zurück zum Artikel

Getrag setzt bei seinen DKGs auf Modulkonzepte, Hybridisierung und mehr Varianten

Erfahrungssprung: neue Doppelkupplungsgetriebe von Getrag

Technik Gernot Goppelt

Der Hersteller mit dem größten Portfolio an Doppelkupplungsgetrieben setzt bei seinen neuen DKGs auf modularen Aufbau und Hybridisierung. Zudem wird zukünftig ein Drehmomentbereich von 150 bis 500 Nm abgedeckt

München, 17. Oktober 2012 – Den Kampf um Marktanteile in Wachstumsmärkten wie China führen nicht nur die Automobilhersteller. Große Zulieferer sind genauso daran beteiligt – versuchen möglichst sogar Markttrends zu setzen, um sich quasi ihren eigenen Markt zu bereiten. Besonders auffällig ist dies in der Getriebetechnik, hier konkurrieren zudem unterschiedliche Getriebekonzepte wie CVT, DKG und Wandlerautomat. Der Getriebehersteller Getrag reagiert darauf mit neuen Doppelkupplungsgetrieben, die nach einem modularen Entwicklungs- und Fertigungsansatz entstehen. Für Europa interessant ist dabei vor allem das 7DCT300, das es auch in einer Hybridvariante geben wird.

Kampf der Getriebekonzepte

Auf dem "Getrag Drivetrain Forum" im September diskutierten Fachleute über die Zukunft der Getriebetechnik und natürlich der Doppelkupplungsgetriebe [1] im Besonderen. Getrag-Manager Bernd Eckl veranschaulichte, wie sich der weltweite Getriebemarkt derzeit entwickelt. Die Produktion von Pkw und leichten Pick-ups wird demnach in Brasilien, Indien und China etwa 2015 jene der "reifen" Märkte überholen. In China will der Zulieferer davon profitieren, dass er mit seiner Produktpalette ein großes Stück des zu verteilenden Kuchens abdecken kann – Getrag produziert Handschaltgetriebe ebenso wie Doppelkupplungsgetriebe. Derzeit haben in China 64 Prozent der Pkw eine Handschaltung, 4 Prozent ein Doppelkupplungsgetriebe (DKG) und 5 Prozent ein CVT. 2018 rechnet Getrag mit 57 Prozent bei den Handschaltgetrieben und 11 Prozent Doppelkupplungsgetrieben, aber auch 9 Prozent CVTs. Ob heute oder morgen: Getrag kann somit 68 Prozent des Marktes bearbeiten – bei absolut wachsenden Zahlen, sofern der Bedarf in China nicht wider Erwarten stagniert.

Die drei Konkurrenten bei automatischen Getrieben sind Wandlerautomatik, DKG und CVT. Das automatisierte Schaltgetriebe ist ein Sonderfall, weil es deutlich weniger Schaltkomfort bietet. Getrag erwartet, dass DKGs und CVTs dem Wandlerautomaten Marktanteile wegnehmen werden. Allerdings wird man gerade in jungen Märkten wie China besonders um die Kunden kämpfen müssen. Japanische Unternehmen werden versuchen, Ihre CVTs in China zu etablieren und dabei mit dem Komfortvorteilen im Stadtverkehr argumentieren. Verfechter des DKGs werden den besseren Wirkungsgrad in den Vordergrund rücken und plausibel machen wollen, dass ein "stufiges" Schalten nicht notwendigerweise mit weniger Komfort verbunden ist. Ironischerweise könnte bei dieser Konkurrenzsituation die immens starke Position des Volkswagen-Konzerns in China helfen, weil mit ihm zweite Großserienhersteller von DKGs hilft, den Boden zu bereiten.

Kleines DKG für kleine Autos

Allerdings stellen die Märkte hinsichtlich Motorisierung, Verkehrssituation und Fahrerverhalten ganz unterschiedliche Anforderungen. Getrag reagiert darauf mit einer feineren Abstufung seines Angebots und einer Erweiterung des Drehmomentspektrums nach unten. Für Märkte wie China kommt zum Beispiel das geplante 6DCT150 infrage, das etwas abweichend von der Nomenklatur Drehmomente bis 170 Nm verkraftet. Das 6DCT150 wird eine elektromechanische Schaltaktuatorik haben wie heute bereits das 6DCT250, welches beispielsweise beim Renault Mégane und in diversen Ford-Modellen im Einsatz ist. Just am 16. Oktober wurde übrigens das millionste Getriebe dieses Typs gefertigt. Wie beim 6DCT250 erfolgt das Schalten der Gänge per elektromotorisch bewegter Schaltwalze, wobei dem 6DCT150 eine Schaltwalze genügt. Ein weiterer Unterschied: Das 6DCT150 wird nasse Kupplungen haben, weil sie bei extremen Bedingungen wie sehr hohen Temperaturen oder überladenen Fahrzeugen – in Asien nichts Ungewöhnliches – mehr thermische Reserven bieten. Das 6DCT150 wird es zudem in einer Hybridversion geben, bei der ein hoch drehender Elektromotor für Unterstützung sorgt.

