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Die neue Reifentestanlage AIBA von Continental

Automatisch bremsen

News Ronald Partsch

Continental hat zu Beginn des Jahres die weltweit erste vollautomatische Reifentestanlage in Betrieb genommen. AIBA: Automated Indoor Braking heißt die Anlage in einer 300 Meter langen und 30 Meter breiten Halle auf dem Gelände des Contidroms unweit von Hannover

Hannover, 27. August 2013 – Continental hat zu Beginn des Jahres die weltweit erste vollautomatische Reifentestanlage in Betrieb genommen. AIBA: Automated Indoor Braking heißt die Anlage in einer 300 Meter langen und 30 Meter breiten Halle auf dem Gelände des Contidroms unweit von Hannover. Nur wenigen Gazetten war das eine Meldung wert. Erst als im April eine hochrangige Jury aus Autoentwicklern und Motorjournalisten den Hannoveranern den „Vehicle Dynamics Innovation Award“ verlieh, horchten die Medien auf.

Jährlich können dort bis zu 100.000 Reifen auf trockener, nasser und vereister Fahrbahn ganzjährig auf ihre Bremswegeigenschaften geprüft werden. Im Gegensatz zu klassischen, von Testfahrern durchgeführten Messungen, wird in der AIBA ein unbemanntes Auto vollautomatisch auf 120 km/h beschleunigt und auf auswechselbaren Straßenoberflächen abgebremst. Fünf verschiedene Fahrbahnstreifen mit unterschiedlichen Reibwerten stehen zur Wahl. Sie lassen sich hydraulisch unter die Reifenspur schieben. Auf dem bisherigen Testareal, gab es lediglich zwei Fahrbahntypen. So sind ganzjährig wetterunabhängige Tests möglich, denn die Halle ist vollklimatisiert. Das Jury-Mitglied Lorenzo Faccinetti vom italienischen Magazin „Auto“ kommentierte das zum Beispiel so: „Mit dieser Anlage hat Continental das Hauptproblem beim Reifentest gelöst: das Wetter.“

Viele Profiteure

Dass Continental nun seine Testkapazität verdoppeln und die Präzision der Messergebnisse erhöhen kann, ist natürlich ein Vorteil für die Entwickler. Wir wollen nicht hoffen, dass ganz nebenbei einige der bewährten Testfahrer ins Heer der Arbeitslosen abgeschoben werden. Der Begriff „Automatisierung“ weckt ja sofort den Verdacht: Da verlieren Leute ihren Job!

Doch neben den Entwicklern gibt es weitere Profiteure: Wir und alle „reifentestenden“ Automagazine profitieren von der AIBA. Abgesehen von den großen Automobilclubs testen Redaktionen auf den Arealen der Reifenhersteller. Nur sie verfügen über große homogene Flächen, künstliche Bewässerungsmöglichkeiten, Messgeräte und ausreichend Personal. Auffallend häufig gewinnt dabei die Gastgebermarke. Nicht etwa, weil bei den Tests geschummelt oder geschoben wurde. Nein, der Gastgeberreifen fühlt sich auf seinem Untergrund eben wohler als ein Konkurrenzgummi. Auf ihm wurde er optimiert. Auf ihm ist er spitze. Michelin-Testfahrbahnen unterscheiden sich von denen die beispielsweise Bridgestone oder Continental nutzen. In der neuen Conti-Testhalle kann der Reifentester aus fünf unterschiedlichen Fahrbahnbelägen mit variierenden Reibwerten wählen. Da ist dann unter Umständen einer dabei, der dem Gastgeberreifen gar nicht so schmeckt. Er kann nicht auf allen Belägen die Nummer eins sein.

Formel-1-Gucker werden vielleicht glauben, dass der auf die Bahn bröselnde Gummiabrieb einen verfälschenden Einfluss haben könnte. Aber das ist kein Problem. ABS-Bremsungen hinterlassen nur geringe Spuren, außerdem werden die Testbahnen permanent penibel gereinigt.

Knackpunkt Temperatur

Lorenzo Faccinetti hat mit seinem Statement den Finger in die Wunde gelegt: Die Brauchbarkeit von Einzelmessungen hängt vor allem vom Wetter ab. Ändert sich im Verlauf eines Testtages die Temperatur um – sagen wir mal - acht Grad, wirkt sich das durchaus auf die Ergebnisse aus. Dann nimmt man am Schluss der Testreihe den ersten Reifensatz noch mal ran und vergleicht die Abweichung. Da der Temperaturverlauf ohnehin aufgezeichnet wird, kann man die Messwerte rechnerisch korrigieren. Schlimmer trifft’s die Tester, wenn sie zum Beispiel beim „Trockenbremsen“ nicht an einem Tag fertig werden. Da kann das Team seine Werte vom Vortag vergessen, falls die Temperaturen am zweiten um mehr als 10 Grad steigen oder fallen, weil auch andere Parameter wie etwa die Luftfeuchtigkeit nicht mehr passen. In der neuen AIBA-Testhalle macht das Wetter keinen Ärger mehr.

Testfahrer können in der neuen Conti-Anlage die künstliche Klimatisierung aber auch für zusätzliche Prüfungen nutzen, zum Beispiel einer Sommerreifengeneration bei lediglich +10 Grad Celsius auf den Zahn fühlen. Jeder Reifen ist – im Rahmen seiner Möglichkeiten - nur in einem definierten Temperaturbereich wirklich gut. Und Sommerreifen sollten, wie der Name schon sagt, in der erfreulichen Jahreszeit zwischen 10 und 40 Grad Fahrbahntemperatur ordentlich greifen. Lässt einer bei 10 Grad bereits deutlich nach, ist im Spätherbst in den Morgenstunden Vorsicht geboten. Dann weiß der Reifentester, dass die Entwickler bei den teuren Silica-Zutaten [1] gespart haben, die maßgeblich für die Erweiterung des Arbeitsbereichs verantwortlich sind.


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https://www.heise.de/-1943823

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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Winterreifenentwicklung-im-Zeichen-des-EU-Reifenlabels-1727214.html