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Polarisierend

Fahrbericht: Polestar 1

Fahrberichte Jürgen Wolff, press-inform
Polestar 1

Der Polestar 1 ist ein Grand Tourer mit Leichtbau-Karosserie, Hybridantrieb und hoher Leistung in der Gewichtsklasse eines Full-Size-SUV. Mit seiner dynamisch gezeichneten Karosserie erinnert am „Electric Performance Hybrid“ nur wenig an die Produktarchitektur des Volvo S90

Der „Electric Performance Hybrid“ ist ein Grand Tourer mit Leichtbau-Karosserie, Hybridantrieb und hoher Leistung in der Gewichtsklasse eines Full-Size-SUV. Mit seiner dynamisch gezeichneten Karosserie erinnert am Polestar 1 nur wenig an die Produktarchitektur des Volvo S90. Anders als diese brave Limousine taugt er – 4586 mm lang, 1958 breit und nur 1352 mm hoch – zum Hingucker.

Lenkrad, Sitze, Pedale, Griffe – alles zeigt sich in der erwarteten Verarbeitungsqualität, die Materialien haben die entsprechende Klasse. Dabei ist das alles made in China: Alle Polestar 1 kommen aus dem neuen Werk in Chengdu.

Platz für zwei gibt es im Innenraum genug, trotz des breiten Mitteltunnels, unter dem sich eines der beiden Akkupacks verbirgt. Das zweite liegt über der Hinterachse und verknappt dort den Stauraum. Die Kabelanschlüsse der Batterieelektrik im Kofferraum leuchten orange hinter einer Plexiglasabdeckung hervor. Die beiden Notsitze in der zweiten Reihe taugen gerade mal als zusätzliche Gepäckablage zur Ergänzung des nur 126 Liter fassenden Laderaums im Heck. Volvo gibt ein Volumen von 143 Litern an, der kleinere Wert ergibt sich abzüglich des Pakets mit dem Ladekabel.

Drei E-Maschinen, Ottomotor, Turbolader, Kompressor und Automatik

Vorn zieht ein mit Turbolader und Kompressor unter Druck gesetzter Vierzylinder mit 1969 cm3 Hubraum, 227 kW Leistung und einem maximalen Drehmoment von 435 Nm, das von einer Achtgang-Wandlerautomatik verwaltet wird. Hinten [1] schieben zwei Elektromotoren mit jeweils 85 kW und 240 Nm Drehmoment, die über ein Planetengetriebe miteinander verbunden sind, aber unabhängig voneinander geregelt werden. Dazu kommt ein Riemen-Startergenerator, der mit 52 kW und einer Drehkraft von 161 Nm direkt auf die Kurbelwelle wirkt. Die Gesamtleistung gibt Volvo mit 447 kW an, das maximale Drehmoment mit 1000 Nm. Technik-Overkill? Definitiv!

Batterieelektrisch angetrieben erreicht das Hybridmodell 160 km/h, die Höchstgeschwindigkeit ist bei 250 km/h abgeregelt. Das 34 kWh große Batteriepaket ermöglicht eine elektrische Reichweite von 125 Kilometern, zurückgerechnet in den gnädigen NEFZ [2]. Das langt reichlich, um innerhalb der Stadt oder der nahen Umgebung durchweg lokal emissionsfrei unterwegs zu sein. Zudem ist dank der üppigen elektrischen Leistung die Rekuperation sehr effektiv. Man spürt das beim Einpedalfahren in der entsprechenden Einstellung – dann verzögert der Polestar kräftig. Offiziell liegt der Benzinverbrauch bei 0,7 Liter auf 100 Kilometer und der CO2-Ausstoß bei 15 g/km.

Unterschwellig aggressiv

Bei unseren Fahrten über sehr kurvige Straßen im hügeligen Gelände war der Akku auch nach 150 Kilometer Strecke und trotz vieler Elektropassagen noch mehr als halb voll. Ein leergefahrener Akku kann mit bis zu 50 kW in weniger als einer Stunde an der Schnellladesäule gefüllt werden. Der Hybridmodus priorisiert das elektrische Fahren. Springt dennoch der Benzinmotor an, so ist das allenfalls an der Anzeige im Kombiinstrument zu merken – und am leise aggressiven Klang.

