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Wie bewährt sich das stilvolle Original im Stadtverkehr?

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Fahrberichte ghe
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LTI baut nicht umsonst seit Jahrzehnten das London-Taxi: Nicht Nostalgie, sondern ständige Anpassung an den Lebensraum Stadt ist die Grundlage der Erfolgsgeschichte. Wie bewährt sich das neueste Modell im Stadtverkehr?

Coventry (England), 19. Dezember 2007 – Nur 8,53 Meter, fast 30 Zentimeter weniger als der kleine Smart Fortwo, braucht das neueste Modell von LTI (London Taxi International), um auf der Straße zu wenden. Die Firma aus Coventry in den englischen Midlands stellt im Jahr zirka 3000 Taxis her und ist damit der größte Fahrzeugproduzent in britischer Hand. So nostalgisch wie das ganze Auto ist auch die Herstellung, die überwiegend von Hand erfolgt. Der letzte Konkurrent von LTI, Metro Cap, ging vor zwei Jahren Pleite. So ist LTI der letzte Hersteller in Großbritannien, der ausschließlich Taxis baut.

Tradition und Kosten

Äußerlich greift das TX4-Modell die Form seiner ruhmreichen Vorgänger auf. Die Karosserie wölbt sich rund bis zu den Kulleraugen-Scheinwerfern. Zu den Vorgängern TX1 und TX2 gibt es kaum Unterschiede. Wie auch: Die Blechpressen von LTI sind 30 bis 60 Jahre alt. Eine zu brachiale Änderung der Form würde zur Anschaffung von neuen Maschinen zwingen. Dies würde die kleine Firma finanziell in arge Bedrängnis bringen, zumal sie ohnehin mit für ihre Verhältnisse großem finanziellem Aufwand der Moderne folgt – dazu später mehr. So wird uns die lieb gewonnene Form der LTI-Fahrzeuge noch lange erhalten bleiben.

Auffällig unauffällig

Die Form der London-Taxis, die in vielen Städten Großbritanniens und vermehrt auch im Rest der Welt ihren Dienst tun, hat mehrere Vorteile. Zum einen lassen sich die altertümlich aussehenden Fahrzeuge gut im Verkehrsgewimmel ausmachen. Hier ist nicht ein x-beliebiges Auto mit einem Taxi-Schild auf dem Dach unterwegs. Zum anderen kann man sich zumindest in London als TX4-Besitzer gut in der Masse der Taxis tarnen. Besonders Prominente wissen die Tatsache zu schätzen, dass man so ein Taxi auch privat kaufen kann. So fährt beispielsweise der Musical-Komponist Andrew Lloyd Webber mit einem exquisit ausgestatteten Taxi durch London. Natürlich schrecken die privaten Taxi-Eigner auch nicht davor zurück, die für Taxis reservierten Spuren zu benutzen, obwohl diese nur von lizensierten Taxis benutzt werden dürfen. Außerhalb Europas zählt übrigens der König von Tonga zu den privaten Taxi-Kunden; und Prinz Philip fährt ein Metro-Cap-Modell. Nach dem Niedergang dieses Herstellers macht sich LTI berechtigte Hoffnungen, bald ein frisches TX4 an Seine Durchlaucht liefern zu können.

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Ohne Zugang geht nichts

LTI möchte, dass die Kunden gerne ein Taxi anhalten. Da ist es von Vorteil, dass man schon mal gut ins Gefährt einsteigen kann. Für gesunde Menschen ist dies so einfach wie bei jedem anderen Durchschnittsauto auch. Aber für Gehbehinderte hat sich LTI so einiges einfallen lassen. So lässt sich die linke Fondtür bis zu einem Winkel von 90 Grad öffnen. Dann kann ein mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gewandter Sitz heruntergeklappt und ein Stück auf den Bürgersteig herausgedreht werden. Außerdem lässt sich die serienmäßig mitgelieferte 70 Zentimeter breite Aluminium-Rampe an die Türschwelle legen. So kann ein Rollstuhlfahrer mit einem Rollstuhl von bis zu 78 Zentimeter Breite in die Kabine gelangen. Dort warten dann spezielle Halterungen darauf, den Rollstuhl sicher zu verankern. Die praktische und seit 1989 in LTI-Fahrzeugen serienmäßig verbaute Rollstuhlfähigkeit ist ein weiterer Grund, warum die Taxis bei Privatleuten immer beliebter werden.

