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Entfesselt

Fahrbericht KTM 1290 Super Duke R MJ 2017

Motorrad Clemens Gleich
KTM

Als die erste Super Duke mit dem 1290er-Motor erschien, lautete die häufigste Kritik "fast schon zu brav". Das 2017er-Modell des Motorrad kann diese Kritik komplett ablegen, obwohl sie mehr Elektronik mitbringt

Nach fünf langen Halbstunden-Turns auf dem Losail Circuit: dicke Unterarme. Ausgeleierte vordere Halsmuskeln. Müde Beine. Und diese komischen kleinen Muskeln an den Rippen melden sich auch. Die neue KTM 1290 Super Duke R ist „quite a workout“, wie der Engländer sagt. Mir hat schon die Vorgängerin sehr gut gefallen, an der die häufigste Kritik lautete: „Fast schon zu brav.“ So etwas zu so einem Drehmomentmonster zu hören, hat KTM vielleicht zu denken gegeben, denn obwohl die Super Duke jetzt in jeder Hinsicht verfeinert und verbessert wurde, wirkt sie irgendwie trotz allem weniger zahm. Vielleicht überschreitet ihre minimale Mehrleistung (jetzt: 177 PS) eine wichtige Grenze. Vielleicht lag es an der Teststrecke. Auf jeden Fall hatte ich schon lange nicht mehr das Gefühl, mit einem Motorrad derart spaßvoll-spielerisch zu sparren. Was war ich müde nach diesem Tag! Aber was war ich auch glücklich! Hier das Testprotokoll des Erstkontakts.

Motor & Getriebe

Der Atomkraftwerk-artige Kraftmeier von Motor, auf dem man sitzt, hat nichts von seinem Reiz verloren durch die Euro-4-Kur. Nirgendwo im Nutzbereich sinkt das Drehmoment unter 100 Nm. Das schon vorher gute E-Gas zusammen mit gleichmäßigerer Verbrennung (wie die 690er Duke hat auch die Super Duke jetzt diese Resonanzkammer am Einlass) sorgt dafür, dass man den Motor wirklich benutzt, statt so viel Angst vor ihm zu haben, dass das Gas immer fast geschlossen bleibt.

Autoblipper

Es gibt jetzt einen Autoblipper zum Herunterschalten (Aufpreis-Option). Hochschaltautomat Serie. Die Sensorik errechnet aus vielen Parametern, wie schnell sie die Drehzahl der Getriebeeingangswelle anpasst, und offenbar hat sie dabei eine andere Meinung als ich und andere Fahrer. Hochschalten dauert auffällig viel länger, als wenn du selber das Gas kurz blippst. Herunterschalten funktioniert okay.

Endlich kann man das Ansprechverhalten von E-Gas und Traktionskontrolle getrennt einstellen (im Track-Modus). Vorher konnte man sie nur gleichzeitig schalten. „Sport“ hieß also Sport für TK und Gasgriff.

Wheelies

Jeremy McWilliams lupfte noch im 5. Gang das Vorderrad. Nun ist Jeremy eben … Jeremy, aber Fakt ist: im dritten Gang kommt das Ding am Gas vom Boden hoch wie ein Ofenhund, der eine Wurst gerochen hat.

Früher hat man KTM ja für brettharte Standardsettings kritisiert. Bei der R ist es eher zu weich. Es gibt in Losail eine lange Links, auf der man in einiger Schräglage hochschaltet. Bei jedem Motorrad hat das ziemlich geschwabbelt, auch wegen der erwähnten Zeit, die sich der Not-so-Quickshifter nimmt. Bei den dicken Gorillas sah es aus wie eine Rodeoeinlage. Da möchte ich gelegentlich noch einmal schauen, ob man das Standardfahrwerk entsprechend beruhigt kriegt. Die höhergelegte Racing-Version mit härterem Fahrwerk und lauter PowerParts hat dieses Problem nicht.

