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Das BMW 430d xDrive Gran Coupé im Fahrbericht

Vierversprechend

Fahrberichte Daniel Schraeder
BMW

Der 430d mit Allradantrieb gehört zu jenen raren Testwagen, die lange nachwirken. Der Allradantrieb bietet jede Menge Traktion und fördert zusätzlich die Dynamik. Mit dem Dreiliter-Diesel hält er die traditionellen Werte der Marke hoch und hat damit die Chance, ein Klassiker zu werden

München, 7. Dezember 2015 – Der Begriff „Klassiker“ wird von Marketing-Experten allzu schnell in den Raum geworfen, wobei eine Voraussage gar nicht so einfach ist. Was hebt ein Auto aus der Masse heraus: Besondere Technik wie beim Mazda RX-8? Ein gewisser Seltenheitswert, sei er hervorgerufen durch Missachtung der Kunden oder durch Unerschwinglichkeit für die breite Masse wie im Fall des Audi A2? Ein ungewöhnliches Design wie beim Fiat Multipla?

Das BMW 4er Gran Coupé ist optisch sehr gelungen und trotzdem selten im Straßenbild zu sehen. Mit dem Dreiliter-Diesel hält er die traditionellen Werte der Marke hoch, was man nicht von allen Entwürfen sagen kann, die in der jüngeren Vergangenheit vorgestellt wurden. Und damit hat auch er die Chance, ein Klassiker zu werden. Der 430d mit Allradantrieb gehört zu jenen raren Testwagen, die lange nachwirken.

Fans klassischer BMW-Werte treiben Modellbezeichnung aus mehr als aus drei Ziffern und einem Buchstaben kalten Angstschweiß auf die Stirn – die Z-Modelle vielleicht mal ausgenommen. Da gibt es Gran- und ActiveTourer mit schnödem Frontantrieb und einer Optik, die auch Schriftzüge wie Zafira oder Touran zuließe. Da gibt es designtechnische Missgriffe wie zu schlimmsten Bangle-Zeiten wie den 5er GT oder Modelle vom Typ „Auffallen um jeden Preis“ wie den X6.

Solche Modelle legen sehr nah, dass das 4er Gran Coupé ein kommender Klassiker ist. Und wenn wir irgendwann in zehn, 15 Jahren darüber sinnieren, dass früher alles besser war, BMWs mit Standardantrieb am aussterben sind und ihre Zweizylinder mit bassigen Soundgeneratoren akustisch als V8 verkauft werden – dann werden wir uns an den F36 zurückerinnern. Ein passendes Kürzel, schließlich wird auch der 3er der 90er Jahre, der E36, gerade ein echter Klassiker.

Einfach schön. Oder?

Selten hatten wir in der letzten Zeit ein Auto, das so wenig polarisiert. Sicher, hier und da ginge es immer noch ein Quäntchen besser, schöner oder praktischer. Aber die Masse der (Mit-) Fahrer kann nur positive Worte für das Gran Coupé finden. Beeindruckend auch, wie wenig protzig der Wagen wirkt – schließlich ist er gerade einmal gut zehn Zentimeter kürzer, dafür aber auch zehn Zentimeter breiter als Benno Berghammers Ur-6er E24, der seinerzeit die automobile Oberklasse dargestellte.

Das 4er Gran Coupé zeigt in seiner wunderschön klassischen Silhouette eine Coupé-Form aus dem Bilderbuch. Diverse Falten in der Karosserie setzen Lichtakzente, der Luftauslass an den Vorderrädern, der gute, alte Hofmeisterknick. Gebt zu, selbst BMW-Hasser werden dieses Auto nicht hässlich finden können. Und das, obwohl die Kombination aus Silber-Metallic, dunkelrotem Leder, schwarzem Klavierlack und gebürstetem Alu nicht viele Freunde in der Redaktion fand.

Das wichtigste Detail des Gran Coupé sind freilich seine vier Türen. Zum Ein- und Aussteigen in der zweiten Reihe ist das natürlich gut. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das „Gran“ Coupé letztlich nur die Neuinterpretation des zweitürigen Dreiers ist. Entsprechend beengt geht es hinten zu. Die Beinfreiheit ist okay, zwei ausgewachsene Männer finden akzeptabel hintereinander Platz. Aber der Kopfraum ist arg klein, und das schon ohne Schiebedach.

