zurück zum Artikel

Im Konstruktionswettbewerb der Studenten lag die Spitze eng beisammen

Delft gewinnt: Formula Student 2008 in Hockenheim

News ggo

77 Teams, 1800 Studenten und rund 4000 Zuschauer hatten ihre Freude am diesjährigen Formula-Student-Wettbewerb in Hockenheim. Nach Graz und Stuttgart in den Vorjahren jubelte diesmal die TU Delft

Hockenheim, 14. August 2008 – Ein bisschen fühlt man sich an die Siegerurkunden der Bundesjugendspiele erinnert, wenn Tim Hannig, Chairman der Formula Student Germany [1], alle Teilnehmer zu Gewinnern erklärt. Aber es ist tatsächlich so. Wenn ein kleines Team von Studenten einen Rennwagen konstruiert und in Hockenheim an den Start bringt, dann hat es Außergewöhnliches geleistet. Statt sich nur auf das theoretische Studium zu konzentrieren, haben die Studenten in der Praxis bewiesen, dass sie einen Business-Plan aufstellen und umsetzen können, dass sie ein Fahrzeug finanzieren und aufbauen können.

Hohe Leistungsdichte
In so genannten statischen Wettbewerben müssen sie ihr Konzept vortragen und sich kritischer Würdigung stellen. Nach einer technischen Abnahme, dem sogenannten Scrutineering, dürfen sie endlich rennen, immer nur gegen die Uhr. Bei der Beschleunigung zählen Motor, Traktion und Gewicht – beim Skidpad nur das Fahrwerk und der niedrige Schwerpunkt. Im Skid Pad durchfahren die Rennwagen einen Parcours in Form einer Acht, um zu zeigen, welche Querbeschleunigung das Fahrzeug erreichen kann. Schließlich dürfen sich die Studenten und ihrer Renner im Autocross und der Endurance bewähren – also zunächst ein kurzer Test von jeweils nur einer Runde, danach die Langdistanz von 22 Kilometern.

Ein Blick ins Klassement offenbart schier unglaubliche Leistungsdichte: Zwischen dem Ersten und dem Fünften des Autocross liegt nicht einmal eine Sekunde, der Zweite folgt dem Ersten in weniger als drei Hundertsteln – wer die Formula Student gewinnen will, darf sich nicht die kleinste Blöße geben. Bis zu Finale hatten die Vorjahressieger [2] der Universität Stuttgart vorne gelegen, doch ein Riss der Antriebskette machten den schnellen Schwaben kurz vor dem Ziel einen Strich durch die Rechnung.

Holland vorn
Das Team der TU Delft lag diesmal als Gesamtsieger mit 919,66 Punkten äußerst knapp vor der TU Braunschweig mit 910,77 Punkten, es folgte die Universität Graz. Ebenso beeindruckend ist die Anzahl von Hochschulen, die sich am Ende im Gesamtklassement wiederfindet. Sage und schreibe 56 Hochschulen umfasst die Siegerliste [3].

Delft gewinnt: Formula Student 2008 in Hockenheim

Nachwuchsförderung
Für den VDI ist die Veranstaltung weniger eine Leistungsschau als eine Nachwuchsförderung – junge Menschen sollen für den Ingenieurberuf begeistert werden. Laut VDI blieben im Juli 95.000 Ingenieurstellen unbesetzt, eine Verdopplung gegenüber den 50.000 aus 2004. Dem stehen nur 21.000 Arbeitsplatz suchende Ingenieure gegenüber, 10 Prozent weniger als im Vorjahr. Mit mehr als der Hälfte der offenen Stellen leiden Baden-Württemberg, Bayern und NRW besonders unter dem Fachkräftemangel.

Den studentischen Teilnehmern mag das recht sein, können sie sich doch einer besonderen Wertschätzung der Industrie gewiss sein. Laut Juanita Jordan, Personalleiterin der Bosch Engineering GmbH, plant das Unternehmen in den nächsten Jahren eine Aufstockung des Personals um 800 auf insgesamt 1800 Mitarbeiter am Standort Abstatt und wirft dabei ein besonderes Auge auf die Teilnehmer der Formula Student. Deshalb lobt das Unternehmen auch zwei Spezialpreise aus. Den „Best Dynamometer Performance Award“ für die höchste gemessene Motorleistung errang das DART-Team der TU Darmstadt, der „Most Innovative Use of Electronics Award“ ging nach Zwickau.

Von der Formula Student zur Formel 1
Dass Erfolge in der Formula Student ein Sprungbrett auf interessante Stellen in der Industrie sind, belegt das Beispiel von Lukas Folie [4]. In der Saison 2005/2006 noch im Team der TU Graz für die Bordelektrik und Elektronik verantwortlich, ist Folie heute Renningenieur bei Toyota Motorsports und ist damit in der Königsklasse Formel 1 tätig. Als wichtigsten Lernerfolg seiner Zeit in der Formula Student bezeichnet er den hohen Wert der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Delft gewinnt: Formula Student 2008 in Hockenheim

Ständige Weiterentwicklung
Da die Organisatoren der Formula Student den Einfallsreichtum der Teilnehmer kennen, wird das Reglement ständig behutsam angepasst. So wurde bisher der Spritverbrauch im Langstreckenwettbewerb Endurance gewertet. Das führte dazu, dass einige Teams besonders langsam fuhren, weil sie sich nur so in einem bestimmten Teilwettbewerb eine Chance versprachen – wenn schon nicht schnell, dann wenigstens Sparmeister werden. In Zukunft setzt die Formula Student deshalb auf die Kraftstoffeffizienz und nicht allein den Kraftstoffverbrauch – das heißt, der Verbrauch wird in Relation zum Rennergebnis betrachtet. Dieses Jahr wurde außerdem eine Executive Summary eingefordert, in der die Teams auf zunächst ihr Konzept vorstellen. Damit soll verhindert werden, dass den Prüfern in jedem der statischen Teilwettbewerbe eine andere Geschichte erzählt wird. Die Juroren sollten in die Lage versetzt werden, die Präsentationen in das Gesamtkonzept einzuordnen.

Das Rennen um die Zukunft
Auch wenn die Formula Student als Konstruktionswettbewerb positioniert ist, wollten die Veranstalter doch gerne etwas Rennatmosphäre erzeugen und luden zwei waschechte Rennprofis ein, um auf Vorjahresfahrzeugen der TUs München und Stuttgart ein Showrennen zu absolvieren. Der fünfmalige DTM-Champion Bernd Schneider von Mercedes musste sich dem Audi-Mann Mike Rockenfeller geschlagen geben.

Etwas Show muss schließlich auch sein, doch die Gewinner sind wieder einmal die Studenten: Sie praktizieren bei der Formula Student, was in der realen Welt der Automobilentwicklung schwierig geworden ist: Sie befassen sich mit dem Fahrzeug als Ganzes und müssen sich nicht auf ein kleines Teilgebiet der Technik beschränken. Das macht nicht nur den Studenten viel Spaß, sondern auch den Verantwortlichen in der Automobilbranche, die für die Entwicklung zukünftiger Automobile dringend Querdenker mit Freude an der Technik braucht. (Volker Weber [5])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-459833

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.formulastudent.de
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Formula-Student-in-Hockenheim-792946.html
[3] http://www.formulastudent.de/fileadmin/user_upload/all/2008/Results/2008_FSG_Competition_Overall_Results.pdf
[4] http://racing.tugraz.at/de/team/alumni/?tx_wecstaffdirectory_pi1[curstaff]=72
[5] http://vowe.net/contact.php