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Klartext

Betrug ist nicht genug

Klartext Detlef Grell
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Die CO2-Grenzwerte gefährden laut Volkswagen-Chef Diess 100.000 Arbeitsplätze. Er nutzt das bei Populisten so beliebte, einfache Feindbild: Die EU ist schuld! Lässt sich wirklich irgendjemand weismachen, dass er seinen Laden sehenden Auges vom World-Champion zur Provinz-Klitsche runterwirtschaftet?

Sollte die EU zu scharfe CO2-Grenzwerte für Autos beschließen, sind bei VW laut Volkswagen-Chef Diess etwa 100.000 Arbeitsplätze in Gefahr.

Lieber Herr Diess, Sie meinen das womöglich ernst, oder? Was würden Sie sagen, wenn die Bundeskanzlerin Ihnen antwortet: „Jau, das kann schon mal passieren, wenn ein hochbezahltes Top-Management so viel Mist baut wie in Ihrem Fall. Ich hab wirklich die Faxen dicke, dass man die Regierung regelmäßig mit Arbeitsplatzverlusten erpressen will, weil man den eigenen Job nicht gebacken kriegt. Wir haben genug Fachkräftemangel, um das aufzufangen. Wir schaffen das.“ Sie wird es vermutlich nicht sagen.

Aber Herrn Diess' Formulierung ist ja noch viel raffinierter. Gemäß dem Motto „Das Volk liebt einfache Antworten“ hat er auch gleich ein beliebtes Feindbild parat: Die EU ist schuld!

Leben wir in Polen? In Ungarn? Oder Italien? Nein, wir leben in einem demokratisch regierten Land mit Pressefreiheit, hohem Lebensstandard, Wohlstand, Innovationskraft – und wie das ohne die EU aussähe, können Sie derzeit am Brexit-Spektakel studieren. Ersparen Sie mir bitte den Shitstorm zu kleinlichem Kram wie eckigen Tomaten und Glühbirnenvorschriften: In einer Demokratie ist es dem Wähler erlaubt, dagegen vorzugehen. Ganz legal. Es würde Sie auch niemand daran hindern, eine Partei gegen Massenverdummung durch soziale Netzwerke zu gründen, nur so als Beispiel.

Das Beste oder nichts aus deutschen Landen

„Gut aufgestellt beim Thema Globalisierung“ seien ihre Firmen, behaupten die Führer der deutschen Automarken mit stolzgeschwellter Brust. Premium allerorten, nur das Beste oder nichts aus deutschen Landen. Und als große „Global Player“ sind sie natürlich strikt gegen Protektion. Wenn folglich so ein Trumpel daherkommt und die Einfuhrzölle für Autos von 2,5 auf 25 Prozent erhöhen will, ist das ein Affront und purer Protektionismus. Dass die EU seit Jahren Einfuhrzölle von 10 Prozent erhebt? Das diente doch nur ganz unprotektionistisch dazu, die asiatische Billig-Konkurrenz einzubremsen.

Und wenn dann gar „die EU“ den CO2-Ausstoß auf ein Maß senken möchte, das – , ja, was eigentlich? Böse, unbequem, teuer oder ernstlich nicht hinzukriegen ist? Vielleicht sagt es mal jemand aus der Industrie konkret statt nur rumzueiern. Dann ist selbstverständlich die Regierung in der Pflicht [1]. Und das ist höchstens ein wenig Lobbyismus, aber doch kein Protektionismus.

Unsere Bundeskanzlerin verdient so um die 250.000 Euro im Jahr, je nach Quelle und einbezogenen Extras etwas mehr oder weniger. Sie ist für das Wohl und Wehe von gut 82 Millionen Deutschen in vielerlei Hinsicht verantwortlich.

Von den Top-Managern der deutschen Auto-Industrie verdient keiner weniger als 1 Million Euro pro Jahr. Herr Diess wird zwar möglicherweise nur ein auf 10 Millionen Euro gedeckeltes Einkommen erhalten (Herr Winterkorn bekam angeblich 15 Millionen), doch er wird den Job deswegen wohl nicht hinschmeißen.

Wahrscheinlich fragen sich viele Leser, ob so viel Geld gerechtfertigt ist. Aber da bin ich ganz ohne Sarkasmus und Sozialneid der Meinung, ja, das ist gerechtfertigt. Denn wenn die Führungsriege eines Weltkonzerns einen richtig guten Job abliefert und Zehn- oder gar Hunderttausenden Angestellten ein auskömmliches Leben beschert, dann ist ihr Salär in Ordnung.

Die Probleme fangen an, wenn die Führungsriege keinen guten Job macht. Manchmal wird dann ein Bonus verringert, eher selten eine Top-Kraft entlassen. Und wenn doch, dann noch seltener ohne beeindruckende Abfindung. Aber meistens passiert gar nicht viel, denn das Top-Management ist ja so gut wie nie für Pannen verantwortlich.

