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Der Live-Stream von der North West 200 macht neidisch

Besser im Nordwesten

Klartext Clemens Gleich
Weil ich 2011 persönlich vor Ort bei der North West 200 war, verwende ich heimlich meine eigenen Bilder von damals. Merkt ja keiner. Außer Hauptsponsor Vauxhall.

Warum haben wir keine BBC? Wahrscheinlich, weil wir das ganze Konzept "Coolness" nicht verstehen. Während also Vauxhall den Markennamen mit der North West 200 boostet, parkt Opel einmal um, aber nur virtuell im Kopf

Am Wochenende habe ich etwas gesehen, das mich in bester Heftig.co-Manier sehr betroffen gemacht hat, obwohl es mein Leben letztendlich doch nicht ändern wird: Den Live-Stream des irischen Roadracing-Events "North West 200 [1]" von der BBC. Der Live-Stream ist toll. Die BBC hat jedes Jahr einen Helikopter oben in der Luft und zwei Männer mit Mikrofonen in einem kleinen Kabuff unten am Grandstand. Der Heli hat eine Gyro-stabilisierte Tele-Kamera, die essenziell für die Zuschauer unten ist, die deren Aufnahmen auf großen Schirmen (oder im Live-Stream) sehen. Denn die Strecke der NW200 ist grob betrachtet ein Dreieck. Die Rennen bestehen also aus kurzen Ausbremsmanövern und hektischem Liniensortieren vor den engen Stellen und langen Windschattenduellen auf den noch längeren Geraden.

Die Geraden sind so lang, dass selbst die Superbikes mit über 200 PS am Hinterrad sich entweder im Windschatten ansaugen oder von eben so einem Ansauger gnadenlos durchgereicht werden. Alte 80er- oder 125er-Piloten kriegen Pipi inne Augen vor lauter Rührung, wenn sie das sehen. Und dann geht es bei diesen Straßenrennen ja um nichts. Außer ums Gewinnen. Also geht es eigentlich doch um alles. Die Brüder William und Michael Dunlop kämpften gegeneinander, als ginge es um ihr Leben oder gegen die Engländer. Später berühren sich James Cowton und Ryan Farquhar bei einem Überholmanöver auf einer Geraden, was zu einem ausgedehnten Schlagabtausch per Ellenbogen bei über 250 km/h führt, den (ich denk mir das nicht aus) der alte Hase Jeremy McWilliams nutzte, um sich an den beiden Kampfhähnen vorbeizusaugen, alles wie in Irland üblich im strömenden Regen! Wenn ich Fingernägel kauen würde, hätte ich nach diesem Samstag keine mehr.

Aber wir haben halt keine BBC

Warum also betrübt mich dieser Event? Aus einem Mediengrund: Weil wir in Deutschland keine BBC haben. Die BBC zeigt immer wieder, dass ein höchst bürokratisches Staatsorgan trotz aller Widrigkeiten immer wieder das Beste in der Medienwelt tut. Ich meine: Die North West 200 ist kein staatstragend riesiges Event wie Fußball, den fast jeder im Land sehen will. Sie ist ein kleines, lokales Juwel, eins für eine spezielle Zielgruppe. Keine Ahnung, in welcher Form es die NW200 ins Fernsehen schaffte, aber ein Live-Stream ist das, wonach wir nischigen Rennsport-Fans seit Ewigkeiten fragen. Wir wollen ja nur das Rennen sehen. Wir müssen unsere Vorlieben gar nicht per Rundfunk jedem anderen aufs Auge drücken, wie es andere, genauso absurde Sportarten gern tun. Nur: Einen Live-Stream an einem deutschen Motorrad-Event wird es auch die nächsten 50 Jahren nicht geben. Schon gar nicht von den Öffentlich-Rechtlichen. Bis die irgendwas außer Fußball live übertragen, was irgendjemand außer Fußballfreunden live sehen will, ist die Hölle längst drei Mal überfroren.

Jedes Jahr seit der technischen Machbarkeit schaue ich mir die Seiten der "Internationalen Deutschen Motorradmeisterschaft [2]" (die heißt wirklich so dämlich) an, ob es eine Übertragung für Fans gibt. Jedes Jahr ist das umsonst. Jedes Jahr ist das obendrein frustrierend, denn die Rennen der IDM werden per Kamera aufgezeichnet. Am Geld liegt es also nicht. Das streng geheime Material darf nur offenbar keiner sehen. Wenn der Prakti irgendwann Zeit zum Schneiden hat, gibt es auf Youtube eine Zusammenfassung. Das ist aber der Geheimhaltung kaum schädlich, denn dann hat schon jeder vergessen, dass es da ein IDM-Rennen gab. Demnächst werden alle vergessen, dass es eine deutsche Motorradmeisterschaft gibt.

