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Fahrbericht: Triumph Bonneville T100 Black

Die Entdeckung der Langsamkeit

Motorrad Ingo Gach
Nein, das ist kein Oldtimer mit einem halben Jahrhundert auf dem Buckel, sondern kommt frisch vom Triumphhändler. Die Bonneville T100 Black ist eines der gelungensten Retro-Bikes überhaupt.

Eigentlich wollte ich keine Bonneville fahren. Zwar fand ich sie immer ganz hübsch, aber die technischen Eckdaten stießen bei mir auf keine große Resonanz. Dann kam der Tag, an dem die Tiger zur Inspektion musste und mich der Triumphhändler aufklärte, dass nur eine Bonneville als Ersatz zur Verfügung steht

Köln, 18. August 2014 – Eigentlich wollte ich keine Bonneville fahren. Zwar fand ich sie immer ganz hübsch, das Retro-Design gefiel mir durchaus: Ein luftgekühlter Paralleltwin, ein Tank mit barocken Rundungen, breiter Lenker, Stereofederbeine, viel Chrom und ansonsten nix dran, was man nicht wirklich braucht. Die Reduzierung auf das Wesentliche. Aber die technischen Eckdaten stießen bei mir auf keine große Resonanz: „nur“ 68 PS und dann 230 kg Leergewicht. Das versprach keine große Dynamik, und so hatte ich mich immer davor gedrückt, die Bonneville oder die Stummellenker-Schwester Thruxton zu chauffieren. Sollten andere die Retro-Britinnen testen, ich wollte einen Motor, der richtig „drückt“ und ein komplett einstellbares Fahrwerk, das auch bei 200 km/h in Schräglage noch alle Bodenwellen rausfilterte.

Dann kam der Tag, an dem die Tiger zur Inspektion musste und mich der freundliche Triumphhändler aufklärte, dass leider nur eine Bonneville als Leihfahrzeug zur Verfügung stand. Die restliche Modellpalette war wegen strahlenden Sonnenscheins schon zu Probefahrten ausgerückt. Eine Bonneville! Noch dazu die auf ganz alt getrimmte T100 Black mit dem Peashooter-Auspufftöpfen, Gummischonern am Tank und dem merkwürdigen Blechbügel zur Halterung des vorderen Kotflügels. Die wollte wohl keiner Probe fahren, dachte ich verächtlich. Immerhin hatte sie, im Gegensatz zur Standard-Bonneville, die hübschen Drahtspeichenfelgen, vorne in 19 statt 17 Zoll. Gussfelgen passen einfach nicht zu einem Retro-Bike.

Auf alt getrimmt und doch modern

Es half nichts, wenn ich weg wollte, musste es die Bonneville sein. Ist ja nur für einen Tag, redete ich mir gut zu, abends wäre die Tiger ja bereits fertig. Grummelnd nahm ich den Schlüssel entgegen und schlurfte missmutig nach draußen, wo die kleine Engländerin lässig auf dem Seitenständer lehnte. Ich wollte mit dem Schlüssel schon in Richtung Lenkkopf stechen, aber wo war das verdammte Zündschloss? Nicht da, wo es hingehörte! Das fing ja gut an! Ich fand es schließlich an der Seite hinter dem Scheinwerfer. Wer denkt sich so was aus?

Ich schwang mich auf den Sattel, der für die erste angenehme Überraschung sorgte: Er war richtig bequem. Naja, war ja auch dick genug gepolstert. Nicht so ein mit Kunstleder bezogenes Brett, was manche Hersteller einem als Sitzmöbel unterschieben. E-Starter gedrückt und der Motor ballert sofort rund vor sich hin. Netter Sound, gedämpft, aber irgendwie ansprechend. Paralleltwin mit 360 Grad Zündfolge halt.

