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Die Unmögliche

Fahrbericht Triumph Scrambler 1200 XE

Motorrad iga
Triumph Scrambler 1200 XE

Es hieß, einen wirklich geländetauglichen Scrambler im Retro-Style zu bauen, wäre unmöglich. Dann kam jemand, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht. Die Scrambler 1200 XE bietet gelungenes Design, liebevolle Details und vor allem mächtige Federwege

Es hieß, einen wirklich geländetauglichen Scrambler im Retro-Style zu bauen, wäre unmöglich. Dann kam jemand, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht. In diesem Fall die Entwicklungsabteilung von Triumph unter Chefingenieur Stuart Wood. Die Scrambler 1200 XE besticht durch ihr gelungenes Design, die liebevollen Details und vor allem durch ihre mächtigen Federwege: 250 Millimeter vorne wie hinten. Das findet man sonst nur im Sportenduro-Bereich. Die voll einstellbare, 47 Millimeter dicke Upside-down-Gabel stammt von Showa und die ebenso komplett justierbaren hinteren beiden Federbeine vom Edel-Hersteller Öhlins. Um es vorweg zu nehmen: Das Fahrwerk funktioniert ausgezeichnet, sowohl on- als auch offroad.

Entwickelt im Hinblick auf den Geländebetrieb

Die Scrambler 1200 XC (für Cross Country) und die noch besser ausgestattete XE (für Cross Extreme) wurden letzten Oktober von Triumph in London vorgestellt [1]. War die Vorgängerin noch ein Straßenmodell mit hochgelegtem Auspuff, 59 PS und bescheidenen Federwegen (120 / 106 mm), das besser nicht im Gelände bewegt wurde, versprach die komplett neu konstruierte Scrambler 1200 XE erfreuliche Offroad-Fähigkeiten. Ihr Aluminium-Schleifenrahmen war im Hinblick auf den Geländebetrieb entwickelt worden, musste aber gleichzeitig auch zuverlässige Fahreigenschaften auf der Straße gewährleisten. Der kraftvolle Motor war bereits aus anderen Triumph-Modellen bekannt und wurde auf die Bedürfnisse der Scrambler abgestimmt.

Gut ausgestattetes Testexemplar

Wir hatten das Glück, nicht nur eines der ersten Exemplare von Triumph Deutschland ausgiebig testen zu dürfen, sondern auch noch eine mit dem Inspiration-Kit „Extreme“. Er besteht aus einem hochgelegten vorderen Kotflügel, Arrow-Doppelschalldämpfer mit Carbon-Endkappen, Alu-Kühlerschutz, gefrästem Öleinfülldeckel, schwarzer Lenkerquerstrebe, Scheinwerfergitter, verbreiterter Auflagefläche des Seitenständers, Motorschutzbügel aus Edelstahl, getönter Scheibe, LED-Blinkern und schmaler Rückleuchte. Zusätzlich waren außerdem ein Tankrucksack, Gepäckträger und eine Satteltasche aus dem Triumph-Zubehör montiert.

Vorbild aus den 60er Jahren

Der erste Eindruck, wenn man vor der Scrambler 1200 XE steht: Sie ist groß. 870 Millimeter Sitzhöhe ist nichts für Kurzgewachsene, zumal der hochgelegte Auspuff auch noch die Schrittbogenlänge vergrößert. Ansonsten beeindrucken die Kotflügel aus gebürstetem Aluminium, ein Tankspannband aus Edelstahl, der gravierte Triumph-Schriftzug auf dem Motordeckel, die gezackten Stahlfußrasten mit Gummi-Einlagen und der Schnellverschluss im Monza-Stil auf dem Tank.

Letzterer ist zwar nur eine Attrappe über dem eigentlichen Tankdeckel, zeigt aber einen Blick fürs Detail. Die Optik weckt Erinnerungen an die legendären Scrambler der 1960er Jahre und Triumph wirbt gerne mit Hollywood-Legende Steve McQueen, der tatsächlich 1964 mit einer Triumph TR6 Trophy an den Sixdays teilnahm.

Kraft in jeder Drehzahllage

Angetrieben wird die neue Scrambler vom bereits aus der Bonneville bekannten 1200 cm3 großen High-Torque-Zweizylinder. Er leistet 90 PS bei 7400/min, doch viel beeindruckender sind die 110 Nm, die bereits bei 3950/min anliegen. Der luftgekühlte Motor der Vorgängerin wurde noch kritisiert, kraft- und charakterlos zu sein – ein Vorwurf, den Triumph jetzt definitiv ad acta legen kann.

