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Mehrmarken-Recycling

Chrysler Sunbeam: Der aus der Patchworkfamilie

News Bernd Kirchhahn
Chrysler Sunbeam

Sein Vorgänger, der Hillman Imp, wurde Dritter bei der Wahl zum Auto des Jahres. Der Chrysler Sunbeam selbst holte im letzten Produktionsjahr als Talbot Sunbeam Lotus die Rallye-WM. Dazwischen: Niedergang

Es braucht einen Enthusiasten um die Marken Hillman, Sunbeam und Humber zu kennen. Oder Commer, Singer und Karrier. Und einen Briten vom Zuschnitt eines Rowan Atkinson, um jetzt noch deren erfolgreichsten Modelle zu benennen. Wobei es die Bezeichnung „die drei am wenigsten erfolglosen“ exakter treffen würde. Gemeinsam ist den Marken eine bemitleidenswerte Niederlagenserie was die Entwicklung von Fahrzeugen angeht und die Grausamkeit der britischen Automobilindustrie der damaligen Zeit, solche Marken nicht einfach würdevoll eingehen zu lassen. Diese Ansammlung der Erfolglosigkeit war unter dem Dach der Rootes-Gruppe zusammengeschlossen.

Ein Auto und ein Markenpotpourri

1963 witterte die Gruppe so etwas wie Morgenluft. Denn deren Hillman Imp – ein Auto, inspiriert von Mini, aber mit Heckmotor - wurde bei der Wahl zum Auto des Jahres Dritter. Vor allem im Nachhinein betrachtet war das eine Ehre. Denn diesen (zugegeben nutzlosen) Bronzerang holten auch der Ford Mustang (1964), der Citroën SM (1970) und der VW Golf (1982). Man kann sich nur vorstellen, wie beim jährlichen Treffen der Bronzerang-Gewinner (nein, so etwas gibt es nicht wirklich) der arme Hillman Imp allein am Kindertisch sitzen muss.

Euphorisiert tat die Rootes-Gruppe, was sie immer tat: Badge Engineering. So gab es den Hillman Imp auch als Sunbeam Stiletto und Singer Chamois. 13 (!) Jahre produzierten die Marken das Fahrzeug nahezu unverändert – allerdings nur 440.000 Mal. Ein Flop, der sehr konsequent umgesetzt wurde, denn 1967 übernahm Chrysler die betriebswirtschaftliche Irrenanstalt, wodurch der Rootes-Konzern der britische Ableger von Chrysler Europe wurde (zusammen mit Simca in Frankreich und Barreiros in Spanien). Theoretisch hätten die zu diesem Zeitpunkt das Trauerspiel beenden sollen. Konnten sie aber nicht.

Auftritt der britischen Regierung. 1975. Nachdem erst Rootes und dann Chrysler im Schatten der Katastrophe von British Leyland vor sich hin vegetiert hatten, griffen die Staatsmänner ein und spendeten Chrysler reichlich Geld. Bei der Höhe der Summe und den Bedingungen gehen die Quellen auseinander. Die einen wissen, dass Chrysler 55 Millionen Pfund geschenkt bekam, andere, dass sie 162 Millionen Pfund als (sehr, sehr günstigen) Kredit bekamen. Wahrscheinlich ist, dass beides stimmt. Die Regierung hatte vorher schon British Leyland mit reichlich Geld versorgt und bekam keinerlei Früchte zu ernten. Vielleicht war die Idee dahinter, dass es irgendwann schon warm werden würde, wenn man nur genug Geld verbrennt.

Zeit ist Geld der Regierung

Immerhin bekam Chrysler mit den Millionen auch ein Ultimatum. Innerhalb von 18 Monaten müsse ein neuer Kleinwagen fertig entwickelt sein. Das war, bei allem Verständnis für eine Deadline, ein Fehler. Denn 18 Monaten sind nicht viel Zeit für jemanden, der ein neues Auto entwickeln soll.

Chrysler blieb nichts anderes übrig als ein bereits fertiges Auto zu nehmen und den Radstand zu verkürzen. Die Wahl fiel auf den Hillman Avenger, die Kürzung betrug zehn Zentimeter. Sonst blieb gleich, was gleich bleiben konnte. Das Auto war zu diesem Zeitpunkt zwar auch schon seit fünf Jahren auf dem Markt, war aber schlichtweg die neueste Entwicklung, die im Regal lag. Die Ingenieure und Designer gaben sich durchaus Mühe, den Staub von der Karosserie zu klopfen. Kantige Formen und eine Heckklappe, die beinahe komplett aus Glas bestand lösten das Problem elegant.

Das Ergebnis nannten sie Chrysler Sunbeam. Damit wurde eine ehemalige britische Automarke zum Namensspender für ein einzelnes Fahrzeug degradiert. Als der Sunbeam 1977 präsentiert wurde, bildete ein Motor mit 930 Kubikzentimetern das Einstiegsaggregat (42 PS), darüber wurden ein 1,3- und ein 1,6-Liter-Motor (60 bzw. 80 PS) angeboten. Ab 1979 war dann auch ein TI mit 100 PS verfügbar. Die Kraft wurde gen Hinterachse geschickt.

Die Revolution wurde weggespart

So dringend nötig ein neues Auto war, so dringend musste Chrysler Europe auch Geld (und Zeit) sparen. Die Teile für die Radaufhängung, einzelne Pressteile der Karosserie, das Armaturenbrett und die Bedienungshebel waren bereits für andere Modelle entwickelt und wurden einfach weiter verwendet.

