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Zentrale Tacho

BMW Motorrad: Das Connectivity-Paket

Motorrad Clemens Gleich
BMW Motorrad: Das Connectivity-Paket

Die aktuelle Generation von Motorrad-Tachos bringt ein TFT-Display mit einem Bluetooth-Hub unter den Hut. Auf dem Smartphone läuft dann eine Navigations-Software, deren Anweisungen auf dem Tacho als Abbiegeanweisungen stehen. Wir beleuchten BMWs System

Seit August 2017 gibt es bei BMW ein neues Tachosystem beim Topseller GS, eine 6,5-Zoll-TFT-Bildschirm-Einheit vom Zulieferer Bosch. Bei der 1250 GS [1], der R 1250 R und der R 1250 RS baut BMW es serienmäßig ein, bei der F 850 GS (inkl. Adventure) kostet es als Segment-Kampfpreis 150 Euro Aufpreis, bei der F 750 GS [2] kostet es 515 Euro, bei den Großrollern C 400 X und GT kostet es 615 Euro. Wir gehen davon aus, dass BMW den Tacho künftig schrittweise für weitere Modelle anbieten wird.

Verbesserte Audioqualität

Die Tachoeinheit soll außer Daten anzeigen als Bluetooth-Hub Smartphone [3], Helm, Anzeige und Armaturen am Lenker miteinander verbinden, damit der Fahrer zum Beispiel einen eingehenden Anruf per Lenkerknopf annehmen kann. Grundsätzlich sollte jede standardgetreue BT-Einheit funktionieren, am besten getestet hat BMW natürlich das eigene Headset in den BMW-Helmen.

Nachdem Kollege Sebastian Bauer bei seinem Test der BMW F 850 GS [4] eine schlechte Audioqualität bei der Musikwiedergabe im Nolan-Headset bemängelte, [5] habe ich zum Test an einer aktuellen R 1250 GS [6] Adventure daher BMWs Systemhelm 7 verwendet. Damit stimmt die Audioqualität. Bei Kaufinteresse würde ich also empfehlen, das eigene BT-Headset beim BMW-Händler an der Wunschmaschine mit Musik auszuprobieren. Was nur mit dem BMW-Helm geht: Lautstärkeeinstellung direkt über das Drehrad am Lenker.

BMWs Connectivity haben wir uns herausgegriffen, weil wir es noch nicht ausführlich beleuchtet haben, und weil es für den Status Quo steht: In dieser Art bieten andere Hersteller entweder bereits ihre eigenen Systeme an (siehe KTM 790 Adventure [7]) oder sie planen Vergleichbares oder sie bieten zumindest einen Bluetooth-Hub im Cockpit an, der den Helm mit Smartphone-Musik und Telefon verbindet (zum Beispiel Ducati). Bei BMW kommt wie bei KTM noch Turn-by-Turn-Navigation mit Anzeige auf dem TFT-Bildschirm und Ansage im Helm dazu.

Navigation

Die eigentliche Navi-Software läuft dabei auf dem Smartphone unter iOS [8] oder Android [9]. Der Kunde lädt die „BMW Connected App“ herunter, verbindet sie per Bluetooth-Kopplung mit der Tachoeinheit und lädt dann bei Bedarf das Offline-Kartenmaterial von Here Maps herunter, wenn er sich die Daten für Online-Navigation sparen will oder im schlecht abgedeckten Gebiet fahren will (etwa im Mobilnetz-Entwicklungsland Deutschland). BMW verlangt für die App nichts, zahlt die Lizenzgebühren für die Karten also selber, beziehungsweise: integriert die Kosten in den Preis des „Connectivity“-Pakets. Das senkt die Hemmschwelle, die App auszuprobieren. Bei KTM kostet die App aufgrund der in die App-Shops verlegten Lizenzgebühren 9,90 Euro. Entscheiden Sie selber, welche Variante der Zahlung Ihnen besser gefällt.

Verbunden

Das Pairing funktionierte auf einem gut abgehangenen iPhone 5s sofort. Andere Kollegen berichten aber, es kann je nach verwendeter Hardware, je nach Betriebssystem auch bei BMW hakeln. Ob es mehr oder weniger hakelt als bei KTM, können wir ohne Großversuch nicht beurteilen. Auch diese Kompatibilität sollten Interessenten also besser vorher beim Händler ausprobieren, wobei die Ergebnisse des Experiments natürlich für das nächste Smartphone irrelevant werden.

