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Das feste Versprechen

Batterieentwicklung All Solid State

Technik Christoph M. Schwarzer
Batterieentwicklung All Solid State

In All Solid State Zellen ersetzt ein fester den flüssigen Elektrolyten. Sie versprechen eine höhere Energiedichte, weniger CO2-Emissionen in der Produktion und geringere Kosten. Nüchtern betrachtet zeigen sich Zweifel am schnellen Serienstart, vielleicht gelingt der Durchbruch gar nicht

All Solid State ist der zurzeit wohl meistdiskutierte neue Ansatz der Batterieforschung. Statt eines flüssigen Elektrolyten soll ein fester verwendet werden. Solche Zellen sollen eine höhere Energiedichte haben, weniger CO2-Emissionen in der Produktion verursachen und kostengünstiger sein. Bei nüchterner Betrachtung gibt es aber Zweifel am schnellen Start einer Serienfertigung, vielleicht gelingt der Durchbruch auch gar nicht.

Bei Toyota jedenfalls ist man zuversichtlich: „Wir sind in ein neues Zeitalter eingetreten“, stellt Shigeki Terashi fest. Und weiter sagt der Manager des japanischen Autokonzerns im Juni: „Der Fortschritt hat unsere Erwartungen übertroffen.“ Zu den olympischen Spielen 2020 in Tokio wird Toyota den Prototyp einer Batteriezelle mit Festelektrolyt vorstellen. Und am Ende dieses Sportlerjahres plant man zusammen mit dem Altpartner Panasonic die Gründung eines Joint Ventures zur Entwicklung dieses Zelltyps. Anders formuliert: Auch Toyota ist weit entfernt davon, das Labor zu verlassen. Volkswagen kann sich den Serieneinsatz ab 2025 vorstellen. Und BMW glaubt erst nach 2030 daran.

Heutige Traktionsbatterien haben Zellen, deren Aufbau sich ähnelt: Der flüssige Elektrolyt ist das inaktive Medium, in dem Lithium-Ionen zwischen der Kathode und der graphitbasierten Anode wandern. Der Elektrolyt muss stabil sein, billig und sicher, er muss schnell leiten können und soll nicht korrosiv gegen Aluminium und andere Verpackungsmaterialien sein. Die aktuell verwendeten Elektrolyte sind zwar bei erhöhter Raumtemperatur brennbar, sie sind flüchtig und giftig. Trotzdem lässt sich angesichts der Problemlosigkeit der vielen Millionen im Einsatz befindlichen Zellen nicht von einer Gefahr sprechen.

Fester Elektrolyt ermöglicht Lithium-Metall-Anode

Der entscheidende Vorteil eines festen Elektrolyten ist nicht allein der Ersatz des flüssigen. Vielmehr ermöglicht ein Festelektrolyt eine Anode aus Lithium-Metall. Darum geht es im Kern, und daraus resultieren auch die Potenziale bei der Energiedichte: Die gravimetrische (in Wh/kg) könnte um 40 Prozent und die volumetrische (in Wh/l) um 70 Prozent steigen. Was das in absoluten Zahlen bedeutet, lässt sich nur ungefähr sagen: Auf Zellebene sind zurzeit 260 Wh/kg bei 600 Wh/l guter Durchschnitt. Vorstellbar sind also über 350 Wh/kg und über 1000 Wh/l. Zwar ist die Energiedichte nicht die größte Herausforderung bei den Batteriezellen, sondern die Kosten. Wenn ein Elektroauto bei gleicher Kapazität leichter wird oder im vorhandenen Bauraum mehr Kapazität untergebracht werden kann, ist das ein ökonomischer Gewinn und eine ökologische Verbesserung.

Der Einsatz einer Lithium-Metall-Folie würde zugleich die CO2-Emissionen in der Produktion rapide absinken lassen, weil hier kein Trocknungsvorgang notwendig ist. Wie gut dieses hochreaktive Metall allerdings in der Handhabung ist, bleibt eine der ungelösten Herausforderungen.

