zurück zum Artikel

Ladeinfrastruktur: Ist ein Ende des Chaos beim Bezahlen von Strom für E-Autos in Sicht?

Die Rechnung, bitte

Autos Christoph M. Schwarzer
Elektroautos, Hybridantrieb, alternative Antriebe

Einem normalen Menschen ist es völlig unverständlich, warum die Ladesäulen weder Bargeld noch EC-/Kreditkarte nehmen. Was wir brauchen, ist eine europäische Lösung, die das Bezahlen so niederschwellig wie möglich macht. Kommt der richtige Vorschlag von Lichtblick?

Hamburg / Aachen (15. Juni 2015) – Das uneinheitliche Bezahlsystem an Ladesäulen ist eine der übelsten lebenspraktischen Einschränkungen der Elektromobilität. Bargeld, EC- oder Kreditkarte? Kenne ich nicht, meldet der öffentliche Energiespender. Stattdessen müssen die Fahrer das Identifikationsmittel dabei haben, das der Betreiber des jeweiligen Ladepunkts herausgibt. Meistens sind das spezielle RFID-Karten; manchmal ist eine App erforderlich oder SMS-Payment möglich. Klar ist: Niemand (außer den Tesla-Treibern an den Superchargern) kommt durch die Republik, ohne sich vorher genau zu informieren, wo er wie Strom zapfen kann – und abgerechnet wird dann mal nach Kilowattstunde, mal nach Zeit und mal nach, ja was eigentlich?! Jedenfalls können die Tarife extrem schwanken, und der lokale Versorger bestimmt den Preis. Dieses Tohuwabohu muss dringend bereinigt werden.

Einen Vorschlag zur Lösung des Problems macht jetzt Gero Lücking, Vorstand für Energiewirtschaft des Hamburger Ökostromanbieters Lichtblick SE: „Unsere Vorstellung ist, dass die Ladesäule dem Verteilnetz zugeschlagen wird.“ Mit dieser Kernforderung, so Lücking, gehöre die Infrastruktur dem jeweiligen Verteilnetzbetreiber.

Dieses Modell, das sich für den Laien zuerst nach einer reinen Bürokratiefrage anhört, hätte mehrere Vorteile: Zum einen liegt die Aufsicht bei der Bundesnetzagentur, womit das Ende der energiewirtschaftlichen Kleinstaaterei gekommen wäre. Jeder Stromlieferant hätte zu jedem Zählpunkt in Gestalt einer Ladesäule einen Anspruch auf ungehinderten – im Juristendeutsch diskriminierungsfreien – Zugang. Übersetzt: Wer zu Hause in der Garage zum Beispiel Lichtblick tankt, kann das auch unterwegs tun. „Das ist eine reine Softwaresache“, erklärt Gero Lücking zuversichtlich, „die Verträge mit den Verteilnetzbetreibern haben wir ohnehin.“

Der Kunde fährt also mit seinem Batterie-elektrischen Volkswagen e-Golf, Kia Soul EV oder BMW i3 zu einer Ladesäule, stöpselt sein Fahrzeug an, muss sich im besten Fall wie bei Tesla gar nicht identifizieren (das macht die IT von selbst), und was bezahlt werden muss, erscheint am Monatsende auf der Stromrechnung.

Alle Haushaltsstromverbraucher würden zahlen

„Hierzu muss der Gesetzgeber nur eins deutlich machen, nämlich dass die Ladesäulen zum Verteilnetz gehören“, so Gero Lücking. Die Finanzierung der Infrastruktur würde dann über das Netzentgelt erfolgen, das etwa in Hamburg 5,5 Cent pro Kilowattstunde beträgt und von allen Haushaltsstromkunden bezahlt werden muss. Eine eventuelle Erhöhung dieser Gebühr wäre minimal, weil selbst kleinste Nachkommabeträge ausreichen, um insgesamt hohe Summen einzuspielen. Zur Einordnung: In Deutschland werden pro Jahr je nach Konjunkturlage circa 600 Terawattstunden Strom verbraucht und noch mehr produziert.

Bei Lichtblick ist man sicher, im Zweifel auch vor europäischen Gerichten Recht zu bekommen, weil Marktderegulierung ein Grundprinzip der EU ist. Eine Überzeugung, in der eine leise Drohung steckt – wir wollen unseren Lösungsvorschlag durchsetzen, lautet die Botschaft.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Idee einer zum Verteilnetz gehörenden Infrastruktur in sich schlüssig, konsequent und, wenig verwunderlich, im Interesse von Lichtblick ist. Das wäre zwar ein starker staatlicher Eingriff – aber wer sonst könnte den aktuellen Wildwuchs stoppen?

