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Es gibt wieder einen Zweizylinder für den Fiat 500 – wir haben ihn ausprobiert

Fahreindrücke im Fiat 500 TwinAir

Fahrberichte ggo

Zweizylindermotoren gab es schon für den Ur-500 der 1950er Jahre. Doch mit der Einfachkonstruktion von damals hat der neue TwinAir-Motor nichts zu tun. Er ist ein Stück hochmoderne Spartechnik

Turin, 8. Juli 2010 – Als eine "Technikikone in der Markenikone" will Fiat den neuen TwinAir-Motor mit zwei Zylindern verstanden wissen, der ab September im Fiat 500 angeboten wird. Zwei Zylinder? Da denken manche unwillkürlich an den Citroën 2CV mit seinem Zweizylinder-Boxer oder eben den seligen Fiat 500 der 1950er und seinen eher profanen Nachfolger 126, beide wurden von zwei­zylindrigen Reihenmotoren angetrieben. Sie waren wahrlich kein Ausbund an Laufkultur, doch die meisten Besitzer waren froh, sich überhaupt ein Auto leisten zu können.

Moderne Reminiszenz

Dass der Fiat Nuova 500 – so hieß er 1957 bei seinem Erscheinen – einmal eine Ikone würde, war damals natürlich nicht geplant. Doch ähnlich wie bei der "Ente" oder dem Mini hat sich das ursprünglich zweckmäßige Design als ästhetisch langzeittauglich erwiesen. Heute kann sich Fiat glücklich schätzen, mit dem aktuellen 500 in der Retrowelle ganz vorne mitschwimmen zu können, nur die Vierzylinder-Motorisierungen passen nicht so recht dazu. Mit dem neuen Zwei­zylindermotor schlägt der Hersteller zwei Fliegen mit einer Klappe: Er wirkt wie eine gelungene Reminiszenz an die Vergangenheit, weist aber vor allem in die Zukunft der Motorentechnik – eine ideale Marketingsituation, die derzeit nur Fiat gegönnt ist.

Hauptsache sparsam

Allerdings agiert Fiat unter ganz anderen Rahmenbedingungen als vor 60 Jahren: Während in den 1950ern der Sprit billig und Autos teuer waren, ist es heute fast umgekehrt: Das Auto darf ruhig einen Tausender mehr kosten, wenn es schick ist und die Laune hebt. Aber sparsam soll es bitteschön sein, wer weiß schließlich, was der Liter Super in ein paar Jahren kostet. Und knausern kann der neue Fiat 500 TwinAir wahrlich, zumindest im Vergleich mit der Konkurrenz: 4,1 Liter Benzin benötigt das Auto im europäischen Messzyklus, nur 4,0 Liter in Verbindung mit dem automatisierten Schaltgetriebe "Dualogic". Ausgedrückt in CO2-Emission entspricht das 95 und 92 g/km, damit steht der Fiat 500 TwinAir derzeit konkurrenzlos da. Nicht einmal der kurze Toyota iQ 1.0 (4,3 Liter) kommt da mit und schon gar nicht sein größerer Bruder Aygo mit 4,5 Liter.

Kein Brüllwürfel

Schön und gut, aber ist so ein Zweizylinder nicht ein arger Radaubruder? Ich konnte in den 1980ern regelmäßig einen heck"getriebenen" Fiat 126 fahren. Bis er seine Höchstgeschwindigkeit von knapp über 100 km/h erreichte, dauerte bis zum nächsten Dorf. Sportlich waren allenfalls das kernige Gebrüll und die deftigen Vibrationen. Das ist beim Neuen ganz anders. Beim Einschalten lärmt er nicht los wie sein grobschlächtiger Ahne, da vibriert nichts, einzig ein ungewohnt basslastiges Motorengeräusch fällt auf, besonders als wir die Scheiben herunterlassen, um ein bisschen vom akustischen Außeneindruck mitzubekommen. Besonders beeindruckt waren wir von dem vibrationsarmen Lauf, dagegen ist manch ein Dreizylinder rappelig.