Großes Vertrauen

Die Rasten liegen standardmäßig recht niedrig für das große Vertrauen, dass die Super Duke dir gibt. Als bekannt fauler Mensch furchte ich nach wenigen Kurven auf den Rasten herum und musste deutlich mehr Gewicht als gewohnt nach kurveninnenwärts bewegen. Es gibt höhere Rasten, bei denen meine breiten Füße dann aber schliffen. Auch hier: Racing-Version besser, weil höhergelegt.

Die Brembo M50 bremsten so, wie sie das an den meisten ihrer Einsatzorte tun: tadellos. Die Bremsanlage ist mit Boschs Kurven-ABS „MSC“ ausgestattet. Das hat mich wie auf meiner Duke R auch eher irritiert als dass es mir half. Auf der Duke bringt es unverhersehbare Bewegung ins Fahrwerk durch die Höhe der 690er; auf der Super Duke tut sie es wahrscheinlich aufgrund der Fahrwerks-Weichheit. Der KTM-Mann empfahl das, was ich auch auf der Duke in Oschersleben tat: ABS-Modus „Supermoto“, denn dort wird nur vorne geregelt, nur gegen Blockade, nicht gegen Überschlag. Kein vorne-hinten-vorne-Gebremse des MSC. Die Ergonomie hat sich etwas geändert, der Fahrer sitzt minimal aggressiver, weil der Lenker minimal weiter vorn und tiefer sitzt. Passt mir sehr gut.

Elektronik & Software

Wie befürchtet rollt KTM die schlecht lesbaren, weil stark spiegelnden italienischen TFT-Displays von Cobo über die gesamte Range aus, mit Ausnahme des großen Displays der Super Adventure, die ein Däschbord aus Deutschland kriegt (Bosch). Fast alle Punkte, die auf der 690 Duke den Tacho so nervig machten, hat KTM in der Software der 1290 behoben. Die Lampe regelt im Dunklen runter, sodass sie nicht blendet. Es gibt eine Tageskilometeransicht auf der Hauptansicht.

Man kann die Drehzahl fast schon lesen. Es erscheinen nicht ständig bildschirmfüllende Warnungen. Wer das für Selbstverständlichkeiten hält, kennt den Tacho der Duke nicht. Es bleibt ein sehr stark spiegelndes Deckglas, hinter dem du je nach Sonnenstand gar nichts mehr erkennst, was auf diesem Tacho vor sich geht. Pluspunkt: Die Einheit ist sehr klein, sodass die Linie der Super Duke viel schöner aussieht als vorher mit dem Riesentrumm.

Launch Control

Rennstarthilfe, die dir bis zum Schaltvorgang in den Vierten das Rad maximal beschleunigend eben so am Boden hält. Nur die Kupplung muss man noch selber kommen lassen. Wenn man das schafft, kann man sehr schön reproduzierbare Sprints von um die 3 s auf 100 km/h hinlegen. KTMs Testfahrer kommen damit „konsistent“ unter 3 s. Das ist in etwa das geometrische Optimum dieses Motorrads. Wer schneller beschleunigt, dem steigt das Rad und er wird langsamer. Der Tempomat ist jetzt ergonomisch besser links am Lenker statt am Gasgriff wie bei der GT. Selbst zurückstellende Blinker.

Keyless-System

Wie bei BMWs Keyless-Krädern (z. B. R 1200 R) auch reicht es, den Keyfob in der Jacke zu haben, um das Motorrad zu starten, das Lenkschloss zu ver-/entriegelnd oder den Tankdeckel zu öffnen. Wie beim Auto auch eröffnet das der derzeit beliebtesten Methode des Fahrzeugdiebstahls die Tür: Signal verlängern und mit der Maschine wegfahren, während dein Keyfob in deiner Schublade liegt oder in deiner Jacke im Restaurant der Mittagspause. Du kannst dein Smartphonevia Bluetooth mit dem Dashboard verbinden und Musik hören oder Anrufe ins Headset per Lenkerknopf entgegennehmen. Ausgehende Anrufe vom Lenker aus sind nicht vorgesehen.


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