Wenn alles so reibungslos läuft wie in unserem Versuch, leuchtet das Menü „Navigation“ so hell auf wie die anderen verfügbaren Menüpunkte. Ausgewählt zeigt es ein kleines Menü an (siehe Bilder) oder bei am Smartphone gestarteter Navigation gleich schon den nächsten Abbiegehinweis. Wie in anderen Turn-by-Turn-Lösungen zeigt der Bildschirm Pfeile, schräge Pfeile, Spuranweisungen und Kreisverkehr-Symbole an. Daneben steht ein Entfernungsbalken.

Zusammen mit der Ansage im Helm funktioniert das ganz gut, solange die Routenführung klar und übersichtlich bleibt – also bei der Navigation über Landstraße, Autobahn und klaren Verkehrsführungen in Städten. In engen, gewachsenen Stadtgebieten kommt es vor, dass Anweisungen und Symbole nicht eindeutig sind und man falsch abbiegt. Da helfen dann nur mehrere Versuchsanfahrten. Live-Verkehrsdaten gibt es nicht. Deshalb hält sich letztendlich der Zusatznutzen gegenüber schlicht „Google Maps im Ohr“ in Grenzen, denn auch die Ansagen der Google-Stimme sind exakter.

Noch eine Navigation

Für die Tourenmotorräder bietet BMW über das „Connected“-Navi hinaus den „Motorrad Navigator VI“ an, ein vollwertiges Motorrad-Navi, das über dem Tacho auf einen Halter gesteckt wird. Früher ließ BMW den Zulieferer Garmin dessen Zumo-Reihe leicht abwandeln für ihren Motorradnavigator, doch seit der 5. Generation findet die Entwicklung zwar noch bei Garmin, aber auf einem Ast eigens für BMW statt.

Von den Zumos unterschieden sich die BMW-Geräte seit jeher durch eine bessere Anbindung ans Fahrzeug. Die blieb erhalten: Der Navigator zeigt viele interessante Daten vom Fahrzeug-Bus an, darunter sogar eine maximale Schräglage aus der IMU, wenn das Gerät vom Fahrzeug genommen wird in der Routenzusammenfassung. Wie Sie auf den Fotos sehen können, taugt der zweite Bildschirm also beizeiten ohne aktive Zielführung auch als Anzeigefläche für diese Fahrzeugdaten. Sie brauchen das Feld nicht suchen: Eine Anzeige für die Momentanschräglage gibt es nicht.

Verdeckt

Da der GS-Fahrer sich gerne in die Rasten stellt, ein Hinweis: Im Stehen verdeckt der Motorradnavigator bei den meisten Fahrergrößen und den meisten Montagewinkeln die Tachoeinheit zumindest halb. Wenn ich mich tief stelle, kann ich die Geschwindigkeit noch lesen, was für mich in Ordnung ist. Ich stelle mich aber auch nur für Fotos in die Rasten.

Die GUI des Geräts blieb etwa auf der des Garmin Zumo 660 stehen. Vom unteren Display auf das obere zu schauen ist daher immer ein bisschen wie ein Bildschirmwechsel von Windows 10 auf Windows XP. Garmin hat seit dem Zumo 660 zwei neue, moderner gestaltete Nutzerschnittstellen für die eigenen Motorradnavis entwickelt. BMW war das offenbar nicht wichtig im Pflichtenheft.

Wie gut oder ungut Garmins Routenführung funktioniert, haben wir anderswo beleuchtet. Der Navigator kann (wie die Turn-by-Turn-App) automatisch kurvenreiche Strecken finden, was so lala funktioniert. Garmins neueres „Adventurous Routing“ mit dreistufigem Schieberegler hat es nicht in die BMW-Software geschafft. Dafür gibt es über eine App Live-Verkehrsdaten – am Motorrad weniger wichtig wie im Auto, aber dennoch gern genommen, vor allem bei den breiten Koffern der GS Adventure.

Der Motorradnavigator hört außer auf den resistiven Touchscreen auch auf Eingaben von der linken Lenkerarmatur (Menütaste länger drücken zum Wechseln zwischen Tacho und Navigator). Das funktioniert vor allem beim häufigeren Wechsel von Navi-Anzeige zu Fahrzeug-/Routen-Info sehr gut, die Hand bleibt am Lenker.