Doch auf der Straße gerät das schnell in Vergessenheit. Mag sein, dass der 4er mit anders gesetzten Häkchen auf der Ausstattungsliste noch besser ausgesehen hätte, und dass die hinten sitzenden Passagiere morgen einen steifen Hals haben. Aber spätestens, wenn man vorn Platz nimmt, sich die Sportsitze um den Körper schmiegen wie Maßanzüge, ist das egal. Dann will man nur noch den Motor starten und das Abenteuer beginnen.

Antrieb: Fast perfekt.

Solange es den Reihensechser noch irgendwie gibt, sollte, nein, fast muss man ihn bestellen. Ob Diesel oder Benziner, ob ein oder zwei Turbolader, ist völlig unwichtig. Auch der Selbstzünder klingt so schön, dass man die Stopp-Start-Automatik ganz politisch unkorrekt deaktivieren möchte, um das raue Grummeln im Leerlauf genießen zu können. Das Geräusch, das einen bis in die Träume verfolgt. Wie begehrenswert das ist, weiß allerdings auch der Hersteller: Heftige 10.300 Euro Aufpreis kostet der Drei-Liter-Diesel mit 258 PS im Vergleich zum 190 PS starken Zweiliter, ausstattungsbereinigt um das Automatikgetriebe sind es 8150 Euro. Oder 120 Euro pro Mehr-PS.

Nur ein Turbolader? In der Praxis haben wir die Mehrleistung des 35d nicht vermisst. Ja, der Biturbo dreht noch etwas gleichmäßiger hoch und verteilt seinen Antritt noch schöner über das gesamte Drehzahlband. Aber auch der 430d lässt sich leise und ausgeglichen wie ein sanftes Kätzchen im Chauffeursmodus durch die Innenstädte bewegen und verwandelt sich bei einem etwas kräftigeren Tritt auf den Pinsel zu einem ziemlich flotten Fahrzeug. Beeindruckend ist, was das Auto schon veranstaltet, wenn nur Halbgas gegeben wird. Die Gewissheit, dass da noch viel mehr kommen kann, erfordert einen charakterfesten Fahrer, sonst ist der Führerschein ständig in Gefahr.

Die Kombination mit der Achtgang-Wandlerautomatik von ZF wurde schon oft gelobt. Vollkommen zu Recht. Wer hier noch selber schaltet, ist wirklich selber schuld. Das Getriebe ist ein Traum; flink und sanft oder schnell und brutal, je nach Situation und Wunsch des Piloten. Die Geschwindigkeit, mit der das Gaspedal gen Bodenblech getreten wird, entscheidet zwischen Kätzchen und Löwe, immer und immer wieder. Eine Alternative braucht es nicht, denkt BMW – und hat die Handschaltung für die Sechszylinder-Diesel einfach komplett aus dem Programm genommen. Damit man dennoch ein Gefühl für den Aufpreis bekommt: In den anderen Motorisierungen kostet das Automatikgetriebe 2150 Euro, die Sportautomatik (mit schönerem Wählhebel und unnötigen Schaltwippen am Lenkrad) kostet noch einmal 200 Euro mehr.

(Selten mal) nachdenkliches Elektronenhirn

Nur ganz selten möchte man dann doch wissen, was in den Elektronenhirnen des 4ers vorgeht. Da geht das Pedal gen Teppich, der Fahrer erwartet den gewohnten Tritt in den Rücken, und aus erwarten wird warten. Und warten. Und warten. Gefühlt sekundenlang, real natürlich deutlich kürzer drückt man das Fahrpedal über die Kickdown-Stellung hinaus nach unten. Und es passiert: Nichts. Das Getriebe scheint sich nicht so ganz im Klaren zu sein, wie viele Stufen es überspringen will, und dann ist da ja auch einfach Masse, die in Bewegung gesetzt werden muss. Dieses Verhalten nimmt einem zwar nicht den Spaß am 4er, dafür kommt es viel zu selten vor. Aber es nervt, weil man nicht damit rechnet.