Deutsche Gründe vernichten meinen deutschen Pass

Die Gründe dafür sind so deutsch, dass ich meine Haare ausreißen und als Zunder für meinen Pass verwenden will. Die IDM befürchtet wohl irgendwie, dass eine kostenlose Übertragung ihnen das Geschäft mit den Zuschauern vermiest. Moment mal: Welches Geschäft mit welchen Zuschauern eigentlich? Zu den Rennen stehen nur die Unbeteiligten auf den Tribünen, die müssen: geplagte Ehefrauen von Rennfahrern. Der Rest sind Team-Mitglieder. Beide Gruppen haben eh Team-Pässe, die haben sich ohnehin schon blöd gezahlt, da ist nicht mehr zu holen. Ja, anwohnende Rennsportfreunde sind dort in homöopathischen Mengen zu sehen. Aber den zahlenden Zuschauer, der quer durch die BRD ins Niemandsland um den Lausitzring fährt, wo nachts die Wölfe in den leeren Dörfern heulen, und der das dann nicht mehr täte, weil es einen kostenlosen Stream gibt, den möge mir die IDM doch mal präsentieren. Dass neue Zuschauer durch eine Übertragung dazukommen, daran hat die IDM offenbar keinerlei Interesse. Man möchte vielleicht unter sich bleiben.

Der zweite betrübliche Grund ist genauso deutsch: Wir können Coolness einfach nicht. Kleine Gedankenübung: Denken Sie an ein cooles deutsches Auto. Nicht ein tolles, wegweisendes, besonders gutes oder schnelles, sondern ein cooles; Auswahl: die gesamte Zeit seit der Erfindung des Reitwagens. Lassen Sie sich Zeit. Deshalb verstehen wir Coolness oft nicht einmal, wenn sie uns die Miete bezahlt, was im Fall der IDM für manche Menschen gelten müsste. Motorradrennen sind cool, spannend, generell unterhaltsam. Eine lange Zeit hat der Energy-Drink-Hersteller Relentless die TT und die NW200 gesponsert. Dieses Jahr ist Vauxhall der Hauptsponsor des Rennens, also der Opel Großbritanniens. Vauxhall möchte, dass die Coolness der NW200 auf ihre Marke abfärbt, einer der stärksten Gründe für Sponsoring überhaupt.

Opels Deutsche Motorradmeisterschaft

Wie toll wäre es, wenn es die "ODM" gäbe, Opels Deutsche Motorradmeisterschaft? Opels PR-Leute organisieren einen Live-Stream der vorhandenen Kameras nebst zwei fähigen Kommentatoren. An der Rennstrecke stehen als Opel-Blitze gestaltete fahrbare Funktürme, die kostenloses WLAN von Feuerwehrschlauch-Bandbreite über das Gelände gießen. Jeder Zuschauer vor Ort kann sich damit in jede Kamera einklinken. Ich möchte doch sehen, was Max Neukirchner macht, der soll dann auf meinem Helm unterschreiben. Es gibt einen VIP-Shuttle-Service in Amperas [3], Probefahrten im Äddäm [4] und im Rahmenprogramm des Rennens können Interessenten einen Astra OPC [5] auf der Rennstrecke erleben – zum Beispiel als Beifahrer von besagtem Herrn Neukirchner.

Aber das ist natürlich Spinnerei. Sowohl die IDM als auch Opel sind hoffnungslose Fälle auf dem Gebiet "Menschen erreichen". Schade. Gut, dass es noch andere Veranstaltungen gibt. Zum Beispiel das Fischereihafenrennen: Roadracing, mitten in Dschörmänie! Mit allen Verrückten der Szene und Fischbrötchen! Das soll sich ein mediengewandter Zuckersuppenhersteller vorknöpfen und mir einen Live-Stream nach Stuttgart legen: "Fischereihafenrennen – fueled by Monster Energy" Oder man spricht mit Kiyaiundai. Die probieren ja gerne und viel. Sonst übe ich mich in "Squirrel" sagen und schleiche mich heimlich in Großbritannien ein unter einer neuen Identität, um ein neues Medienleben zu beginnen. Meinen Pass und meine Haare habe ich ja bereits verbrannt.

PS: Simon Andrews erlag nach seinem Crash am Samstag am Montag seinen Verletzungen im Krankenhaus. Er starb im Kreise seiner Liebsten, denen wir alle Kraft der Welt wünschen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2193482

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.northwest200.org/
[2] http://www.superbike-idm.de/
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Opel-senkt-den-Preis-fuer-den-Ampera-1952795.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Endlich-modern-2112242.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Asphaltbeisser-Opel-Astra-OPC-im-Fahrbericht-1624198.html