Hammerfest

Die geräumige Fahrgastkabine mit den gegenüberliegenden Sitzen bietet jede Menge Platz für Kopf und Beine. Die alte Vorschrift, dass ein Londoner Taxi so hoch sein muss, dass man beim Sitzen bequem seinen Zylinder aufbehalten kann, existiert nicht mehr. Trotzdem wabert zwischen dem Kopf einer sitzenden 1,88-Meter-Person und dem Dach noch eine Luftsäule von 17 Zentimetern Höhe. Alle Griffe, die das Festhalten und Aussteigen erleichtern, sind in hellem Gelb gehalten, was vor dem ansonsten eher grauen Interieur sofort ins Auge sticht. Das Gepäck stapelt sich an der Stelle, wo sich normalerweise der Beifahrersitz befindet. Der Raum von Gepäck und Fahrer ist mithilfe einer stabilen Plexiglaswand von den Fahrgästen getrennt. Nigel Walters, bei LTI zuständig für Übersee-Aktivitäten, meint, dass sich diese Barriere nicht einmal mit einem Baseballschläger oder Zimmermannshammer zerprügeln lässt. Dies gibt dem Taxifahrer mit seinen sauer verdienten Tageseinnahmen ein wenig Sicherheit.

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Sichere Einnahmen per Bremspedal

LTI hat eine spektakuläre Erfindung ins TX4-Modell gebaut: Solange der Taxifahrer das Bremspedal tritt, lassen sich die Fond-Türen nicht öffnen. So kann kein Fahrgast abhauen, ohne zu bezahlen. Auch deutsche Anbieter von Taxis interessieren sich bereits für diese Technik. Mit dem Fahrer kommunizieren können die Passagiere über ein so genanntes Intercom, jeweils beim Fahrer und im Fahrgastraum befinden sich Mikrofone und Lautsprecher. Über einen Schalter kann der Fahrgast das System deaktivieren. Auch das Licht, die Bergstrom-Klimaanlage und die Fensterheber können die Passagiere selbst einstellen, allerdings hat der Fahrer vorne ein paar Knöpfe, die den Bedieneinheiten im Fond übergeordnet sind. Somit hat der Fahrer stets alles unter Kontrolle.

Komplettes Siegertreppchen

Das TX4 hat auch einen echten Kofferraum im Heck. Dieser ist aber winzig und beherbergt die Zusatzrampe für den Rollstuhlzugang. So gehört dieses bisschen Stauraum zum Bereich des Fahrers, der hier seine persönlichen Sachen unterbringen kann. Das TX4 kommt in vier Ausstattungsvarianten daher: Driver, Bronze, Silver und Gold sind die Bezeichnungen für aufsteigenden Luxus, wobei sich Bronze und Silver am besten verkaufen. Besonders die Art des Entertainment-Systems unterscheidet sich. Auch die Beschaffenheit der Polster-Stoffe wird Richtung Gold ein wenig besser. Eine höhere Ausstatttungsvariante wird als Komfortplus für den Fahrer angesehen, auf den Fahrpreis für die Gäste hat dies keinen Einfluss. Und für Privatkunden gilt bei der Ausstattung: Alles ist möglich. Bei einem ohnehin per Hand zusammengesetzten Auto ist die werkseitige Integration von speziellen Sonderausstattungen ohnehin einfacher zu bewerkstelligen. So hat sich BBC Moskau zwei TX4 zu fahrbaren Rundfunkstudios umbauen lassen und der Mobilfunkanbieter Vodafone bekam einen komplett in der Firmenfarbe Rot ausgekleideten Wagen.

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Vorschrift ist Vorschrift

Die größten Konkurrenten der LTI-Taxis sind normale Autos, die zu Taxis umgebaut werden. Diese stellen überall in Europa die Mehrheit und breiten sich auch in einigen englischen Städten aus. In London allerdings wird LTI weiterhin die Nase vorn haben: Jedes Taxi muss einen sehr engen Wendekreis schaffen. Im Falle des TX4 sind das sensationelle 8,53 Meter. Der fast 1,90 Meter kürzere Smart legt einen Wendekreisdurchmesser von 8,80 Meter hin – beinahe 30 Zentimeter mehr. Über 20.000 LTI-Taxis umkurven so jeden noch so spitzen Winkel in der Londoner Innenstadt. Wir haben es mit weit aufgerissenen Augen selbst ausprobiert: Einen Kunden auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufzulesen, ist ohne Dreipunkt-Wende möglich. Einfach das Lenkrad bis zum Anschlag einschlagen und schon stehen wir am anderen Bordstein. Auch Einparken in atemberaubend enge Lücken ist so noch einfacher möglich.

Seiten-Reifen

Das TX4 zieht sich ausschließlich spezielle Schuhe an. Dunlop liefert Reifen mit der deutlichen Aufschrift „Taxi“. Deren Seitenwände sind extra verstärkt, sodass häufige Bordsteinberührungen keine verfrühte Abnutzung der Gummis zur Folge haben. Für Taxis außerhalb von Großbritannien stellt Michelin ebenfalls so einen Reifen zur Verfügung. Getragen werden die Reifen von Stahlfelgen, welche mit sage und schreibe sechs Radmuttern am Wagen befestigt sind. Das Fahrwerk an sich ist auf weiches Rollen ausgelegt. Selbst die Speed-Bumper, künstlich angelegte Huppel, die den Fahrer zu einer langsamen Fahrt zwingen sollen, nimmt das TX4 sehr sanft. Alles ist hier auf Fahrtkomfort für Fahrer und Fahrgast ausgelegt. Auf der anderen Seite führt dies zu ausgeprägtem Wanken und Nicken. Bei höheren Geschwindigkeiten kippt das hohe Fahrzeug gehörig, Bremsen und Beschleunigen werden mit Nickbewegungen quittiert. Wir gewöhnen uns ganz schnell daran, schön sanft durch die Stadt zu gleiten. Dabei greifen die Bremsen ganz famos – seit dem TX4-Modell sogar mit ABS.