Pannensicherer Vorstand

Denn interessanterweise verschiebt sich bei Problemen die Argumentation sehr stark: Jetzt sind generell die äußeren Umstände Schuld. Der Markt hat ein Fahrzeug „nicht angenommen“. Es war elend teuer, laut, hässlich, aber es war der Markt (wer immer das auch ist), der sich verweigert hat. Für falsche Produkt-Entscheidungen ist niemand aus der Vorstandsetage zuständig, nur für die richtigen.

An den zu scharfen Grenzwerten ist daher ganz folgerichtig die EU Schuld.

NEIN, ist sie nicht!

Die Verschärfung von Abgasnormen steht seit Jahrzehnten weltweit auf jeder Umweltschutz-Agenda, das weiß nun wirklich jeder. Aber unsere höchstbezahlten Top-Manager wollen nun von Entwicklungen überrascht worden sein, die niemanden sonst überrascht haben.

Aber es ist ja viel bequemer – und leider auch entsetzlich bewährt –, die Politik zu bequatschen, den deutschen Premiumherstellern Sonderrechte zu erkämpfen, weil sie doch die weltweit geilsten Autos bauen.

Strenge Grenzwerte sind natürlich saublöd, wenn man schon zuvor seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und bei den Diesel-Abgaswerten lieber zu Betrug als zu effizienten Lösungen gegriffen hat. Übrigens finde ich den Begriff „Affäre“ in diesem Zusammenhang nicht nur verharmlosend, sondern irreführend, weil da (meines Wissens) niemand eine intime Beziehung mit Dieselmotoren oder Abgasen hatte.

Noch blöder ist es, wenn man sein Lieblings-Zugpferd Diesel, das man dringend zur Reduktion der Flottenverbräuche [2] braucht, so in Verruf gebracht hat, dass man nun selbst sauberste Diesel nur noch schwer verkauft bekommt. Denn „Flottenverbrauch“ ist ja nur eine andere Ausdrucksweise für die CO2-Grenzwerte, um die es hier geht. Eine halbwegs objektive Diskussion über sinnvolle Grenzwerte und tatsächliche Ursprünge von Stickoxid, Feinstaub und den Nutzen der Sperrung einzelner Straßen ist seither auch nicht mehr möglich.

Sagte ich gerade „sauberste Diesel“? Himmel, sowas kann man tatsächlich herstellen? Ja, jetzt stehen sie in den Läden.

Und das heißt: Wir Autofahrer sind nicht nur betrogen, sondern auch nach Strich und Faden belogen worden. Allein mit der bereits vorhandenen Technik [3] hätte man – konsequent eingesetzt – auch vor ein paar Jahren schon die Grenzwerte sicher einhalten können, und mit den neuesten Motoren unterbietet man plötzlich sogar Euro-6d-Werte, die erst 2020 fällig werden.

Warum hat man das seinerzeit nicht gleich gemacht? Zu teuer? Als wenn das nicht sowieso der Käufer hätte bezahlen müssen.

Totschlagargument aus der Kapitalismus-Steinzeit

Nun, Herr Diess, Ihre Aussage, dass zu geringe Grenzwerte hunderttausend Arbeitsplätze gefährden könnten, ist natürlich als aufmunternder Schlag in die Magengrube aller Bürger gemeint, die Zukunftssorgen plagen. Wenn man aber auch nur zwei Sekunden darüber nachdenkt, ist es eine der unverschämtesten Drohungen überhaupt. Mit diesem plumpen Totschlagargument aus der Kapitalismus-Steinzeit wollen Sie im Jahr 2018 ernsthaft vom eigenen und dem Versagen der ganzen Branche ablenken? Lässt sich wirklich noch irgendjemand weismachen, dass ein Firmenboss seinen Laden sehenden Auges vom World-Champion zur Provinz-Klitsche runterwirtschaftet?

Zugegeben, man sollte nicht zu optimistisch sein: Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich ein Firmen-Gigant wie VW nach drei Jahren immer noch mit Händen und Füßen dagegen sträubt, betrogene Kunden angemessen zu entschädigen. Vielleicht sollte die Politik doch mal ein Exempel statuieren und so einen Riesenladen den Bach runtergehen lassen, damit sich etwas ändert.

Andererseits: Wenn die deutsche Autobranche so premium ist, wie sie sich selbst gern besingt, dann sollte sie auch mit technischen Problemen fertig werden, ohne pleite zu gehen. Und an die Vorstände: Niemand hat gesagt, Ihr Job sei leicht. Deshalb wird er ja so gut bezahlt. Also nicht rumjammern, nicht Mama Merkel anbetteln, sondern machen. Ihr schafft das!


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Wozu-noch-Staat-2868921.html
[2] https://www.bmwi.de/Redaktion/Migration/DE/Downloads/Publikationen/co2-emissionsreduktion-bei-pkw-und-leichten-nutzfahrzeugen-nach-2020-abschlussbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Bosch-verbessert-Diesel-Abgaswerte-dramatisch-4036230.html