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BMWs neue R 1200 RT mit Wasserboxer will alternativlos sein

Der Pauschaltourist

Motorrad Clemens Gleich

Die RT ist praktisch seit ihrer Existenz die Selbstverständlichkeit ihrer Klasse. Es gibt zwar Alternativen, aber die sind für tatsächliche Käufer oft eher virtuell. Die neue Generation kommt mit dem für sie idealen Wasserboxer.

Almería, 24. Januar 2014 – Die BMW R 1200 RT war immer die Maschine, die meine ureigene wissenschaftliche These stets stichfest belegte: Das Tourenfahrerpublikum wünscht aggressive Hässlichkeit, sonst kauft es nicht. Die RT ist über ihre Generationen von "Tiefsee-Schalentier" über "Star-Wars-Bomber" nun bei "Lovecraft'sche Alien-Fratze [1]" angelangt. Die bösartige Mimik erfordert eine derart ausladende Frontverkleidung, dass die Räder – mit 17 Zoll eigentlich Standardgröße – grotesk winzig wirken. Gestalterisch hat BMW also alles richtig gemacht.

Der von der neuen GS bekannte Wasserboxer ist für die RT und die GS Adventure überarbeitet worden, hauptsächlich erhöhte Schwungmassen betreffend. In der RT ist die Gesamtschwungmasse sogar noch etwas höher als in der Adventure, weil BMW einen größeren Generator an der Kurbelwelle verbaut für die elektrischen Mehrverbraucher. Das gibt dem vorher eher lebendigen Motor viel von der Schiffsdieseligkeit des Vorgängers wieder, ohne seine Schwachpunkte (harte Trockenkupplung, Kippmoment, Kurzatmigkeit bei hohen Drehzahlen) in Kauf nehmen zu müssen. Gut für die Zielgruppe.

Das Erbe des Sechszylinders

Von den Sechszylinder-Modellen erbt die RT das Koffersystem fast ohne Änderungen, in dem an jeder Seite ein Helm hineinpasst, die Zentralverriegelung und das Infotainment-System mit sonnenlichttauglichem TFT-Display. Wie bei der K 1600 sind die Windgeräusche gering genug, dass man tatsächlich bei Landstraßengeschwindigkeit Musik über die Lautsprecher in der Verkleidung hören kann, entweder aus dem Radio oder aus dem eingesteckten USB-Stick als MP3.

Es braucht nur die dieselbe Prolligkeit wie laute Musik im Cabrio hören. Jeder Fußgänger aller durchquerter Orte hört, welche Musik der Fahrer gut findet. Alternative: Musik per Bluetooth auf die Helm-Ohrhörer legen. So oder so punktet die RT mit der Bedienung: Ein Drehring am linken Lenkerende regelt die Lautstärke und kann in zwei Richtungen fürs Skippen gekippt werden – sehr gut. Was sie nicht von den Sechszylindern erbte, ist das Kurvenlicht. BMW gibt zu Protokoll, wie wenige Fahrer nachts fahren und Gewicht und blah blah blah. Im Prinzip unterstelle ich jedoch hauptsächlich den Wunsch nach Abgrenzung zum Riesentourer. Eigentlich hätte der RT das Kurvenlicht hervorragend zu Gesicht gestanden.

Mit (je nach Ausstattung) rund 275 kg Lebendgewicht ist die RT tatsächlich im Touristikumfeld vergleichsweise leicht. Dennoch ist es außerdem vorbildlich, wie viel Lenkanschlag es gibt. Denn was die Zielgruppe so eines Reisedampfers möglichst wenig machen möchte, ist so ein Ding beim Rangieren zu füßeln, was ja im Regelfall mit bepackten Koffern und einer beleibten Person auf dem Beifahrersitz passiert. Ich persönlich kenne keinen Tourer mit kleinerem Wendekreis. Wenn eine neue RT füßelnd quer auf einer Straße steht, kann man mit aller Wahrscheinlichkeit von einem Fahrerfehler ausgehen.

Die RT steht auf der Liste

Die neue RT bleibt damit, was die alte RT war: Einer der ersten Punkte auf der Anschauliste eines typischen Motorradtouristen. Eben diesen Motorradtouristen möchte ich daher einen Rat geben, den viele von ihnen nicht auf dem Radar haben: Es gibt ein Touristenleben diesseits der RT. Ganz konkret sollten RT-Interessenten zwei Kräder mit in die Ausprobierliste aufnehmen: die Honda Deauville und die BMW F 800 GT. Beide können in eine Größe kleiner alles, was der größte Anteil der Fahrer tatsächlich von der RT-Feature-Liste benutzen will: Fahrverhalten, Heizgriffe, Gepäcksystem und Wetterschutz. Passionierte Radiohörer sind auf dem Motorrad eher selten, genauso wie eine Sitzheizung zwar angenehm ist, aber selten wirklich nötig. Tourenfahrer sind tendenziell alt und entspannt, deshalb fahren sie im Zweifelsfall bei Schietwetter lieber etwas weniger und gehen eben früher in die Hotelsauna.

Ich weiß gut, dass ich mit dem vorangegangenen Absatz maximal null Prozent der RT-Interessenten von ihrem Plan abgebracht habe. Deshalb hier noch das, was Käufer der alten RT noch wissen sollten außer dem vorbildlichen Lenkanschlag und den Koffern der Sechszylinder: Ja, dieses Motorrad fährt weiterhin ausgesprochen gut. Ihr Lieblingstakt bleibt der Swing, aber ihre Fähigkeit geht bis hin zu Hard Rock, wenn die Musik im Soundsystem das auf den Fahrer überträgt (ein BMW-Mitarbeiter versorgte mich mit "Breaking the Law"). Sie macht das mit wie ein gutmütiger Onkel; sie beschwert sich nicht, zeigt aber immer, wo ihr eigentlicher Wohlfühlbereich liegt. Im Prinzip ist die neue RT also genau das, was die Kundschaft will, dass sie ist. Sie wird kaufen.


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