Ein kleiner Dreh am Gasgriff, und die Scrambler 1200 drückt mit Wucht vorwärts. Dabei läuft der Zweizylinder dank zweier Ausgleichswellen sehr sanft und fast vibrationsfrei. Der Motor wurde jedoch für den Einsatz in der Scrambler neu abgestimmt und hat weniger Schwungmasse als ihre Schwester Bonneville, damit sie flotter hochdrehen kann. Ein nach oben verlegter Doppelrohr-Auspuff ist typisch Scrambler. Der optionale Arrow-Auspuff am Testexemplar aus gebürstetem Edelstahl verwandelt die Salven aus dem Motor in sonoren Sound, der nie zu laut wird. Der Schlag in tiefer Tonlage verrät den reichlichen Hubraum.

Tiefes Eintauchen, aber sehr kurzer Bremsweg

In dem Retro-Bike steckt modernste Elektronik. Es bietet sechs Fahrmodi, neben „Rain“, „Road“, „Sport“, „Offroad“ und einem konfigurierbaren Modus „Rider“ verfügt die XE, im Gegensatz zur XC, noch über „Offroad Pro“, der ABS und Schlupfregelung für den engagierten Geländeritt komplett deaktiviert. Auch findet sich nur in der XE eine Trägheitsmesseinheit (IMU), die neben dem Kurven-ABS auch ein schräglagenabhängiges Driften ermöglicht.

Bei der Vorderradbremse musste ich gleich zweimal hinschauen: Dort arbeiten zwei radiale Brembo-M50-Monoblock-Bremszangen, die Bremsscheiben sind schwimmend gelagert. Diese sündhaft teuren Edel-Bremsen findet man eigentlich nur an Superbikes. Ob man die zwingend an einer Scrambler braucht, sei dahingestellt, aber die Triumph beeindruckt mit einem sehr kurzen Bremsweg. Allerdings taucht die lange Showa-Gabel beim harten Ankern weit ein.

Im Modus „Sport“ geht die Scrambler 1200 XE noch einen Ticken direkter ans Gas und dreht noch flotter hoch als im „Road“-Programm, wobei die Maximalleistung von 90 PS gleich bleibt.

Üppige Bodenfreiheit

Das Fahrverhalten der Scrambler 1200 XE ist gutmütig, präzise, aber nicht übertrieben handlich. Ihre Alu-Schwinge ist mit 539 Millimeter um 32 Millimeter länger ausgefallen und der Lenkkopfwinkel mit 63,9 Grad um 0,3 Grad flacher gestellt als an der XC-Version. Die XE kommt somit auf einen Radstand von 1570 Millimeter, das sind 30 Millimeter mehr als an der XC. Die Maßnahme soll bei hohen Geschwindigkeiten im Gelände für ruhigen Geradeauslauf sorgen. Doch auch auf kurviger Landstraße kann die hochbeinige Scrambler sehr schnell und vor allem sehr schräg unterwegs sein. Bei der üppigen Bodenfreiheit von 250 Millimeter dauert es nicht nur im Gelände sehr lange, bis etwas aufsetzt. Der Fat-Bar-Lenker ist um 65 Millimeter breiter als an der XC und hilft, die XE ohne großen Kraftaufwand abzuwinkeln. Die serienmäßigen Handprotektoren verfügen über Aluminiumbügel, die Hebel und Finger vor gröberen Schäden schützen.

Pfiffiges TFT-Cockpit

Eigentlich ist die Scrambler für das entspannte Landstraßen-Cruisen prädestiniert, aber dank des druckvollen Motors ist man oft schneller unterwegs als gedacht. Es empfiehlt sich, den Tacho im Auge zu behalten. Die zentrale Einheit ist rund und zeigt eine virtuelle Drehzahlmessernadel auf dem TFT-Display, während die Geschwindigkeit in Ziffern angezeigt wird. Rechts und links des Rundinstruments befinden sich in je einem Halbkreis weitere Informationen, die sich per Wählhebel am linken Lenkerenden durchscrollen lassen. Die Darstellung kann in zwei „Themen“ gezeigt werden. Die Alternative ist ein nostalgisch anmutender Tacho im Rundinstrument. Die Drehzahlanzeige verschiebt sich damit in den linken Halbkreis. Noch dazu können die Darstellungen entweder schwarz oder weiß unterlegt werden.

Mittels eines ab Herbst erhältlichen, optionalen Bluetooth-Moduls lässt sich das Handy mit dem Display koppeln und per Tasten können nicht nur das Telefon und die Musik bedient, sondern auch eine GoPro-Kamera und Google-Maps (hierfür ist eine Triumph-App notwendig) gesteuert werden, dabei erscheinen Richtungspfeile zur Navigation im Cockpit.

