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Fahrbericht Kawasaki Ninja 300

Bonsai-Racer

Fahrberichte Ingo Gach

Sportlichkeit ist keine Frage der Größe sagte sich auch Kawasaki und entwarf eine kleine, aber feine Sportmaschine. Die Ninja 300 gefällt nicht nur der Jugend.

München, 16. Mai 2013 – Sportlichkeit ist keine Frage der Größe. Sagte sich auch Kawasaki und entwarf eine kleine, aber feine Sportmaschine. Die Ninja 300 gefällt nicht nur der Jugend.

Hoher Sympathiefaktor

So leicht lässt sich das Auge täuschen. Auf Fotos sieht die Ninja 300 aus wie ein großes Superbike. Steht man jedoch im realen Leben vor ihr, schrumpft die Dimension schlagartig. Alles eine Nummer kleiner als erwartet. Aber es soll ja schließlich auch Kawasakis Einsteigermodell für die sportlich ambitionierte Jugend darstellen. Ein Bonsai-Racer aus Japan mit hohem Sympathiefaktor.

Wer hinter die schnittige Verkleidung guckt, entdeckt nicht vier Zylinder, wie bei den großen Ninja-Modellen, sondern nur deren zwei mit einem Bohrung-Hub-Verhältnis von je 62 mal 49 mm. Bevor jetzt jemand zum Taschenrechner greift: Das macht exakt 296 Kubikzentimeter Hubraum, immerhin 47 Kubikzentimeter mehr als das Vorgängermodell Ninja 250 R. Es scheint sich bis Japan herumgesprochen zu haben, dass etwas mehr Leistung von den Kunden durchaus begrüßt wird.

Sportbike ohne Altersbegrenzung

Nicht, dass die Vorgängerin erfolglos gewesen wäre: Allein in Europa wurden 14.000 Stück verkauft. Aber nur rund ein Drittel der Kunden war unter 24 Jahre alt. Zu Kawasakis Überraschung hatte man mit der kleinen Ninja eine große Zielgruppe im durchaus gesetzten Alter angesprochen.

Also bohrte man den Motor auf. Klar, hätten die Ingenieure es dabei belassen können, aber anscheinend hatte sie der Ehrgeiz gepackt, ein richtig modernes Aggregat zu erschaffen. Der Zylinderkopf ist neu konstruiert und in den Zylindern arbeiten leichtere Kolben mit flacherem Boden. Geringe bewegte Massen ermöglichen hohe Drehzahlen und so verträgt das kleine Motörchen bis zu 13.000/min. Herrlich!
Die Zylinder aus Aluminiumdruckguss besitzen keine Laufbuchsen mehr, sondern beschichtete Laufbahnen mit voraussichtlichen Vorteilen bei Wärmeableitung und Verschleißfestigkeit. Die gewachsenen Einlassventile bieten weniger Widerstand. Heraus kamen schließlich 39 PS bei 11.000/min.

Drehorgel

Wem jetzt wegen der Leistungsangabe gelangweilt gähnt, sei gesagt: Die kleine Ninja ist verblüffen flott. Der Trick liegt darin, sie im oberen Drehzahldrittel zu halten. Um den Fahrer dabei zu unterstützen, spendierte Kawasaki ihrer Kleinen eine im Rennsport erprobte Anti-hopping-Kupplung. Der Fahrer darf also hemmungslos die Gänge im Getriebe runtersteppen, und trotzdem wird es bei einrückender Kupplung keinen bösen Schlag im Antriebsstrang geben. So kann sich der Pilot vor der Kurve voll auf das Einlenken konzentrieren.

Außerdem bekam die 300er noch ein neues Kurbelgehäuse, ein geändertes Wasserpumpenlaufrad und eine größere Ölwanne zur besseren Kühlung des Motors. A propos Kühlung: Speziell gestaltete Leitbleche führen die Hitze des Motors und der Kühlerlüftung vom Fahrer weg. Wer schon mal im Stau vom eigenen Motor gegrillt wurde, wird über diese Maßnahme dankbar sein. Um die Vibrationen – beim Paralleltwin immer ein Thema – nicht zum Fahrer durchdringen zu lassen helfen Gummilager.

