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Ist Wellness auf der Autobahn gefährlich?

Demokratie und Tempolimit

Klartext Clemens Gleich
Ich am Tachoende der ZZR. Ohne Andere. Herrlich!

Ein Kollege schrieb die Tage ein wunderschönes Autopsychogramm des Premiumanspruchsfahrers contra Tempolimit in Reaktion eines linkslastigen Aufrufs pro Tempolimit. Aber natürlich kann nur ich recht haben

Kommentarkaskade! Im Welt-Weblog kommentiert [1] ein Herr Jancke den Kommentar im Cicero [2] einer Frau Bemmer, und das muss ich unbedingt kommentieren, denn es geht um das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen und seine Geschichte voller Missverständnisse. Beginnen wir mit der Jancke-Position, denn Herr Jancke schrieb ein vorzügliches Autopsychogramm des deutschen Premiumanspruchfahrers, das ich so zusammenfassen würde: "Langsam oder gleichmäßig fahren ist für Schwächlinge, die ich verachte. Denn ich bin PREMIUM, sowohl vom Auto als auch vom Fahrer! Mein Wagen ist ein deutsches Oberklasse-Produkt. Mein gewaltiges Gehirn erwacht erst ab 250 km/h und schläft sofort ein, wenn es mir zu langsam wird. Deshalb ist langsam fahren gefährlich. Gleichmäßig etwas tun sowieso. Gleichmäßigkeit hat uns die DDR eingebrockt mit ihren Trabis und Ossis. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin nämlich in meinem Kopf bis heute Wessi geblieben."

Diese verdammten Anderen!

Janckes Ansichten finden einen breiten Konsens, weil wir ja alle glauben, dass wir unglaublich gute Fahrer sind. Wir glauben alle, dass alle Anderen schuld sind an allem, was den Straßenverkehr schlimm macht. Mann, diese Anderen! Stehen im Weg rum. Rasen wie die Bekloppten. Ziehen ohne Fahrtrichtungsanzeige in meine Spur. Verstopfen die Straßen, was ich natürlich nie tun würde. Der eigene Standpunkt ist das Eichmaß aller Dinge. Der Kradist fasst es so zusammen: "Wer schneller fährt als ich, ist ein unverantwortlicher Raser. Wer langsamer fährt als ich, ist eine verachtenswert ängstliche Tucke." Die Argumentation Janckes bleibt über den gesamten Artikel archetypisch.

Das fängt an mit dem Beispiel Landstraße, das nie fehlen darf. Dort gibt es ein Tempolimit, dort passieren aber die meisten Unfälle. Fall geklärt! Die Bemmer-Tussi sollte mehr Angst vor dem Stadtverkehr haben als vor der Autobahn. Als ob ein Tempolimit etwas daran ändern würde, dass Autobahnen die sichersten Straßen sind. Die Landstraße als Nebelkerze. Weitere Argumente: Höhere Verkehrsdichte, also können wir doch eh nicht schnell fahren. Ein Autobahn-Tempolimit ist Sozialismus (immer schön). Die Autobahn gehört zu Deutschlands Autohersteller-Image (stimmt). "Wer auf der Autobahn keine Schwäche zeigt, ist reif für die Rush Hour in New York oder Shanghai" (stimmt nicht). Wir haben den Ossis neue Autobahnen gebaut. Und schließlich: Weichwürste wie diese Bemmer sollen Bahn fahren.

Die Weichwürstin dagegen argumentiert, Tote seien irgendwie egal, es sollen sich nur alle toll fühlen auf der Autobahn. Das ist mir nicht nachvollziehbar logisch, aber immerhin neu. Autobahn als Wellness-Erlebnis. Ihre weiteren Argumente sind weniger esoterisch, sondern aus der linken Klischeekiste: Wer schneller fährt, verbraucht das Benzin unserer Kinder schneller. Die Mehrheit ist links (warum wählt sie dann Mutti Merkel?). Langsam fahren ist "angenehmer" (für Frau Bemmer). Schnell fahren erlauben ist Starken Stärke zeigen erlauben, was ja mal grundsätzlich unlinks ist.

Ein Lob des reinen Nutzens

Mir fehlt in beiden Standpunkten eine explizite Diskussion über den Hauptgrund für Tempolimits auf Autobahnen: Homogenität der Geschwindigkeit. Homogenität erhöht die Effizienz des Straßenverkehrs. Mehr Homogenität führt zu mehr Durchsatz, also zu einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit. Obwohl also Herr Jancke möglicherweise mit Limits einen niedrigeren Schnitt im geliehenen Bentley fahren müsste, fährt die Gesellschaft als Ganzes etwas schneller. Homogenität reduziert außerdem Geschwindigkeitsdifferenzen, die Jancke selbst als gefährlich anspricht.

Obwohl es tatsächlich stimmt, dass Fahrer im Schnitt weniger aufmerksam fahren, wenn es langweilig gleichmäßig wird, fängt die Homogenität diese negativen Effekte mehr als auf. Man könnte natürlich auch polemisch werden und sagen: Wenn der Jancke zu doof ist, gleichmäßig sicher zu fahren, soll er halt mit der Bemmer Bahn fahren. Fernfahrer schaffen es ja auch. Rein nach Nutzen gedacht ist die einzige verbleibende Frage also: "Wo ist das Optimum zwischen Fortbewegungsgeschwindigkeit und Sicherheit?" Doch der reine Nutzen war noch selten der größte Entscheidungsbringer.

Wahrscheinlich darum sind weder Bemmers Wellness-Argumente noch Janckes Premium-verbleite Argumentation besonders am Nutzen orientiert. Das sollen sie auch nicht sein, denn es sind ja nur Standpunkte im öffentlichen Diskurs darum, ob wir ein Autobahn-Tempolimit haben wollen oder nicht. Ich bin übrigens gegen ein Tempolimit. Allerdings muss ich mich nicht um das Premium-Lenkrad winden wie Herr Jancke, weil ich einfach den echten Grund zugeben kann, warum wir offene Autobahnen mögen: Weil sie Spaß machen. Es ist doch wunderbar, dass es ausgerechnet im strengen Deutschland so eine wilde Freiheit gibt. Ob ein generelles Limit kommt oder nicht, das muss dann ein demokratischer Prozess entscheiden. Nur in sich "gefährlich" ist ein Tempolimit ganz sicher nicht. Ich als per Leistung tempolimitierter (Premium!-)Einzylinderfahrer weiß, wovon ich rede.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2263761

Links in diesem Artikel:
[1] http://ps.welt.de/2014/07/15/das-prinzip-trabant-warum-ein-allgemeines-tempolimit-auf-deutschlands-autobahnen-gefaehrlich-ist/
[2] http://www.cicero.de/berliner-republik/tempolimit-autobahn-stoppt-die-raserei/57883