Sinnvolle Details

Es sind die Details, die zeigen, mit welchem Enthusiasmus die Entwickler bei der Sache waren. Das Endstück des Fußbremshebels lässt sich mit Hilfe einer Feder in Sekundenschnelle etwa einen Zentimeter höher einstellen, um das Stehendfahren im Gelände zu erleichtern. Die Beifahrer-Fußrasten abnehmbar und der Motorblock wird von einer soliden Aluminiumplatte geschützt. Überhaupt ist die Serienausstattung ausgesprochen üppig mit unter anderem kompletter LED-Beleuchtung, Tagfahrlicht, schlüsselloser Zündung, anpassbarer Lenkerposition, radialem Brembo-Handbremshebel MSC 19.21, der nicht nur im Abstand zum Griff einstellbar, sondern auch im Achsabstand variabel ist, Handprotektoren, hinterleuchteten Schaltereinheiten, Tempomat, Griffheizung und USB-Ladebuchse.

Souverän auch im Gelände

Wer den Modus „Offroad Pro“ aktiviert und damit ABS und Schlupfregelung lahmlegt, erlebt mit der Triumph einen Mörderspaß auf losem Untergrund. Die Metzeler-Tourance-Reifen sind zwar eher Straßen- denn Enduroreifen, aber dennoch bauen sie erstaunlich guten Grip auf. Hier zahlt sich neben dem schluckfreudigen Fahrwerk auch das 21-Zoll-Vorderrad aus. Die Scrambler 1200 XE schwebt über tiefe Löcher, nimmt lässig kurz hintereinander auftauchende Bodenwellen und driftet souverän im Schotter. Sie absolviert sogar kleine Sprungeinlagen klaglos, so lange man das Trockengewicht von 207 Kilogramm berücksichtigt. Es empfiehlt sich allerdings, vorher die Druckstufe an der Gabel und den beiden Federbeinen einige Klicks zu erhöhen.

Erfolg auf der Rallye

Zu was die Scrambler 1200 XE in der Lage ist, bewies der kalifornische Stuntfahrer Ernie Vigil. Er meldete sich und die neue Scrambler bei der berüchtigten Rallye NORRA Mexican 1000 an. Es bedeutete fünf Tage Tortur durch tiefen Sand und über harte Felsen auf einer nur minimal modifizierten Serien-Scrambler (Motormapping, Kat ausgebaut, Sitz und Beleuchtung angepasst), inmitten eines Pulks von 450er-Sportenduros. Doch Vigil erreichte nicht nur nach einer reinen Fahrtzeit von 26 Stunden, 6 Minuten und 58 Sekunden das Ziel auf der Triumph, sondern belegte sogar Platz fünf in seiner Klasse und Gesamtrang 17. Ihre Feuertaufe hatte die Scrambler 1200 XE mit Bravour bestanden.

Komfortable Sitzbank

Doch die Scrambler 1200 XE kann noch mehr, nämlich Touren. Ihre komfortable Sitzbank und die entspannte Sitzhaltung lassen auch lange Strecken bedenkenlos zu. Bequem ist es auch für eine zweite Person auf dem hinteren Teil. Selbst über die Gepäckunterbringung hat man sich bei Triumph Gedanken gemacht. Passend zum Retro-Stil bietet ein optionaler Gepäckträger das Verzurren einer Gepäckrolle an, ein Tankrucksack findet sich im Zubehör ebenso wie eine 25 Liter große Satteltasche aus Nylon für die linke Seite, rechts verhindert der hochgelegte Auspuff das Anbringen einer weiteren Tasche. Mit einem Verbrauch von im Schnitt 5,1 Liter kommt die Scrambler dank eines 16-Liter-Tanks knapp über 300 Kilometer weit, bevor ein Tankstopp fällig wird. Die Tankwarnleuchte meldet sich schon, wenn noch etwa drei Liter im Spritbehälter schwappen.

Hoher Schwerpunkt, praxisfremder Auspuff

Kritik? Ein Nachteil der riesigen Federwege macht sich beim Rangieren bemerkbar, der hohe Schwerpunkt des vollgetankt 225 Kilogramm schweren Motorrads erfordert einiges an Kraft, um das Bike in die gewünschte Position zu schieben. Die hochgelegte Auspuffanlage vergrößert nicht nur die Schrittbogenlänge, sondern grillt auch, trotz des Hitzeschildes, im Stop-and-go-Verkehr den rechten Oberschenkel. Bei Tachoanzeige 183 km/h regelt die Scrambler gnadenlos ab, obwohl sie absolut ruhig auf der Straße liegt und nicht einmal ansatzweise pendelt. Ihre Café-Racer-Schwester Thruxton R rennt dagegen 217 km/h, ohne dass Triumph bedenken hätte.


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