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Das Konzept des Hybrid-Rennwagens Porsche 919 LMP1

Motorsport unter Spannung

News Christoph M. Schwarzer
Porsche, alternative Antriebe, Hybridantrieb

Der Rennsport als Entwicklungsabteilung für die Großserie? Angesichts zu Tode reglementierter Rennserien wie der Formel 1 wirkt dieser Satz heute wie eine Rechtfertigung. Aber es gibt Ausnahmen. Die erfreulichste davon: die 24 Stunden von Le Mans, die sich zur Hybrid-Rennserie entwickelt haben

Stuttgart, 15. April 2015 – Der automobile Rennsport ist die Entwicklungsabteilung für die Großserie. Diese wilde These mag irgendwann richtig gewesen sein. Angesichts gähnend langweiliger Rundstreckenkämpfe und zu Tode reglementierter Rennserien wie der Formel 1 wirkt dieser Satz heute lediglich wie eine trotzige Rechtfertigung für einen umweltschädlichen Spaß am Wochenende. Aber es gibt Ausnahmen. Die erfreulichste davon sind die 24 Stunden von Le Mans: Am 13. Und 14. Juni geht es bei Tag und Nacht die lange Gerade Hunaudieres hinunter – mit dem Boost des Stroms, der die Verbrennungsmotoren unterstützt. Le Mans ist zur Hybrid-Rennserie geworden.

Das 2014 überarbeitete Reglement zeichnet sich dadurch aus, dass es wider den Zeitgeist weitgehend offen ist. Diesel und Benziner, Saug- und Turbomotoren treten gegeneinander an. Entscheidend jedoch ist, dass die Fahrzeuge der so genannten LMP1 (Mindestgewicht: 900 Kilogramm, Sauger bis 3,4 Liter, Turbobenziner bis zwei Liter und Turbodiesel bis 3,7 Liter Hubraum) in vier Energierückgewinnungsklassen eingeteilt sind.

Die vier Energie-Rückgewinnungsklassen

Die FIA als Veranstalter gibt vor, wie viel von der beim Bremsen rekuperierten Energie zum Beschleunigen pro Runde abgerufen werden darf und wie viel Spritkonsum obendrein auf diesen 13,6 Kilometern maximal genehmigt ist. Die vier verschiedenen Megajoule-Klassen teilen sich wie folgt auf:

2 Megajoule: 5,07 Liter Benzin oder 3,94 Liter Dieselkraftstoff
4 Megajoule: 4,94 Liter Benzin oder 3,84 Liter Dieselkraftstoff
6 Megajoule: 4,81 Liter Benzin oder 3,74 Liter Dieselkraftstoff
8 Megajoule: 4,76 Liter Benzin oder 3,65 Liter Dieselkraftstoff

Schnellrechner stellen sofort fest, dass der Unterschied zwischen Benzin und Diesel größer als die energetische Differenz pro Liter ist; die FIA hat also einen eigenen Umrechnungsfaktor festgelegt, um Gerechtigkeit zwischen den Kraftstoffsorten herzustellen.

Siegreiche Marke ist seit Jahren Audi, wo man zuletzt mit dem R18 e-tron quattro aufs Podest fuhr. Ein Erfolg, den Porsche nicht ertragen wollte und darum den 919 Hybrid konstruiert hat. Um starke Worte ist man nicht verlegen und begründet die Rückkehr nach Le Mans mit „dem revolutionären Reglement“, das leistungsstarke und innovative Hybridantriebe fordere.

Und tatsächlich wäre es interessant, wenn der Porsche 919 die Diesel-Phalanx von Audi in diesem Jahr durchbrechen könnte. Der 919 startet in der 8 Megajoule-Klasse und basiert im Wesentlichen auf dem 2014er Modell. Der Hubraum des aufgeladenen Benzindirekteinspritzers liegt bei zwei Litern, wobei der Vierzylinder nicht etwa der Boxer ist, auf den Cayman- und Boxster-Fahrer schon warten, sondern ein 90-Grad-V-Motor.

Über die genaue Leistung schweigt sich Porsche aus, redet aber von „über 500 PS“, die über ein sequenziell geschaltetes Siebenganggetriebe auf die Hinterachse wirken. Dazu addieren sich die „mehr 400 PS“ des Elektromotors an der Vorderachse, sodass ein temporärer Allradantrieb und letztlich fast 1000 PS Systemleistung zur Verfügung stehen.

Bei der Rekuperation ist erlaubt, was gefällt

Zur Energierückgewinnung setzt der 919 Hybrid auf zwei Systeme: Zum einen arbeitet – quasi klassisch – der Elektromotor an der Vorderachse bei Bedarf als Generator. Der so erzeugte Strom wird in einer flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Batterie gepuffert. Weniger konventionell geht es beim zweiten System zu. Im Abgastrakt, der in diesem Jahr anders als 2014 eine Doppelrohrauspuffanlage hat, sitzt eine zweite Turbine, die als Generator funktioniert.

Erlaubt wäre auch jede andere Methode der Energierückgewinnung gewesen; so hatte Porsche immer wieder Schwungmassespeicher im Renneinsatz, aber auch Superkondensatoren oder Druckluftspeicher wären möglich. Klar bleibt dabei der Zielkonflikt: Wer in der höchsten Megajoule-Klasse antritt, muss besonders darauf achten, dass das Energierückgewinnungssystem leicht ist und wenig Bauraum einnimmt.

Audi bleibt starke Konkurrenz

Zusätzlich reklamiert Porsche für den 2015er 919 ein reduziertes Gewicht bei erhöhter Gesamtsteifigkeit sowie „eine Optimierung bei Fahrwerk und Aerodynamik“. Beim Auftaktrennen der FIA-Langstreckenmeisterschaft WEC („World Endurance Championship“) im britischen Silverstone am vergangenen Wochenende reichte das immerhin für den zweiten Platz [1]. Der in Führung liegende Australier Mark Webber musste mit seinem 919 wegen Getriebeproblemen aufgeben. Die drei Fahrer im verbleibenden Porsche Romain Dumas, Neel Jani und Marc Lieb schafften es nicht mehr, den vor ihnen fahrenden Audi einzuholen.

Es gibt sie also, die Formel Effizienz. Zwar liegt der Benzinverbrauch pro 100 Kilometer bei 35 Litern. Dennoch ist mit dem Reglement von Le Mans eine Rennserie entstanden, die im doppelten Sinn Spannung in den Motorsport zurückbringt. Jetzt bleibt zu abzuwarten, was davon den Weg in den Alltags-Porsche (oder Volkswagen) findet. Denn ein echter Sportwagen war nie ein luxuriöses Dickschiff vom Schlag eines Cayenne Turbo S, sondern immer agil, leicht und effizient.


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