Dass die Bonneville seit einigen Jahren wegen der Abgasvorschriften über eine Einspritzung verfügte, wusste ich, aber dennoch musste ich ganz genau Hingucken, um zu erkennen, dass die Benzinaufbereitung tatsächlich nicht mehr von einem Vergaser vorgenommen wurde. Das Teil sah täuschend echt nach einem Doppelvergaser aus! Da hat Triumph sich redlich Mühe gegeben, um die Nostalgiefans ruhig zu stellen.

Wirklich nur 68 PS?

Den ersten Gang eingelegt und es machte noch nicht einmal vernehmlich „Klong“! Im Gegenteil, das Getriebe schaltete sich flüssig und ohne Anstrengung. Erwartete man bei so einem Pseudo-Oldtimer irgendwie gar nicht. Dafür aber nur fünf Gänge. Naja, ist ja auch nicht viel Kraft zu verteilen, dachte ich. Aber dann gleich der nächste Aha-Effekt: Die Bonnie beschleunigte richtig flott. Okay, natürlich kein Vergleich zu den hyperpotenten Sportbikes, die den Spurt von 0 auf 100 in der halben Zeit schaffen, aber von den vollgetankt 230 kg Eigengewicht merkte man überhaupt nichts. Das sollten wirklich nur 68 PS sein? Hatte mich mein Gedächtnis im Stich gelassen oder hatte Triumph mittlerweile ein paar PS nachgelegt, von denen ich noch nichts wusste?

Ich gestehe, dass ich in der ersten Fahrpause direkt den Fahrzeugschein rauskramte. Nein, es waren immer noch 50 kW bei 7500/min. Gefühlt hätte ich auf einige Pferdestärken mehr getippt. So kann man sich auch als vermeintlich erfahrener Motorradjournalist noch irren. Es lag vielleicht auch an dem fülligen Drehmoment schon bei niedrigen Touren, der die Illusion von mehr Kraft erzeugte. Am schönsten war es, den 865-cm3-Motor im mittleren Drehzahlbereich einfach blubbern zu lassen. Das machte richtig Spaß!

Auch das Fahrwerk vertrug viel mehr als ich befürchtet hatte, dabei sahen die Telegabel mit den Faltenbälgen und die Stereofederbeine wirklich so aus, als wären sie vom Alteisenhändler aus den 1960er-Jahren übrig geblieben. Ich wagte sogar bezüglich des Fahrverhaltens das Wort Handlichkeit in den Mund zu nehmen. Gut, in ganz engen Kehren musste die Triumph doch etwas nachdrücklich in die Schräglage gebracht werden – irgendwo müssen die 230 kg ja geblieben sein –, aber das war weit entfernt von kraftaufwendig oder gar unwillig. Die vorher noch von mir als lächerlich schmal eingestuften Reifen – ein 100er vorne und ein 130er-Pneu hinten – erwiesen sich nun als dem Handling sehr förderlich. Die Bonnie liebte die Kurven der Eifellandstraßen geradezu. Nur dort, wo die Asphaltdecke mehr Narben aufwies als das Gesicht von Keith Richards, offenbarte die Triumph, dass ihre Federung etwas unterdämpft war.

Ich tastete mich langsam an die maximale Schräglage heran, stets darauf gefasst, dass gleich der Auspuffkrümmer oder Seitenständer mit einem hässlichen Kratzen aufsetzte und mich in die Botanik hebelte, aber das Geräusch blieb aus. Erstaunlich, die Bonneville konnte viel mehr, als ich ihr zugetraut hatte. Allerdings reagierte sie beim raschen öffnen und schließen des Gasgriffs mit dezenten Lastwechselreaktionen. Die Triumph bevorzugte ein gefühlvolle Handhabung, Grobmotoriker waren auf ihr Fehl am Platze.