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Leben im Taxi

Ein Taxifahrer verbringt einen großen Teil seines Lebens in seinem Taxi. Aus diesem Grunde ist es LTI wichtig, dass der Fahrer nicht im Alter von 40 Jahren vollkommen verschlissen vom Bock fällt, sondern bis zur Rente sein Einkommen einfahren kann. Bei unserer Probefahrt wird uns eins klar: Der sympathische Wagen lässt sich sehr leicht steuern, ohne teigig oder unpräzise zu wirken. Der Fahrersitz kommt zwar ohne jeglichen Seitenhalt daher, wirkt aber so, als könnte man auf ihm überwintern, ohne ungeduldig hin und her rücken zu müssen. Nach unserer mehrere Stunden andauernden Testfahrt stiegen wir erfrischt aus dem TX4. Nigel ist mit dem Modell sogar zum Taxi-Treff nach Bad Tölz gefahren (wo ein deutscher Händler für LTI-Taxis sitzt). Die über 1000 Kilometer am Stück haben ihn zwar ein wenig fertig gemacht, waren am Ende aber kein Problem.

Italienisches Herz

Was haben das TX4 und ein Ferrari gemeinsam? Beide werden von einem italienischen Motor bewegt. Im Falle des LTI-Taxis verrichtet ein 2,5-Liter-Diesel von VM seinen Dienst. Die Tatsache, dass Italien den Motor für den Wagen liefert, ist auch der Grund dafür, das der Stiefel der größte europäische Abnehmer für die Taxis von LTI ist – die meisten TX4 werden natürlich in Großbritannien selbst abgesetzt. Das größte Exportvolumen weltweit geht nach Südafrika. Zurück zum Motor: Er dieselt laut, was von außen richtig nerven kann. Im Innenraum bleibt die Geräuschkulisse aber erträglich. Das Aggregat kann ohne technische Umrüstung mit einer Beimischung von bis zu fünf Prozent Bio-Diesel betrieben werden. Vor 2002 kamen Nissan-Aggregate zum Einsatz, bis 2006 dann Triebwerke von Ford. Im Zuge der Umstellung auf die Euro-4-Abgasnorm war dann ein neuer Motor fällig. Die Umstellung auf das VM-Aggregat hat LTI fünf Millionen Pfund (fast 7,5 Millionen Euro) gekostet. Für einen kleinen Hersteller wie die Taxi-Fabrik aus Coventry bedeutet dies fast den Ruin – schließlich ist es keine leichte Aufgabe, diesen Betrag mit 3000 verkauften Fahrzeugen im Jahr wieder hereinzuholen.

Das neue London-Taxi LTI TX4 im Fahrbericht

Gut für den Stadtverkehr

Der Vierzylinder-Diesel von VM leistet 101 PS bei 4000 U/min, 240 Newtonmeter drehen bereits bei 1800 U/min die Kurbelwelle. Beim Tritt aufs Gaspedal zieht der 16-Ventiler gut nach vorn, deutlich besser, als es nötig wäre. Die Kraftentfaltung erfolgt souverän, das TX4 ist jeder erdenklichen Situation im Berufsverkehr gewachsen. Maximal ist der rundliche Wagen 148 km/h schnell. Dabei nährt sich das Taxi im Schnitt von 8,8 Liter Diesel pro 100 Kilometer.

Automatik-Verschiebung

Das TX4 lässt sich entweder mit einer Fünfgang-Automatik oder mit einer manuellen Fünfgangschaltung ausrüsten. In London sind 100 Prozent der Taxis mit einer Automatik unterwegs – die einzig sinnvolle Variante der Kraftverarbeitung im ständigen Stop-and-Go-Verkehr. Richtung Schottland sinkt dann der Anteil der Automatik-Taxis. In der Mitte Großbritanniens beträgt die Aufteilung 50:50, im Norden Schottlands schalten beinahe 100 Prozent der Taxifahrer manuell. Während sich ein Taxi in London 45.000 Kilometer pro Jahr durch die Stadt schlängelt, fährt ein Schotte rund 160.000 Kilometer über die schmalen Straßen seines Landes. Bei freier Fahrt ist eine Automatik für den kostenbewussten Taxifahrer nicht ganz so wichtig. Dabei macht das Chrysler-Schaltgerät einen guten Job. Weich und recht sauber fließen die Stufen dahin, am Berg wird ein bisschen hoch gedreht, was aber nicht weiter stört.


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