Mit seinen Spezifikation dürfte sich das 6DCT150 sowohl für Wachstumsmärkte eignen, in denen noch schwächere Motorisierungen gängig sind, als auch für Kleinwagen in Europa. Darüber wird in Zukunft das bereits eingeführte 6DCT250 rangieren, das ab 2013 auch im chinesischen Werk Nanchang gebaut werden soll. Und "wir arbeiten bereits hart an der Entwicklung der nächsten Generation, des 7DCT300", sagt Getrag-CEO Mihir Kotecha. Wie das 6DCT150 wird es nasse Kupplungen haben und als Hybridversion angeboten werden – und zwar mit dem gleichen Elektromotor wie das 6DCT150. Das 7DCT300 soll vor allem die Fahrzeugsegmente B bis D abdecken, also einen breiten Bereich der in Europa angebotenen Fahrzeuge vom Kleinwagen bis zum Mittelklasse-Pkw.

Neue Erfahrungswerte für die Mittelklasse

Man könnte das 7DCT300 als eine Verfeinerung des 6DCT250 begreifen, welches übrigens weiterhin angeboten wird. Der erste Unterschied besteht offenkundig in einem Gang mehr, was eine höhere Spreizung erlaubt, ohne dafür größere Drehzahlsprünge in Kauf nehmen zu müssen. Zweitens hat sich Getrag beim neuen 7-Gang-DKG für nasse Kupplungen entschieden, trotz eines im Prinzip etwas geringeren Wirkungsgrades – der sich mittlerweile aber gut beherrschen lässt. So kommt zum Beispiel eine neuartige, besonders effiziente Ölversorgung für die Doppelkupplungen zum Einsatz. Sie beruht auf einer sehr kleinen Ölpumpe, die von einem Elektromotor angetrieben wird. Der Druck wird direkt in den Kupplungszylinder eingeleitet, ohne eine hydraulische Steuerung mit Ventilen zwischenzuschalten. Für beide Kupplungen ist diese Aktuatorik separat vorhanden. Getrag verspricht ein sehr schnelles Reaktionsvermögen der Hydraulik, komfortable und schnelle "Schaltvorgänge" und sehr feinfühlige Anfahrvorgänge sowie ein geschmeidiges "Kriechen". Zudem sind wie gesagt die thermischen Reserven deutlich höher, wenn das Fahrzeug unwirtlichen Bedingungen ausgesetzt ist.

Im Vergleich zum 6DCT250 fast unverändert ist beim 7DCT300 die originelle Schaltaktuatorik mit zwei elektromechanisch betätigten Schaltwalzen. Laut Getrag können dabei viele Gleichteile verwendet werden. Die Kombination mit dem elektrohydraulischem Kuppeln schafft auch hier die Voraussetzung für Anwendungen, bei denen Schalten und Kuppeln möglich sein müssen, wenn der Verbrennungsmotor nicht läuft. Das gilt zum Beispiel für Start-Stopp-Systeme, die sich derzeit immer mehr durchsetzen. Hinzu kommt das Segeln bei abgestelltem Motor, also das Rollen bei leichtem Gefälle, bei dem der Motor abgekoppelt werden muss, damit die Schleppmomente das Fahrzeug nicht einbremsen. Ebenso ist die Elektrohydraulik/Elektromechanik Voraussetzung für Hybridantriebe, bei denen die autarke Getriebebetätigung ebenfalls möglich sein muss. Schließlich braucht man sie, um die Gänge "nachzuführen", wenn sich etwa beim Segeln die Geschwindigkeit verändert.

Wie das 6DCT150 wird es auch das 7DCT300 als Hybridvariante geben – sie heißt gemäß der üblichen Getrag-Nomenklatur 7HDT300. Wenn man sich Bild 1 und 2 anschaut, wird sofort die modulare Bauweise sichtbar. Abgesehen vom angeflanschten Elektromotor und einigen Details wirken die Getriebe praktisch identisch – sie sind es auch in weiten Teilen. Anders als heute meist üblich setzt Getrag nicht auf einen Elektromotor, der räumlich zwischen Motor und Getriebe angeordnet ist, sondern auf einen kleinen hochdrehenden Motor mit Untersetzung. Ein Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass weniger teure Rohstoffe für den E-Motor erforderlich sind. Der theoretische Nachteil, dass er ein ungünstigeres Drehmomentverhalten als ein "großer" Elektromotor zwischen Motor und Getriebe aufweist, ist im Zusammenspiel mit sechs oder sieben Gängen genau das: theoretisch.

Modularität und Menge senken die Preise

Das 7DCT300 könnte bis 2015 auf den Markt kommen. Ein genauer Zeitpunkt ist Spekulation, weil er Sache der Kunden ist, also der Automobilhersteller. Etwa zum gleichen Zeitpunkt wird ein drittes DKG für Front-Quer-Anwendungen marktreif sein – das 7DCT500 – und kurz danach dessen Hybridversion 7HDT500. Auch dieses wird Gleichteile mit den kleineren Geschwistern nutzen, damit es kostengünstiger produziert werden kann. Die modulare Strategie wird einerseits dazu führen, dass DKGs den Automobilherstellern preisgünstiger angeboten werden können. In preissensiblen Märkten wie China ist dies ein wesentlicher Aspekt, um sich gegen die CVTs behaupten zu können. Genau deswegen kann man wohl berechtigte Hoffnung haben, dass DKGs auch bei uns zukünftig preisgünstiger angeboten werden können. Nur ein Beispiel: Im Renault Mégane kostet das Doppelkupplungsgetriebe 6DCT250 (das bei Renault "EDC" heißt) 1300 Euro Aufpreis. Modularität, steigende Stückzahlen und ein passgenaueres Portfolio sollten bewirken können, dass auch 1000 Euro nicht illusorisch sind.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-1731660

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Varianten-des-Doppelkupplungsgetriebes-1127289.html