Sonore Stimme

Der Eindruck verfestigt sich beim Fahren und ist in einem Kleinwagen ein ganz neues Erlebnis. Der Motor verhält sich nicht wie viele kleine Vierzylinder, die man notgedrungen hochdreht, damit genügend Leistung zur Verfügung steht – oft verbunden mit unschönem Dröhnen, das bei dieser Bauart schwer in den Griff zu bekommen ist. Der 85 PS starke TwinAir-Motor mit seinen knapp 900 cm3 Hubraum kommt mit sonorer Stimme ab knapp 2000 U/min von unten her, um kräftig, aber ohne Hektik voranzuziehen. Einzig das Anfahren erfordert ein wenig Gewöhnung, das letztlich unkritische Turboloch knapp oberhalb der Leerlaufdrehzahl hat man aber nach dem zweiten oder dritten Versuch im Griff.

Keine lästigen Schwingungen

In Fahrt gibt sich der Antrieb eher gelassen als hektisch, erst beim stärkeren Durchdrücken des Pedals merkt man so richtig, wie viel Druck der Antrieb bereitstellen kann, wenn es sein muss. Der verbaute Turbolader gehört zu den kleinen Exemplaren, stellt schon bei 1900 U/min ein zünftiges Drehmoment von 145 Nm zur Verfügung, eine alltagsfreundliche Auslegung, die gut zum Stadtverkehr und zum stilvollen Cruisen passt. Höhere Drehzahlen lohnen allenfalls, wenn man zum Beispiel schnell auf der Autobahn in den Verkehr einfädeln will, selbst dann ist aber nur ein sympathisches Knurren zu hören und lästige Schwingungen bleiben weiterhin aus.

Forgiving Car

Beim Druck auf den ECO-Knopf in der Mitte des Armaturenbrettes verändert sich die Charakteristik ein wenig; das maximale Drehmoment wird bewusst auf 100 Nm gedrosselt, das soll für einen nochmals geringeren Praxisverbrauch sorgen, was uns freilich derart monokausal nicht recht einleuchtet. Außerdem wird bei dieser Gelegenheit der City-Modus der Lenkung eingestellt, bei dem der kleine Finger zum Lenken reicht. Man braucht ihn eigentlich nicht, allenfalls beim Einparken, wenn man sehr zart besaitet ist. Wir haben während der Fahrt ein wenig mit dem ECO-Knopf gespielt, konnten allerdings nur kleine Unterschiede feststellen. Wie uns Giovanni Mastrangelo erläutete, er leitet die Entwicklung der kleinen Ottomotoren bei Fiat Powertrain, wird im Sparmodus unter anderem das Ansprechverhalten des Gaspedals verändert. Ziel der Aktion ist auch "eine entspanntere Fahrweise" in der Stadt, die natürlich leichter fällt, wenn das Gaspedal etwas weicher anspricht. Das hilft Grobmotorikern, soll aber auch noch das eine oder andere Zehntelchen Verbrauchseinsparung bringen.

Konsequent entdrosselt

Nun könnte man einwenden, dass man doch gerade zügig beschleunigen sollte, damit der Motor dank weit geöffneter Drosselklappe freier atmen kann, so wurde es zumindest über Jahrzehnte propagiert: "Mit etwa zwei Drittel Gas beschleunigst Du sparsamer, als wenn Du das Pedal nur streichelst". Stimmt eigentlich, doch beim TwinAir-Motor gilt diese Regel nicht, weil er auf der Einlassseite mit der stufenlosen Ventilsteuerung "MultiAir [1]" ausgestattet ist. Der Fiat-Konzern setzt diese bisher einmalige Technik bereits seit einiger Zeit für seine stärkeren Vierzylindermotoren ein. Die zugeführte Menge des Luft-Kraftstoff-Gemischs wird bei diesem Prinzip dadurch bestimmt, wie lange und wie weit die Einlassventile öffnen, eine elektrohydraulische Ventilsteuerung erlaubt dabei eine stufenlose Regelung. In Verbindung mit der Turboaufladung erreicht Fiat damit selbst bei niedrigen Drehzahlen und Lasten eine sehr gute Füllung – salopp gesagt eine freiere Atmung, die den Motor weniger Kraft und Sprit kostet.