Der Allradantrieb bringt das hohe Drehmoment jederzeit so unauffällig auf die Straße, dass man so gut wie nichts davon spürt. Ein größeres Kompliment ist kaum möglich. Darüber hinaus fördert seine schnelle und intelligente Regelung der zentralen Lamellenkupplung sogar zusätzlich die Dynamik. Die direkt übersetzte Lenkung bietet trotz elektromechanischer Unterstützung jederzeit die gewünschte Rückmeldung, ohne dabei nervös zu wirken.

Das ebenso feinnervig abgestimmte Fahrwerk zeigt, dass hohe Fahrdynamik und hoher Abrollkomfort sehr gut vereinbar sind - auch ohne Hin- und Herschalten zwischen „sportlich“ und „komfortabel“. BMW baut diese elektronische Spielerei nicht ein, um Schwächen eines mangelhaft abgestimmten Fahrwerks nachträglich zu kaschieren, sondern weil es der Kunde so will. Die Werbung hat es ihm ja lange genug eingeredet.

Unterm Strich haben wir auf Lang- und Kurzstrecke, in der Stadt und auf der Autobahn einen Verbrauch von 8,6 Litern auf 100 km erzielt. Wer der Versuchung des Vortriebs widerstehen kann, schafft einen Wert mit einer 7 vorne. Um auf eine 9 zu kommen, muss man sich schon arg anstrengen – wir haben jedenfalls in keiner Sekunde an den Verbrauch gedacht und den eigenen Geldbeutel entsprechend wenig geschont.

Interieur: Kann man lassen.

Wer Platz nimmt im 4er Gran Coupé, bettet sich auf Sitzen, die zu diesem Auto passen wie die Kombination aus Motor und Getriebe. Wobei fairerweise erwähnt sei, dass der Testwagen die aufpreispflichtigen Sportsitze eingebaut hatte. Wir empfehlen sie hiermit nachdrücklich. Für 800 Kilometer Autobahn am Stück (okay, die Kombination aus Motorisierung und Fahrstil zwingen zu einer Tankpause) sind sie ebenso perfekt wie fürs Kurvenräubern oder Fahrten mit der Oma aufs Land.

Beim Blick auf das Armaturenbrett fallen einem vor allem edle Materialien und ein modernes, attraktives Design auf. Wer möchte und den nötigen Geldbeutel mitbringt, bekommt auf Wunsch ein mit Leder bezogenes Armaturenbrett und edle Hölzer. Aber auch die Standardvariante kann sich sehen lassen. In den sichtbaren Bereichen kommen vor allem hochwertige Kunststoffe zum Einsatz.

Leider hat sich in einigen Bereichen offensichtlich das Controlling gegen Designer und Ingenieure durchgesetzt. Im direkten Sichtfeld treffen verschiedene Kunststoffe mit leichten Farbunterschieden aufeinander. Die Plastikverkleidung an den Seiten des Kardantunnels könnte so auch bei einem koreanischen Kleinwagen vorkommen; die billigen, weißen Plastikabdeckungen über den LED-Schminkspiegeln sind irritierende Blickfänger im anthrazitfarbenen Dachhimmel (plus 240 Euro). Keine dieser Schwächen ist ein richtiger Show-Stopper. Aber bei einem Auto für über 60.000 Euro sollte der Hersteller nicht bei den Details geizen.

Optionen: Viel für viel

Aufgrund der bescheidenen Übersichtlichkeit ist zumindest ein Abstandswarner beim Einparken Pflicht (hinten serienmäßig, vorne 200 Euro). Ein schönes Gimmick ist die Rückfahrkamera (420 Euro), genial ist die Draufsicht aus der Vogelperspektive, mit der man in jeder Lücke perfekt gerade einparkt (Surround-View, 740 Euro).

Wichtig für den Wiederverkaufswert sind die Zweizonen-Klimaautomatik (650 Euro) und in ferner Zukunft vermutlich der DAB-Radioempfänger (320 Euro). Es wäre ein Frevel, auf die Instrumentenkombination mit erweiterten Umfängen (150 Euro, beim Navi inklusive) und auf die wirklich hilfreiche kamerabasierte Verkehrsschilderkennung „Speed Limit Info“ (320 Euro) zu verzichten. Und vermutlich gehört für viele potentielle Käufer auch das Audio-System von Harman/Kardon (1090 Euro) auf die Wunschliste, da sowohl das Standard-System als auch das HiFi-Lautsprechersystem (390 Euro) Luft nach oben bieten. Erheblich viel Luft.

