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Übergrößenballerina

Fahrbericht BMW M850i xDrive

Fahrberichte Christian Lorenz (mit Material von press-inform)
BMW M850i xDrive

Knapp 30 Jahre nach dem ersten BMW 850i mit Zwölfzylindermotor steht jetzt wieder ein Luxuscoupé mit dieser Ziffer an der Spitze des BMW-Programms. Kann der M850i xDrive neben aller technischer Demonstration auch die Herzen ansprechen?

Vor etwa 30 Jahren stellte BMW mit dem 850i ein Luxusklasse-Coupé vor, das die bisherigen BMW-Topcoupés der 6er-Reihe doch recht hemdsärmelig aussehen ließ. Der Achter stieß mit seinem Zwölfzylinder in Leistungs- und Preisregionen vor, die bis dato Aston Martin und Bentley vorbehalten waren. Porsche 928 [1] oder Mercedes 560 SEC hatte BMW mit dem großen Coupé schon überflügelt. Hinzu kam ein technisches Feuerwerk, das der Achter abbrannte.

Perfekt, aber unbeliebt

Kein Fahrzeug diesseits eines Porsche 959 hatte mehr Elektronik und mehr technische Neuheiten zu bieten. Der erste 8er hatte alles, nur keinen Erfolg. Er war zu gut für diese Welt. Als perfekter Granturismo mit hohem Komfort zeigte er, dass die Kunden einen perfekten Granturismo gar nicht wollen. Sie wollen entweder Geschwindigkeit oder Komfort erleben. Der 8er war den Sportwagenkunden zu abgeschirmt und den Komfortcoupékunden zu sportlich.

Neuauflage des Luxuscoupés

Jetzt gibt es wieder einen 8er. Er wartet als M850i xDrive auf der Rennstrecke. Es handelt sich um ein M-Performance-Modell. Das M ist hier nicht mehr als eine Garnierung für das Topmodell der regulären Baureihe. Ein tatsächlich von der Motorsport-GmbH einer richtigen Sportkur unterzogener M8 wird noch folgen. Auf den ersten Blick erscheint der Neue nicht wuchtiger als der schon ziemlich große und schwere alte 8er von 1989. Mit 4851 mm Länge, 1902 mm Breite und 1346 mm Höhe überragt der M850ivon heute den Youngtimer [2] 850i kaum (4780 x 1855 x 1340 mm). Auch das Leergewicht von 1890 kg liegt mit Allradantrieb nur 50 kg höher als beim ersten 8er, der lediglich Hinterradantrieb hatte.

Fahrleistungen wie ein Carrera GTS

Dafür fällt der gegenüber dem Vorgängermodell 650i nochmals um 68 PS erstarkte 4,4-Liter-V8 mit fast doppelt so viel Leistung über das Coupé her. War der Zwölfzylinder mit 300 PS und 490 Nm für heutige Maßstäbe gar nicht so übertrieben, reißen jetzt 530 PS und 750 Nm am M850i herum – und, wie gesagt der richtig sportliche M8 kommt erst noch. Vor dem M-Modell kann einem Angst und Bange werden, denn schon der M850i schießt in 3,7 s auf Landstraßentempo – genau so schnell wie ein heckgetriebener Carrera GTS mit Doppelkupplungsgetriebe. Mit Allradantrieb ist der Carrera 4 GTS nur eine Zehntelsekunde schneller.

Bildschirm statt Kombiinstrument

Ist man in den perfekt konturierten serienmäßigen Ledersportsitz gefallen, so sieht man zunächst auf eine schwarze Scheibe. Nach dem Druck auf den Start-Stopp-Knopf verwandelt sich dieser Bildschirm sich in das Kombiinstrument. Früher waren hier schöne physische Rundinstrumente mit mechanischen Zeigern, jetzt übernehmen gegenläufige Skalen deren Aufgabe, die freiförmig die Ränder des Bildschirms nachfahren. Schon der alte 8er polarisierte mit ineinander geschachtelten Rundinstrumenten für Tacho und Drehzahlmesser.

