbleibenden Batteriekapazität zur Verfügung stehen – das sind dann vielleicht nur 15 kWh.

Überhaupt, das Laden: Es ist ein unrühmliches Kapitel beim e-Golf und in diesem konkreten Test. Zu Hause in der Garage gibt es entweder eine Steckdose mit 2,3 kW Leistung (Tankzeit laut VW: 13 Stunden) oder eine Wallbox, mit der 3,6 kW (VW: acht Stunden) möglich sind. Die Limitierung der Wechselstrom-Ladeleistung auf diesen Wert macht den e-Golf zum Schnarchlader. Er braucht die Nacht oder den Arbeitstag, um wieder ganz bei Kräften zu sein. Jeder Renault Zoe beweist, dass es besser geht [4]. Er kann theoretisch mit bis zu 43 kW laden, wobei realistisch 22 kW das Übliche sind, egal ob im Carport oder an der öffentlichen Ladesäule. In einer Stunde ist der Renault voll – der e-Golf blockiert den Platz für viele weitere Stunden.

Daran ändert auch die Gleichstrom-Schnellladefähigkeit nach CCS (Aufpreis: 600 Euro) lebenspraktisch wenig. Denn in Hamburg, der immerhin zweitgrößten Stadt Deutschlands, stehen bisher nur zwei öffentliche CCS-Punkte [5]. Einer war defekt, und der zweite schaffte nur zwischen 16,2 und 17,6 kW.

Das ist nicht nur weit entfernt von den 50 kW, die bei CCS eigentlich drin sein sollten, das ist auch weniger, als es Renault Zoe (Serie), Smart ed (Aufpreis) und Tesla Model S (11 kW Serie, 22 kW gegen Aufpreis) mit den kostengünstig zu Hause installierbaren AC-Wallboxes zulassen. So kann es nicht weitergehen. Die Batterieentwicklung schreitet voran, die Kapazitäten werden in Kürze wachsen, und spätestens dann müssen höhere Ladegeschwindigkeiten her.

„Assist-Paket“

Zurück ans Steuer des e-Golf, zurück zum Fahren. Es soll nochmal erwähnt werden für alle, die noch nie ein Elektroauto bewegt haben: Der Antrieb an sich ist einfach überlegen. Antrittsstark, ruckfrei und komfortabel-leise zoomt man sich durch den Verkehr. Dabei lässt sich die Rekuperation mehrfach verstellen. Sie ist allerdings selbst in der kräftigsten Position noch erheblich geringer als bei BMW i3 [6] oder Tesla Model S [7]. Der vom i3 bekannte Einpedalbetrieb ist hier nicht zu machen.

Stattdessen ist der Nullpedalbetrieb eine echte Empfehlung. Im „Assist-Paket“ (inkl. Multifunktionslenkrad für 1490 Euro) ist unter anderem die automatische Distanzregelung ACC enthalten. Sie übernimmt die Längsführung des Autos, also Beschleunigen und Bremsen, inzwischen mit großer Verlässlichkeit. Fehlfunktionen? Im Test keine einzige. Selbst Radfahrer am Fahrbahnrand wurden zuverlässig erkannt. Okay, das Wort vom Nullpedalbetrieb ist überzeichnet, weil bei jedem Anfahren das Strompedal angetippt werden muss, und rote Ampeln sowie stehende Fahrzeuge erkennt das System ebenfalls nicht. Aber es ist ein echter Komfortvorteil, wenn man sich einfach von diesem Assistenten durch den Verkehr ziehen lässt.

Irritierend ist, wie wir bereits bei der ersten Vorstellung des e-Golf bemerkt hatten, die Auslegung der Kriechfunktion. Also der Frage, ob das Fahrzeug nach dem Loslassen des Bremspedals von alleine losrollt oder nicht. Volkswagen hat hier eine aus Ingenieurs-Sicht erstklassige Lösung eingebaut, die aber von den Fahrern, die sich nicht für Autos interessieren, keineswegs intuitiv verstanden wurde.