Frech und flott

Zugegeben, Durchzug ist nicht die Stärke der Ninja 300, aber das war bei dem Hubraum auch nicht zu erwarten. Ihre Trumpfkarte heißt Handlichkeit. Zwar ist sie mit 174 Kilo für diese Klasse kein ausgesprochenes Leichtgewicht, aber ihre geringen rotierenden Massen im Motor und ein günstiger Schwerpunkt machen sie zum Landstraßenschreck. Den Spurt aus dem Stand auf Tempo 100 absolviert sie in 6,1 Sekunden, ihr Topspeed liegt bei immerhin 170 km/h. Dazu kommt noch ein verstärkter Rahmen mit einer höheren Verwindungssteifigkeit als bei der alten Ninja 250 R. Auf der Hinterachse dreht sich nun ein etwas breiterer Reifen in der Größe 140/70-17.

In der Kombination ergibt sich ein höchst unterhaltsames Motorrad. Kurve anvisieren, ohne Kraftaufwand abwinkeln und direkt wieder in die nächste Kehre werfen. So einfach kann Motorradfahren sein. Natürlich heißt es, immer viel Schwung aus der Kurve mitzunehmen und möglichst wenig zu bremsen, aber dann lässt sich selbst der fünfmal stärkeren großen Schwester ZX-10R auf kurvenreicher Strecke Paroli bieten.

Licht und Schatten

Spätestens hier beweist die Bremse ihre Effektivität, auch wenn sie nicht zur Referenzklasse gehört. Dafür verfügt sie aber serienmäßig über ABS. Das Fahrwerk ist straff abgestimmt und funktioniert auch ohne Einstellmöglichkeiten ausgesprochen gut. Noch ein Talent offenbart die Ninja 300 erst nach längerer Fahrt: Sie ist bequem. Damit ist nicht gemeint, dass es der Fahrer mehr als dreißig Minuten ohne Krampf im Rücken auf dem Sportbike aushält.

Nein, es kann fast schon von Tourentauglichkeit gesprochen werden, zumindest was die Sitzposition angeht. Dank relativ hoch angebrachter Lenkerstummel bleibt der Oberkörper einigermaßen aufrecht und der Kniewinkel ist für Piloten bis etwa 1,85 m angenehm. Lediglich das dünne Sitzpolster und die niedrige Scheibe verhindern echte Langstreckenqualitäten. Wer die möglichen 500 km Reichweite der Ninja nonstop ausnützen will, muss also gutes Sitzfleisch haben.

Ein Frauenmotorrad?

Zum Bonsai-Racer passt auch die Sitzhöhe von 785 mm. Das soll nicht heißen, dass sie nur für Bonsai-Fahrer gedacht wäre, aber Kurzbeinige freuen sich natürlich, mit beiden Fußsohlen den Boden zu erreichen.

Wer jetzt etwas von einem Frauenmotorrad murmelt, hat Recht und doch wieder nicht. Fakt ist, dass die Ninja 300 leicht beherrschbar und nicht zu groß geraten ist. Der Frauenanteil unter den Käufern der Ninja 250 R lag in Europa bei 22 Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass mehr als Dreiviertel aller Kunden Männer waren. Die hätten die kleine Ninja aber bestimmt nicht gekauft, wenn sie keinen Spaß mit ihr hätten.

Endgültig attraktiv wird die Ninja 300 durch ihren Preis von 5595 Euro. Wo bekommt man noch soviel Motorrad für so wenig Geld? Wer es etwas wilder angehen will, kann die Ninja 300 auch gleich für 6295 Euro in der „Performance“-Ausführung bestellen. Die beinhaltet eine etwas höhere, getönte „Bubble“-Scheibe, wie sie im Rennsport verwendet wird, einen Alu-Endtopf von Leo Vince, Soziusabdeckung, aufgeklebte Felgenringe und ein Tankpad – und sieht noch mehr nach großem Superbike aus.


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