Service-Stopp-Atmosphäre

Der Volvo hat, wie im Segment zu erwarten, adaptive Dämpfer, die ihre Rate der aktuellen Fahrsituation anpassen. Es sind DFV (Doppeldurchflussventil)-Dämpfer von Öhlins, in denen Zug- und Druckstufe in weiter Spreizung auf verschiedene Anforderungen einstellbar sind. Ausgeliefert wird der Zweisitzer mit einer mittleren Einstellung, doch die ist bereits (un)ziemlich hart.

Authentischer mit Service-Stopp- statt Videospiel-Atmosphäre

Die Wahl der verschiedenen Setups zwischen sportlich und komfortabel ist beim Polestar 1 allerdings ein wenig umständlicher als bei den gewohnten adaptiven Fahrwerken: Zum Umstellen auf mehr Komfort öffnet man die Motorhaube, dreht die Rändelschrauben oben an den Öhlins-Dämpfern links und rechts entsprechend (22 Stufen sind möglich). Dann hebt man mit dem Wagenheber den Polestar am rechten Hinterrad, bis die Hand gut zwischen Rad und Radkasten passt, ertastet die Gummiabdeckung über der Rändelschraube und nimmt sie ab. Dann muss man nur noch die Schraube entsprechend aufdrehen, die Gummiabdeckung wieder aufsetzen, die Karosserie ablassen und das alles am linken Hinterrad wiederholen. Der Polestar 1 gleitet anschließend deutlich entspannter über den Asphalt, quittiert Schlaglöcher nicht mehr ganz so ungnädig.

Präzis und entspannt durch die Kurven

Wer will, der kann den trotz kohlefaserverstärkter Leichtbauteile in der Karosserie immerhin 2,35 Tonnen schweren Hybrid-GT in gerade mal 4,2 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 katapultieren. Auf nasser Straße braucht die Elektronik allerdings einen Moment, den Grip zu sortieren und ein leichtes Schlingern einzufangen. Durch Serpentinen wieselt sich der Polestar präzis und auch bei hohem Drehmomenteinsatz entspannt. Ein Grund dafür ist die aktive Drehmomentverteilung [3] zwischen den einzelnen Rädern mit den beiden hinteren Elektromotoren, der andere ist ein als „Dragonfly" (Libelle) bezeichnetes Element aus Kohlefaser-Kunststoff, das ähnlich einem Schubfeld die Bodenpartie zwischen den Achsen versteift.

Das Fahrwerk wird den opulenten Antriebskräften gerecht. Gefräste Sechs-Kolben-Alu-Monoblock-Bremssättel von Akebono und 400 mal 38 mm große belüftete und gebohrte Scheiben stellen selbst bei dem hohen Gewicht des Polestar eine für den Betrieb auf öffentlichen Straßen vollkommen ausreichende Bremsleistung zur Verfügung. Die hinteren Bremssättel kommen von Conti und sind mit einer integrierten elektrischen Feststellfunktion ausgestattet. Die hohen Momente von Antrieb und Bremse gelangen über eine Mischbereifung in den Dimensionen 275/30 R21 vorn respektive 295/30 R21 hinten auf die Fahrbahn. Die Erfahrung lehrt, dass so überschwere Autos, dynamisch gefahren, eine Menge davon verschleißen.

Mit einem Preis von 155.000 Euro ist der Polestar 1 deutlich teurer als ein Porsche Panamera Hybrid (Test) [4]. Gebaut werden sollen nur rund 1500 Stück.


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https://www.heise.de/-4595581

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Technik-im-Hybridantrieb-Die-elektrische-Sekundaerachse-P4-4208303.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Plug-in-Hybrid-Verbrauchsermittlung-im-WLTP-4225028.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Wie-4x4-Hybrid-Antriebe-die-Fahrdynamik-neu-definieren-4410357.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Porsche-Panamera-4-E-hybrid-Sport-Turismo-4354430.html