Anders als die Grafik im alten Achter, die ein Einzelfall blieb, hat sich das neue „Live Cockpit“, wie BMW den Ersatz des Kombinstruments durch einen Bildschirm nennt, bereits jetzt durchgesetzt. Es ist auch im Über-SUV X7 [3]serienmäßig und kann auch dort mit der neuesten BMW-Sprachsteuerung bedient werden. Im neuen 3er [4] ist das System gegen Aufpreis zu bekommen. Die Schärfe der Darstellungen ist sowohl auf dem 10,25 Zoll großen Kombidisplay als auch auf dem 12,3 Zoll großen Mittelbildschirm brillant. Sie lassen sichvielfältigt konfigurieren und den Vorlieben des Fahrers oder Beifahrers anpassen. Es hilft nichts, BMW ist hier nur in der Moderne angekommen, auch wenn mancher darüber trauern mag [5]. Auch das Head-up-Display ist wieder einmal schärfer, detailreicher und besser ablesbar geworden.

Angesichts der technischen Daten und Leistungswerte hatte man schon vermutet, dass der V8 mit den knapp zwei Tonnen des M850i keine Probleme haben würde. Aber wie beiläufig er im Zusammenspiel mit der heckbetonte Allradtechnologie seine unglaubliche Beschleunigung in den Asphalt brennt, beeindruckt nachhaltig. Da gibt es kein Quietschen und kein Qualmen. Geradezu aufreizend neutral pfeilt der neue BMW durch Kurven, die man eigentlich als zu eng und zu schnell für das fette Luxuscoupéeingeschätzt hätte.

Vorausschauende Automatik

Die „M Aktiv“-Allradlenkung und ein M Sportdifferenzial ziehen hier alle Register. Kongenial ist die mit dem GPS vernetzte Achtgangautomatik von ZF in der Lage, den Fahrbahnverlauf zu antizipieren. So lässt es sich aus jeder Kurve mit der optimalen Fahrstufe herausbeschleunigen. Natürlich kann man auch einen Sport+-Fahrmodus wählen und die Gänge per Schaltpaddles durchflippen. Dann macht der Akrapovic-Sportauspuff seine Klappen weit auf und der V8 versucht sich im Heavy-Metal-Soundtrack mit obszönem Zwischengaskrachen.

Zu perfekt für Spaß?

Aber der Perfektionist M850i kann in der Gefühlswertung auch damit nicht wirklich punkten. Seinem Wesen kommt es im Gegenteil näher in die optionale aktive Wankstabilisierung zu investieren. Dann kann man mit zwei Fingern am Lenkrad über Operninszenierungen parlierend, Rachmaninows Klavierkonzert Nummer 2 [6] über die Bowers-und-Wilkins-Anlage hörend auf dem Stilfser Joch einem schwitzend kurbelnden Porsche-993-Piloten davonziehen. Die Frage ist nur, wer zu diesem Zeitpunkt mehr Spaß hat.

Höchste Ingenieurskunst

Das ist genau die Frage, die sich beim neuen 8er stellt. Er hat ein brillantes Fahrwerk und einen leistungsgewaltigen Motor. Mit einem Normverbrauch von 9,7 Litern und Euro-6d-temp-Einstellung ist er hinsichtlich seiner Fahrleistungen geradezu effizient und nachhaltig. Er hat alles an Assistenzsystemen und Autonomiehilfen, die BMW derzeit im Programm hat. Man kann ihn automatisch rückwärts fahren, ferngesteuert parken, per Lenkstockhebel überholen lassen etc.

Schlechte Raumausnutzung

Allenfalls die Raumausnutzung ist nicht genial. Denn viel mehr Platz und Kofferraum (411 Liter) als der alte 8er von 1989 bietet der neue M850i auch nicht. Und dieser wurde damals schon für seine schlechte Raumausnutzung gescholten. Alles andere kann der Neue auf beeindruckende Weise besser als der 850i von 1989.

Auch der M850i xDrive von 2018 ist eine Demonstration des technisch Machbaren. Es stellt sich die Frage, ob ein übermotorisiertes Luxuscoupé mit V8-Power überhaupt noch in unsere Zeit passt. Hätte die Ingenieurskunst, die man im neuen 8er spürt, sich nicht etwas nachhaltiger entfalten können? Zumal das Herz mit den Superlativen, die dieses Auto bietet nicht mitkommt. Würde man mir wahlweise einen 850i von 1989 und einen M850i xDrive für eine Spaßfahrt zur Verfügung stellen, dann würde ich sofort auf den Alten zulaufen. Das Herz ist nicht gerecht. Aber das war es noch nie.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/40-Jahre-Porsche-928-3660398.html
[2] https://www.heise.de/autos/thema/Oldtimer-Youngtimer.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-BMW-X7-4191915.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-BMW-3er-4179258.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Meinung-BMW-zwischen-Zukunft-und-Tradition-4145469.html
[6] https://www.youtube.com/watch?v=rEGOihjqO9w