Der Aufbau des TwinAir-Motors in der Animation:

Neues Idealmaß

Und auch der Hubraum von 875 cm3 spielt für den Verbrauch eine Rolle, genau genommen das Einzelvolumen von jeweils knapp 438 cm3. Umfangreiche Berechnungen und Versuche hätten gezeigt, dass es sich dabei um das optimale Zylindervolumen für einen günstigen Verbrauch handelt – zumindest im Falle dieser Motorkonstruktion. Was das alles in der Praxis wirklich bringt, konnten wir bei der ersten Vorstellung nicht ermitteln. In Turin war es so heiß, dass die Klimaanlage auf unserer kurzen Tour zunächst auf Hochtouren lief und das serienmäßige Start-Stopp-System erst nach einer Viertelstunde erstmals in Aktion trat. Diese Bedingungen verhageln den Verbrauch natürlich derartig, dass er nicht repräsentativ sein kann.

Vierzylinder aufs Altenteil

Dennoch: Schon der Vergleich auf dem Papier macht deutlich, dass manch bewährter Motor schnell aus dem Modellprogramm fliegen dürfte. Gegenüber dem 8V-1,2-Liter-Vierzylinder bringt der Zweizylinder 23 Prozent mehr Leistung und um 30 Prozent bessere Fahrleistungen. Der Vergleich zum 16V-1.4er von Fiat zeigt zwar ein kräftemäßiges Patt, aber einen um 30 Prozent verringerten Verbrauch. Und natürlich baut der Zweizylindermotor kompakter. Das schafft Spielraum für Hybridantriebe, wie auch immer sie in der Serie aussehen werden. Derzeit testet Fiat Powertrain eine Konfiguration mit Doppelkupplungsgetriebe und Elektromotor, eine Hybridvariante, die auch andere Hersteller intensiv untersuchen. Im Übrigen will Fiat wie üblich "den Markt entscheiden lassen", ob der Zweizylindermotor nicht auch für andere Konzernmodelle geeignet ist und ziert sich auch nicht, ihn anderen Autoherstellern anzubieten. Neben der 85-PS-Variante werden dafür auch Versionen mit 65 und 105 PS bereitstehen.

Tradition und Moderne

Im September kommt als Erstling zunächst einmal der Fiat 500 TwinAir auf den Markt, der angesichts seines Stammbaums sicherlich die ideale Anwendung für die Einführung eines Zweizylindermotors ist, "eine Hommage, aber nicht sentimental", wie es bei der Vorstellung hieß. In Italien ist ein Einstiegspreis von rund 13.500 Euro angepeilt, genaue Angaben fehlen aber noch. An attraktiven Extras von netten elektronischen Spielzeugen über fesche Farbkombinationen bis hin zum Glas- oder sogar Faltdach mangelt es nicht, sodass es dabei meist nicht bleiben wird.

Eine gelungene Verbindung

Doch dafür gibt es trotz der geringen Größe allenthalben ein erstaunlich vollwertiges Auto, mit dem selbst längere Strecken kein Problem sind: Der 500 TwinAir federt trotz kurzen Radstandes recht angenehm, wirkt erst bei schlechteren Straßen etwas stolprig. Die Lenkung ist eher teigig, doch der Geradeauslauf gut, sodass es ohnehin wenig zu rühren gibt. In Verbindung mit dem souveränen Zweizylinder stellt sich schnell eine gelassene Fahrweise ein, die dem Fiat 500 gut ansteht. Viel Platz im Innenraum gibt es natürlich nicht, die Sitzposition passt eher Kurzbeinigen, doch ansonsten spricht nichts gegen längere Fahrten. Fiat rechnet sogar damit, dass manch ein Kunde den TwinAir als Alternative zum Diesel entdeckt. Das könnte gut gehen: selbst der schwächste Diesel im Programm, der 1.3 JTD, benötigt 4,2 Liter Kraftstoff im Schnitt. Er ist aber akustisch im Nachteil, voraussichtlich teurer bei den Festkosten und einfach nicht so stilsicher wie der hochmoderne Zweizylinder – zumindest im Fiat 500.


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