Kontroverse Positionen zum Vorschlag des Ökostromanbieters Lichtblick gibt es trotzdem. Eine davon vertritt Dr. Mark Walcher, Geschäftsführer von Smartlab, Betreiber von Ladenetz.de sowie Sprecher der deutsch-niederländischen Plattform e-clearing.net. Das Unternehmen gibt eine der umfassendsten Ladekarten heraus: An den Säulen von über 50 Stadtwerken sowie bei diversen Roaming-Partnern von EWE über Vattenfall bis EnBW kann damit Strom in die Batterien gefüllt werden. Mit im Boot sind außerdem wichtige europäische Player wie The New Motion, und mehrere Autohersteller (BMW, Mitsubishi, Nissan, Volkswagen und Audi) setzen ebenfalls auf Ladenetz.de.

Im Sinne der Energiewirtschaft

„Auf den ersten Blick erscheint es charmant, wenn die Infrastruktur zum Verteilnetz gehört“, räumt Walcher ein. Aber „der Ansatz ist zu verengt auf die bisherige Energiewirtschaft, den Elektromobilität ist mehr als der Netzbetrieb.“ Was Mark Walcher damit meint, sind die vielen neuen Geschäftsmodelle. ALDI zum Beispiel errichtet Ladesäulen auf den Kundenparkplätzen, und IKEA denkt ebenfalls über diese Servicedienstleistung nach. „Wenn Aufsicht und Regulierung bei der Bundesnetzagentur liegen, würden kreative Angebote beschnitten oder abgeschafft.“

Das Modell des Geschäftsführers von Ladenetz.de sieht anders aus: Jeder, der das möchte – also Unternehmen wie Hotels, Autohändler oder einfach alle anderen – kann weiterhin eine öffentlich erreichbare Ladesäule aufstellen. „Die IT-Identifikation muss genauso leicht sein wie der räumliche Zugang“, fordert Walcher. Zuletzt hätte sich dafür das offene OCTP-Protokoll bewährt: „Voraussetzung ist eine intelligente Ladesäule“, erklärt Walcher. Das klingt selbstverständlich, ist es technisch aber noch nicht.

Die größte Kritik von Walcher am Lichtblick-Vorschlag richtet sich gegen den IT-Aufwand, der getrieben werden muss, um an jeder Ladesäule die Abrechnung von über 900 Stromversorgungsunternehmen zu gewährleisten. Hier würde ein „IT-Moloch“ geschaffen, über den sich „außer den Beratern“ niemand freuen könne.

Zweifelhaft sei weiterhin, dass über das Netzentgelt, einer Abgabe, die jeder Haushaltskunde unabhängig von der Kaufkraft oder der Nutzung eines Elektroautos bezahlen muss, die Lade-Infrastruktur finanziert werden solle. „Mir wäre ein weniger restriktives Modell lieber, in dem der Betreiber der Ladesäule selbst entscheiden kann, was er wo aufbaut, welchen Preis er für den Strom nimmt oder ob er ihn verschenkt.“ Elektrische Energie könne eben ein Service- oder Convenience-Angebot der Autohersteller oder Teil eines neuen Mobilitätskonzepts sein. Und wieder: siehe Tesla.

Europäisches Denken ist notwendig

In der Gemengelage aus politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen, klassischen und grünen Stromversorgern, der Autoindustrie und völlig neuen Unternehmen wird es Lichtblick nicht leicht haben, die eigenen Interessen auf ganzer Linie umzusetzen. Denn aus Endnutzersicht zählt zuerst, dass er mit seinem Renault Zoe oder Nissan Leaf ans Ziel kommt. Die zwingende Notwendigkeit, unterwegs grundsätzlich immer über den selbst gewählten Anbieter abzurechnen, besteht nicht. Hauptsache, der Strom fließt überhaupt. Oder?

Elementar ist außerdem, dass eine europäische Perspektive eröffnet wird: Bis 2020 sollen sich die Reichweiten Batterie-elektrischer Autos im Kompaktsegment verdoppeln. Spätestens dann muss die Lade-Infrastruktur so organisiert sein, dass deutsche Fahrer in Frankreich, den Niederlanden oder Dänemark niederschwellig bezahlen können und umgekehrt. Bei Teslas Superchargern geht das. Hier lässt sich nur kritisieren, dass es kein gutes psychologisches Signal ist, wenn Energie scheinbar umsonst abgegeben wird.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2689823