Freiwillig langsam

Noch viel mehr staunte ich aber über mich selbst. Nach der ersten halben Stunde, wo ich den Gashahn möglichst auf Anschlag gehalten hatte, um zu sehen, was die Bonnie konnte, ertappte ich mich dabei, sie entspannt rollen zu lassen. Einfach den satten Punch des Twins auszunutzen und mehr zu gleiten, denn anzugasen. Genussvoll durch die Kurven zu swingen, anstatt wild hineinzubremsen, zumal die Bremsen zwar ganz anständig verzögerten, aber nicht wirklich brachial zupackten. So eine Fahrweise kannte ich bisher nur von dicken Cruisern, und da war man dazu gezwungen, weil sie einfach nicht schneller können, aber hier tat ich es freiwillig. Was war mit mir geschehen?

Während der nächsten Kaffeepause versuchte ich eine kritische Selbstanalyse. War ich einfach noch nicht richtig wach? Zu niedriger Koffeinspiegel? Hatte ich mich in einem Anfall von Behördengehorsam dem Diktat der Geschwindigkeitsbegrenzung unterworfen? Wollte ich das Leihfahrzeug nicht mutwillig zerstören? Es traf alles nicht zu, stattdessen beunruhigte mich der Gedanke, dass ich einfach Spaß an der eher gemächlichen Fortbewegungsart gefunden haben könnte.

Eine klassische Schönheit

Zur Wahrheitsfindung half nur der Selbstversuch. Ich schwang mich auf die Bonnie, griff nach dem schwarz lackierten Lenker – für mich dürfte er übrigens ruhig noch einen Tick näher an den Fahrer heranreichen – und genoss für einen Augenblick die Aussicht auf die beiden wunderschönen Uhren, links Tacho, rechts Drehzahlmesser. Schwarz unterlegt mit weißen Ziffern wie anno dazumal. Okay, das kleine digitale Display im Tacho störte schon ein wenig den nostalgischen Touch, andererseits wusste ich die dort gelieferten Informationen zu schätzen. Das Zündschloss hätte ich lieber vor dem Lenkkopf, einfach aus Gewohnheit, aber ansonsten war alles so gestaltet, wie ich es auch getan hätte, wenn ich in Hinckley vor einem weißen Blatt Papier gesessen hätte und Triumph-Boss John Bloor mich beauftragt hätte: „Zeichne ein Retro-Bike, das unserer langen Historie würdig ist!“

Allein schon dieser große, verchromte Rundscheinwerfer erstrahlte in zeitloser Schönheit. Die Glühlampe darin übrigens nicht ganz so, sie war ein wenig düster, wenigstens hier hätte sie ihren Vorbildern aus dem vergangenen Jahrhundert nicht nacheifern müssen.

Entspannte Sitzposition

Die Sitzposition passte mir ausgezeichnet: entspannt, aufrecht und ein kleines bisschen nach vorne orientiert, der Kniewinkel optimal. Lag darin das Geheimnis der gutmütigen Beherrschbarkeit?

Eine Yamaha R6 zoomte sich mit kreischendem Motor an mir vorbei, der Fahrer in einteiliger Lederkombi stauchte die Rennsemmel vor der Kurve heftig zusammen und fegte in voller Schräglage hindurch. Der Idiot! Ja, zugegeben, hätte ich auf dem hochgezüchteten Sportler gesessen, wäre ich wahrscheinlich genauso gefahren, aber auf der Bonneville verspürte ich für so ein Verhalten in dem Moment nur Verachtung. Es war die Entdeckung der Langsamkeit, das Genießen des Augenblicks, die Leidenschaft für die sanfte Kraft des Paralleltwins. Ich war verliebt in dieses Motorrad. Vor meinem geistigen Auge ging ich schon das Zubehör durch, mit dem ich die Bonneville T100 aufpeppen würde. Ich rief die Werkstatt an und schob einen fadenscheinigen Grund vor, die Tiger erst am nächsten Tag aus der Inspektion abholen zu können. Ich wollte mit der Bonnie die Nacht verbringen.


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