In der Forschung wird entweder mit anorganischen Festelektrolyten wie Keramiken und Gläsern experimentiert. Sie bieten eine angemessene Leitfähigkeit und sind mechanisch robust. Ihre Kontaktwiderstände aber sind noch zu hoch – es fließt zu wenig Strom. Dennoch gelten sulfidisch basierte anorganische Keramiken aktuell als Favorit bei der Leitfähigkeit. Die Wissenschaft untersucht zugleich organische Festelektrolyte wie Polymere. Diese haben weniger Kontaktwiderstand, aber eine zu geringe Leitfähigkeit. Über eine experimentelle Anwendung einer Polymer-Folie informiert unser Technik-Bericht zu diesem Thema [1].

Batteriezellen sind ähnlich Reifen ein Kompromiss [2], bei dem ein Vorteil in einem bestimmten Aspekt mit dem Nachteil in einem anderen erkauft wird. Egal, ob fester oder flüssiger Elektrolyt: Die Ziele sind hohe Energiedichte (gravimetrisch und volumetrisch), hohe Leistungsdichte [3], geringe Kosten, hohe thermische Unempfindlichkeit sowie eine hohe zyklische und kalendarische Lebensdauer.

Konventionelle Zellen entwickeln sich zeitgleich weiter

Welche Zelltypen auch immer in den Labors getestet werden – sie befinden sich im Wettlauf mit der evolutionären Entwicklung [4] in Produktion befindlichen Lithium-Ionen-Zellen. Diese bleiben nicht stehen. Bei ihnen zeigt sich eine stetige Veränderung der Kathodenzusammensetzung: Am weitesten verbreitet sind Nickel-Kobalt-Mangan-Kathoden. Ihr Mischungsverhältnis wird in Zahlen wie NCM 111 angegeben. Hierbei zum Beispiel hat jedes der drei Metalle einen Anteil von einem Drittel. Dieses verschiebt sich zurzeit zu NCM 622 und weiter zu NCM 811.

Jede Veränderung hat Folgen. So sinken mit dem Zurückdrängen von Kobalt die Kosten. Zugleich steigt der Nickelanteil, und die thermische Empfindlichkeit wird größer. Die Steuerungssoftware, also das Batteriemanagementsystem, und die Hardware müssen dem angepasst werden. So dürfte eine aktive Flüssigkeitskühlung bald zum Standard gehören. [5] Diese wiederum kostet Geld und auch etwas Bauraum; sie erhöht die Komplexität des nur scheinbar simpel aufgebauten Elektroautos. Die Stärke in einem Aspekt kann also durch andere Notwendigkeiten zunichte gemacht werden.

Was für das Festhalten am flüssigen Elektrolyten spricht, ist die auf den Endverbraucher ausgerichtete Großindustrie: Man will und muss die Prozesse unbedingt im Griff haben. Der Besitzer würde es kaum verzeihen, wenn sein Elektroauto eine innovative Zellchemie hat, aber zum Beispiel in relativ kurzer Zeit viel Kapazität und folglich Reichweite verliert.

Die gnadenlose Kostenlogik der Industrie hat auch etwas für sich: Der Zwang, alles bei einer gewissen Mindestqualität immer billiger zu machen, führt automatisch zu einem hohen Entwicklungsdruck. Man wird in Wissenschaft und Herstellerlabor alles testen, was denkbar ist. Und vielleicht sind es tatsächlich die Festelektrolyt-Batterien, die statt Trippelschritten einen Sprung ermöglichen.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Kuerzer-laden-und-weiter-fahren-dank-leitender-Polymer-Folie-4291160.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-gedrehte-Latsch-1885968.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Batteriesysteme-der-Zukunft-Quantenspruenge-2544447.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Trends-der-Batterieentwicklung-4131424.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Neue-Batterien-in-Entwicklung-4316157.html?seite=2