Wer möchte, bekommt feine Extras wie Head-Up-Display, Fahr- und Einparkhilfen, Lenkradheizung, Internet-Zugang, LED-Scheinwerfer, Sitzheizung hinten, aktives Fahrwerk, aktive Lenkung et cetera. Alles gegen zusätzliches Geld, versteht sich.

Der Testwagen hatte Extras im Wert von etwa 12.000 Euro eingebaut, war von einer Vollausstattung als weit entfernt. Dass BMW es so präzise schafft, etwas schwächere Konfigurationen absichtlich nach „da fehlt etwas“ aussehen zu lassen, hinterlässt bei einem Grundpreis von 53.000 Euro einen faden Beigeschmack. Wir denken beispielsweise an die Instrumentenkombination mit erweiterten Umfängen oder den kleineren Navi-Bildschirm mit dem dicken, schwarzen Rand. Der Vollständigkeit halber: Wer seinen Vierer „volle Hütte“ bestellt, bezahlt für die Extras so viel Geld wie für ein nagelneues, nacktes 2er Coupé, also circa 28.000 Euro. Wer nur auf die Kombination auf Motor und Getriebe scharf ist, kann auch auf den 330d als Limousine umsteigen. Den gibt es ohne Allradantrieb aktuell ab 47.050 Euro, mit der Traktionshilfe sind es 49.550 Euro.

Navi und Entertainment

Die aktuelle Generation des Navigationssystem Professional ist schon seit März 2013 (BMW 1er) auf dem Markt. Ja, das Navi kostet einen Haufen Geld. 2390 Euro – ein gutes Tomtom kostet ein Zehntel. Aber passen zu solch einem Auto wirklich Saugnäpfe und Kabel? Die perfekte Integration hat BMW wirklich hervorragend hinbekommen. Die grafische Darstellung der nächsten Kreuzung im Kombiinstrument ist genial, die Spracheingabe funktioniert überraschend gut, die Smartphone-Anbindung ist erstklassig gelöst.

Wer sein Handy nicht nur per Bluetooth mit dem Auto koppelt, sondern mit einem optionalen Snap-In-Adapter in der Armlehne platziert (oder ein einfaches USB-Kabel verwendet), hat über den iDrive-Controller des Autos Zugriff auf dafür vorbereitete Apps. Die Auswahl der Apps ist zwar mau, aber die Steuerung etwa von Spotify klappt erstklassig – zumindest, wenn man iPhone-Nutzer ist. Android-Smartphones sind auch bei BMW unterrepräsentiert. Gerade einmal sieben verschiedene Handys mit dem Google-Betriebssystem werden in der Kompatibilitätsliste [1] geführt. Einen ausführlichen Blick auf die Connected-Drive-Funktionen haben wir für TechStage geworfen und zeigen im Video, was geht – und was nicht.

Ein echter BMW

Das 4er Gran Coupé ist ein tolles Auto. Wer 65.000 Euro investieren kann und will, bekommt ein fast perfektes Paket aus High-Tech, Reiselimousine und Sportler. Ja, es ist ein Haufen Geld. Und, ja, für das Geld könnte das Plastik hier noch etwas besser sein und die Funzel dort. Aber ganz im Ernst? Es ist nicht entscheidend. Denn das wohl größte Lob, was man einem Auto machen kann: Lieber verzichtet man auf das Bier zum Abendessen, als diesen BMW auf dem Parkplatz stehen zu lassen. Um das Grummeln des Motors zu hören, um sich vom Drehmoment in den Rücken treten zu lassen, um sich von der Querbeschleunigung ein Grinsen ins Gesicht zeichnen zu lassen. Oder um Oma ganz brav nach Hause zu bringen. Damit hält der 4er sein Versprechen von der Freude am Fahren.


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https://www.heise.de/-3065610

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bmw.de/de/topics/faszination-bmw/connecteddrive/connecteddrive-services-offers/mobile-endgeraete/kompatibilitaet.html