Nach dem Starten des e-Golf ist die Kriechfunktion einmalig an. Logisch, denn wer will nicht wegfahren, nachdem er den Schlüssel gedreht hat? Nach dem ersten Halt aber bewegt der e-Golf sich nicht mehr von alleine. Ebenfalls logisch, weil der Elektromotor dann – zum Beispiel an einer Ampel – nicht gegen die Bremse arbeiten muss, was effizienter ist. Fährt man dann los, ist die Kriechfunktion bis 10 km/h wieder in Betrieb. Schließlich könnte man in einer Stop & Go-Situation sein. Überschreitet man diese Geschwindigkeit, ist es wieder vorbei mit dem Kriechen. Beim Rückwärtsfahren wiederum fährt der e-Golf grundsätzlich los, wenn das Bremspedal gelupft wird – genauso schlüssig.

Zusätzliche Verwirrung kommt dann durch das ACC ins Spiel. Nach einem kompletten Halt fährt der e-Golf wie beschrieben hier nicht von alleine los, sondern muss durch Antippen des Pedals dazu motiviert werden. Weil aber schon Vorausfahrende, die sich sehr langsam bewegen, vom System erkannt werden, entsteht hin und wieder der Eindruck, der e-Golf hätte bereits gestanden und würde nun doch von selbst wieder beschleunigen. Haben Sie alles verstanden? Für technikaffine Menschen sicher kein Problem. Für das Gros der Autofahrer sind aber Lösungen wie im BMW i3, wo es grundsätzlich keine Kriechfunktion gibt, oder im Tesla Model S, wo sie über das Display ein- und ausgeschaltet werden kann, leichter begreifbar.

Wärmepumpe: ab Herbst bestellbar

Ein typisches Diskussionsthema der e-Golf-Community ist der Einsatz einer Wärmepumpe. Der Testwagen hatte eine, auch wenn sie wegen des Sommerwetters selten oder nie gebraucht wurde. Laut Volkswagen-Pressestelle wird die Wärmepumpe ab Herbst zum Preis von circa 950 Euro bestellbar sein.

Wem wird der e-Golf das Leben schwer machen? Zuerst wahrscheinlich dem Nissan Leaf [8]. Dem gleicht er konzeptionell, also bei Größe, Fahrleistungen, Batteriekapazität und Lademöglichkeit, wie ein Ei dem anderen, und der Volkswagen ist die eindeutig modernere, neuere und in vielen Belangen überlegene Konstruktion.

Ob der e-Golf dem BMW i3 Konkurrenz machen kann, darf dagegen bezweifelt werden. Zum ähnlichen Grundpreis von knapp 35.000 Euro ist das Thema Elektroauto zu unterschiedlich interpretiert worden. Hier der dynamische, weil leichte BMW mit der konsequent durchgeführten Grundidee eines Stromautos. Dort der e-Golf mit seinen traditionellen Tugenden, übergewichtig (eigene Messung ohne Fahrer und Gepäck: 1540 kg) und behäbig, aber schlicht sehr gut gemacht. Beide werden ihre individuelle Kundschaft ansprechen.

Und es ist gut und wichtig, dass Volkswagen den e-Golf baut. Denn die Zahl der angebotenen Batterie-elektrischen Autos ist weiter zu niedrig. Die Produktvielfalt fehlt. Genau genommen ist in der Kompaktklasse nur der Nissan Leaf als Alternative vorhanden. Es gibt keinen Opel e-Astra, keinen Hyundai e-i30, keinen Peugeot e-308 und bei Ford nur einen Focus electric [9], der zu teuer ist. Nach der Sommerpause wird die Produktion in Wolfsburg hochgefahren. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Zulassungszahlen entwickeln.


Die Volkswagen AG hat die Überführung des e-Golfs auf einem Hänger bezahlt. Der Autor hat die Fahrenergiekosten sowie die Gebühren für die Autowaage getragen.


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[2] http://www.heise.de/autos/thema/Elektroautos
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/25-Jahre-Navigationssystem-Zeige-mir-den-Weg-2281046.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/AC-DC-2163722.html
[5] http://ccs-map.eu/
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Ein-Fahrbericht-aus-dem-BMW-i3-mit-Range-Extender-2105699.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Stromschnellste-2063319.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Nissan-Leaf-im-Test-Der-mit-dem-e-Golf-tanzt-2093937.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Schmetterlinge-statt-Baumschule-1895686.html