Es gibt jedoch ein grundsätzliches Problem mit BMWs zweigeteiltem System: Sowohl das Navi als auch die Tachoeinheit sind dazu gebaut, als Bluetooth-Hub zu arbeiten. Also muss sich der Kunde entscheiden, welchen der beiden er benutzt. Beide Geräte als Hub geht nicht. Ansagen vom Navigator über die BT-Verbindung des Tachos zu hören funktioniert ebenfalls nicht. Hier hätte BMW durchaus per Kabel die Ansage in den Tacho schleifen können, tat das aber nicht. Mit der für Touren sinnvollen Ausstattung des Navis bleibt also ein zweifaches System, das BMW nur wenig besser integriert, als der Kunde selbst die Kombination des Tachos mit einem moderneren Motorrad-Navi schafft. Da ist noch Luft nach oben.

Hardware mit Drehdrücksteller

Eine Besonderheit bei BMW besteht schon lange im Bedienkonzept. Seit Jahren haben Münchens Tourer einen Drehring aus Plastik am linken Lenker, der sich auch kippen lässt. Damit schaltet sich der Fahrer recht intuitiv durch die Menüstruktur. Dieses Eingabesystem übernimmt BMW von den Tourern an alle Fahrzeuge mit dem Connectivity Display. Zum kippenden Drehrad kommt ein Kippschalter direkt daneben. Wenn man sich BMWs Bedienstruktur als zweidimensionale Matrix voller Funktionsfliesen vorstellt, bewegt der Kippschalter die Auswahl in vertikaler Richtung und das Drücken am Ring in horizontaler Richtung. Ein Drehen am Ring dreht durch Auswahlen auf der aktuellen Fliese, also zum Beispiel die Navigations-Optionen.

Die Idee gefällt mir seit jeher, bei der Umsetzung hätte es meiner Ansicht nach geholfen, sich auf einen hierarchischen Menübaum zu beschränken, denn dann hätten die Freiheitsgrade des Drehrades mit seinen zwei Kipprichtungen (für Ja/Nein) ohne den zusätzlichen Kippschalter ausgereicht. So ist nicht immer intuitiv klar, ob ich den Menü-Kippschalter oder das Rad brauche. Beim Steuerkreuz von KTM mag man den ein oder anderen Klick mehr brauchen, fragt sich jedoch nie, welchen Knopf man jetzt drücken soll.

Trotz dieser kleineren Kritik gefällt mir die Hardware insgesamt gut. Vor allem das 6,5-Zoll-Display ist toll. Es lässt sich aus jeder Richtung gut ablesen und Bosch fand einen guten Kompromiss für die matte Oberflächenbeschichtung: Der Bildschirm bleibt scharf und brillant, spiegelt aber wenig. Die Grafikleistung reicht für schön flüssige Menü-Animationen und die Helligkeit hinter dem Windschild der GS für Sommertage. Selbst unter freiem Himmel auf der unverkleideten R 1250 R fanden Kollegen keinen Grund zur Klage.

Fazit

Systeme wie dieses werden wir schrittweise an immer mehr Motorrädern sehen, denn wenn ein Hersteller es einmal entwickelt hat, lässt es sich leicht anpassen auf viele Modelle, die statt eines eigenen Tachos dann nur noch eigene Graphics brauchen. Mit dem Tacho erhalten sie auch die Fähigkeiten für Telefon, Musik und Navi.

Letztlich wird und muss es jedoch auch am Motorrad darauf hinauslaufen, dass nicht jeder Hersteller sein eigenes Turn-by-Turn-Gewurschtel aus Here Maps heraus baut, sondern die Leute einheitlich Android Auto oder Apple Car Play [10] auf dem Display verwenden können. Honda und Harley-Davidson haben vorgemacht, dass es geht: Die Goldwing und Harleys Boom!-Box [11] für die Touring-Modelle bieten jeweils Apple Car Play an, mit Android Auto schon in den Entwicklungsplänen. Wenn Infotainment-Systeme mit solchen Fähigkeiten sich auch am Motorrad durchsetzen, denken Google und Apple vielleicht auch über Namen nach, die nicht „Auto“ sagen …


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[3] https://www.heise.de/thema/Smartphones
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[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Lautsprechersysteme-fuer-Motorradhelme-im-Vergleich-4418605.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-BMW-R-1250-GS-4359631.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-KTM-790-Adventure-4448651.html
[8] https://www.heise.de/thema/ios
[9] https://www.heise.de/thema/android
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Was-bieten-Android-Auto-und-Apple-Carplay-4475656.html
[11] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausprobiert-Harleys-Infotainment-System-Boom-Box-GTS-4328505.html