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Ducati hat die Diavel überarbeitet, ihr aber den Sport-Roadster-Cruiser-Charakter gelassen

Nenn' mich nicht Cruiser

Motorrad Thilo Kozik, mid
Ducati Diavel Carbon: Massives Zweirad-Spielzeug

Ihrem muskelbepackten Kraftpaket Diavel hat Ducati jetzt eine Renovierung gegönnt, ohne den Charakter zu verwässern. Warum auch. Vor drei Jahren hatten die Italiener mit dem Modell eine neue Zweirad-Gattung aufgemacht: ein Sport-Roadster im Cruiser-Stil

Monte Carlo, 3. April 2014 – Ihrem muskelbepackten Kraftpaket Diavel hat Ducati jetzt eine gründliche Renovierung gegönnt, ohne den Charakter zu verwässern. Warum auch. Vor drei Jahren hatten die Italiener einen Sport-Roadster im Cruiser-Stil mit satten 119 kW/162 PS Leistung und einem gigantischen 240er Hinterreifen geschaffen. Rund 20.000 verkaufte Diavels pro Jahr zeigen, dass das Konzept der Motorradbauer aus Bologna gut ankommt.

Von den ehemals drei Varianten sind zwei übrig geblieben, die Standard-Diavel für 17.490 Euro und die Diavel Carbon für 20.990 Euro, die mit zahlreichen Kohlefaserbauteilen, einem silbernen Edelstahlschalldämpfer und leichten Schmiederädern hochwertiger auftritt. Das neue Herzstück beider Modelle ist die jüngste Generation des Testastretta 11-Grad-DS-Motors aus den 1198 ccm-Superbikes, modifiziert für den Einsatzzweck auf öffentlichen Straßen. Der kurzhubige 90-Grad-V-Motor bietet maximal 119 kW/162 PS Leistung bei 9250/min und ein maximales Drehmoment von 130,5 Nm bei 8000/min. Damit hat die Diavel besonders im unteren und mittleren Drehzahlbereich kräftig zugelegt: Kurz nach dem Anfahren schiebt die Ducati ab 2500 Touren so hemmungslos an, dass die Arme lang werden. Überholmanöver aus dem Rollen meistert sie mit einem leichten Gaszupfer überaus souverän, der Druck in allen Lebenslagen zaubert selbst gestandenen Sportpiloten ein Grinsen unter den Integralhelm.

Überaus souverän

Abgesehen vom direkten Befehl des rechten Handgelenks lässt sich dieser Vortrieb wie bei nahezu jedem über Ride-by-wire-gesteuerten Antrieb fast nach Belieben variieren: Vom Blinkerschalter lassen sich drei verschiedene Motor-Mappings anwählen, die den Charakter des Vierventilers spürbar verändern. Bei der ersten Kontaktaufnahme empfiehlt sich der Urban-Modus. Hier spricht der große V-Motor besonders sanft an und macht höchstens 74 kW/100 PS locker. In der harmonischen "Touring"-Einstellung steht die volle Leistung zur Verfügung, allerdings bei zahmerem Ansprechverhalten, um Touren und sogar die Stadtschleicherei genussvoll zu machen. Zum Brandstifter wird die Diavel im Sport-Modus, wenn 162 PS und das knackige Ansprechen der Drosselklappen für maximale Beschleunigung und ein gerüttelt Maß Adrenalin sorgen. Erst wenn die Drehzahlen in die Höhe gehen, macht dieser Modus Spaß. Eine gewisse Erfahrung sollten die Piloten für dieses Spektakel mitbringen. Entsprechend dem Fahrmodi agiert die achtstufige Traktionskontrolle "DTC" nach vorgegebenem Schema, doch kann der Fahrer das DTC davon unabhängig individuell konfigurieren.

Überarbeitet wurde auch die zweigeteilte, besonders breit geschnittene Sitzbank. In niedrigen 770 Millimetern nimmt eine Sitzmulde das Hinterteil des Piloten auf und bietet ihm eine willkommene Stütze beim kräftigen Anrauchen. Die Ergonomie mit tiefen Fußrasten ist durchaus bequem und bietet nun genügend Bewegungsfreiheit, nur der extralange Tank spannt kürzere Figuren etwas nach vorn an den konischen Lenker. Für Beifahrer kann der serienmäßige Sitzhöcker abgenommen und elegante Soziusfußrasten aus geschmiedetem Aluminium ausgeklappt werden, dann gleitet auch ein Haltegriff in T-Form aus dem Ende der Sitzbank. Allzu lang dürften es Beifahrer dennoch nicht auf dem straffen Polster aushalten.

Überraschend leichtfüßig

Das liegt auch am Fahrkomfort, der eher den Ambitionen sportlicher Naturen entgegen kommt. Die mächtige 50er Upside-Down-Gabel und das geschickt unter der Einarmschwinge platzierte Federbein sind komplett einstellbar und bieten eine sportlich-straffe Abstimmung, die viel zu dem neutralen und handlichen Fahrverhalten beiträgt, das man einem solchen Berg von Motorrad nicht zugetraut hätte - der ellenlange Radstand und die überbreite 240er Heckwalze sehen nach cruisertypisch sturem Geradeauslauf aus. Doch die Ducati belehrt Daten-Theoretiker und Skeptiker in der Praxis nachhaltig eines Besseren.

Überraschend leichtfüßig lässt sich die Italienerin in Schräglage bringen und biegt flott und ohne Umschweife selbst durch Haarnadelkurven. Stoisch hält sie ihre schräge Bahn und den eingeschlagenen Kurs, und in Geradefahrt zeigt sie eine linientreue Stabilität. Nur Asphaltverwerfungen und schnelle Fahrbahnstöße in Schräglage mag sie nicht komplett verdauen, da wird es dann schon mal schnell ungemütlich. Dann hilft ein beherzter Griff in die ABS-bewehrte Bremsanlage, um die brachialen Brembo-Stopper aus dem Supersport-Regal zu heftigen Verzögerungen zu bewegen. Übrigens hält sich hier die Aufstellneigung in engen Grenzen.

Neben dem brachialen Auftritt mit aufgeplusterten Backen und breiten Schultern durch die nochmals vergrößerten Kühlerabdeckungen ist aber die Ausstattung das Besondere an der Diavel. Statt Zündschlüssel aktiviert eine Keycard die Zündung, gestartet wird mit Druck auf den Anlasserknopf unter dem Notaus-Schalter. Neben Blinkern, Tagfahrlicht und Rücklicht gehört erstmals ein Scheinwerfer zur Voll-LED-Ausstattung. Und im farbigen TFT-Display auf dem Tank finden sich neu eine kleine und schwer ablesbare Tankanzeige sowie eine Seitenständer-Warnleuchte. Nicht zuletzt aus optischen Gründen wurde der schräge Doppelschalldämpfer gekürzt: Jetzt vergrößern die besser erkennbare formschöne Einarmschwinge und die beeindruckende Acht-Zoll-Felge aus geschmiedetem Leichtmetall der Carbon-Version die gewaltige Präsenz der Diavel.

Mit der neuen Diavel hat Ducati den Charakter des einzigartigen Konzepts weiter geschärft: Noch mehr agiler Fahrspaß über Land, noch mehr Hingucker-Potential in der Stadt. Dafür nehmen die extrovertiert veranlagten Interessenten den um achthundert auf 20.990 Euro gestiegenen Preis der Diavel Carbon vermutlich lässig in Kauf.


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