Chrysler legte allerdings viel Wert darauf, dass der Hillman Imp-Motor zwar der Stammvater des 930er Motors sei, in Summe aber 75 Prozent der Teile ausgetauscht wurden. Motorblock, Kurbelgehäuse und Zylinderkopf aus Alulegierung hatten die Ingenieure komplett neu konstruiert. Das Fahrzeug war deutlich spritziger und elastischer als sein überholter Vorgänger.

Erstaunlich war, dass das Fahrzeug trotz des Zeitdrucks und mangelnder Finanzen durchaus selbstbewusst und vollständig auf der Straße stand. Es wirkte nicht improvisiert und sah nicht wie der letzte Strohhalm aus. Es gab sogar ein paar Gadgets, die das Fahrzeug aus der breiten Masse hervorstechen ließen: Die elektronische Chrysler-Zündung, die selbstständig nachstellende Kupplung mit steigender Pedalanpassung (der Verschleiß schiebt den Nachstellpunkt auf dem Kupplungsweg nach oben) und die Unterdruckbremshilfe. Auch die Viergangautomatik von Borg-Warner, die damals mit dem 1,6-Liter-Motor kombiniert werden konnte, begeisterte damals die Journalisten.

Das Unvermeidliche hinauszögern

Das Fahrwerk war nicht neu, musste es aber auch nicht sein. Bewährte Technik ist durchaus ein Wert, den Kunden zu schätzen wissen. Vorne gab es Einzelradaufhängung, hinten eine Starrachse. Vorteil: Bodenwellen schluckte der Sunbeam anstandslos. Nachteil: Bei zu hohen Kurvengeschwindigkeiten oder bei starken Bremsvorgängen begann der Wagen zu schwimmen und instabil zu werden.

1977 kam der Chrysler Sunbeam auf den Markt, 1978 wurde Chrysler Europe für einen symbolischen Pfund an Peugeot verkauft. Die übernahmen dafür nicht nur die Marken, Fahrzeuge und Entwicklungen, sondern auch deren immense Schulden. Weil Aktionismus damals in der Automobilbranche en vogue war, wurden die Fahrzeuge ab 1979 unter das Dach der Marke Talbot gesteckt. Damit hieß das Auto fortan Talbot Sunbeam.

Damit wäre die Geschichte zu Ende, wäre Desmond O’Dell 1978 nicht noch Motorsportchef bei Chrysler Europe gewesen. O’Dell war ein Car-Guy. Einer, der das Thema lebte. Und einer, der sich an die Rennsporterfolge des Hillman Imp erinnerte. An die wollte er auch mit dem Sunbeam anknüpfen.

Dafür fehlte dem Konzern allerdings der Motor, weswegen er zu Lotus ging und ein erstaunlich gutes Timing an den Tag legte. Jensen hatte nämlich gerade die Produktion des Jensen-Healey eingestellt, für den Lotus einen Zweiliter-Vierzylinder lieferte. Ein Motor, dessen 240 PS jetzt einen neuen Abnehmer brauchten.

Ein Sunbeam wird Weltmeister

Warum Chrysler dieses Projekt überhaupt noch genehmigte ist eines dieser Geheimnisse der Automobilwelt. Die Legende besagt, dass O’Dell die Entscheidungsträger einfach beiläufig auf den Beifahrersitz eines Sunbeam mit Lotus-Motor setzte und dann die Genehmigung erhielt. Die Begeisterung von Car-Guys kann ansteckend (und ruinös) sein. Die einzige Auflage war, dass der Drehmomentverlauf etwas ziviler werden musste. Dafür wurde der Hubraum von 2,0 auf 2,2 Liter erhöht und die Leistung von 240 PS auf 150 PS gedrosselt. Die 240 PS blieben den Wettbewerbsfahrzeugen vorbehalten.

Aber in dem Moment gehörte das alles mit Bausch und Bogen ohnehin schon Peugeot, weswegen der Wagen ab sofort Talbot Sunbeam Lotus hieß und zu einem Symbol dafür wurde, was in der englischen Automobilindustrie schief lief. Vom Talbot-Werk in Linwood (Schottland) gingen Autos ohne Motor nach Hethel zu Lotus, bekamen dortihren Motor eingebaut und wurden dann zur Endabnahme nach Coventry gebracht. Beschäftigungstherapie der Gewerkschaftler.

Davon unbeeindruckt fuhr das Auto durch die Rallyeweltmeisterschaft, als gäbe es keine Finanzkrise und als stünde die heimische Autoindustrie nicht kurz vor dem Kollaps. Von 1979 und 1980 arbeitete sich der Talbot Sunbeam Lotus nach oben im Ranking. 1981 holte er dann den Markentitel, während Guy Fréquelin und Beifahrer Jean Todt Vizeweltmeister in der Fahrerwertung wurden.

Die Dimensionen des Dramas

Und damit war der Zauber vorbei. Der Sunbeam wurde 1981 eingestellt, das Rallye-Team durfte seine 19 Werkswagen noch bis 1982 einsetzen.

Wie groß das Drama tatsächlich war, wird an den Lotus-Sondermodellen deutlich. Nach dem Ende der Produktion sollten 150 Stück, die eben übrig waren, veredelt und als Sondermodell verkauft werden. Dafür zuständig war die Firma Avon Coachworks, die dem Sunbeam Lotus Kontraststreifen, Geräuschdämmung und ein nobleres Interieur spendierten. Von den 150 wurden lediglich 57 umgebaut und verkauft (zu einem niedrigeren Preis als die Serienversion). Damit diese Absatz-Blamage möglichst lange unentdeckt blieb, trickste Talbot bei der Fahrgestellnummer und übersprang einfach die ersten 93 – damit kam jeder, der die Nummer kontrollierte, auf 150 Stück.

Die Subvention an Chrysler sah übrigens vor, dass bei großem Verkaufserfolg die Förderung zurückgezahlt werden würde. Wurde sie nicht.


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