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Mit dem Toyota GT86 gibt es wieder den kleinen japanischen Sportwagen zum fairen Preis

Fahrmaschinenbau – warum der Toyota GT86 so gut ist

Fahrberichte cgl

Mit Subaru BRZ und dem Schwes­ter­modell Toyota GT86 gibt es wieder den kleinen japanischen Sport­wagen zum fairen Preis – in einem sehr klassischen Layout. Wir beleuchten, warum das so viel Spaß macht

Mit Subaru BRZ und dem Schwestermodell Toyota GT86 gibt es wieder den kleinen japanischen Sportwagen zum fairen Preis und vor allem in einem sehr klassischen Layout. Wir beleuchten, warum das so viel Spaß macht.

Stuttgart, 5. Juli 2012 – Je weiter die Technik fortschreitet, umso mehr degeneriert der Benutzer. Dieses Phänomen kann man sich sehr schön als Fiktion im Pixar-Film "Wall-E" ansehen, man erlebt es jedoch auch täglich als Realität an den Paradebeispielen Computer und Autos. Als Benutzer noch Befehle eintippeln mussten, damit überhaupt etwas passierte, war selbst dem Letzten der (zugegeben: wenigen) User klar, dass ein Computer eine Maschine ist, die Befehle und Daten verarbeitet. Der Benutzer heute kräht "Äpp!" und wenn er überhaupt darüber nachdenkt, dann meint er, sein magisches Telefon funktioniert mit Feenstaub von Steve Jobs' Wolke. Ebenso musste jeder Autofahrer früher die Grundlagen des Verbrennungsmotors nebst Wartungsarbeiten daran verinnerlicht haben, weil er sonst bei einer nächtlichen Panne verhungerte und somit (je nach Alter und Erfolg) aus dem Genpool verschwand. Heute wissen viele Autokäufer nicht einmal mehr, welche ihrer Räder von wie vielen Zylindern angetrieben werden, sodass eine Panne zur schicksalhaften Strafe Gottes wird, gegen die nichts hilft als Beten, Feenstaub und ADAC.

Fahrkultur-Darsteller

Nicht falsch verstehen: Es ist gut, dass die schlimmen Zeiten von Lochkarte und Unterbrecherkontaktzündung vorbei sind. Es gibt jedoch durch sinkendes Interesse am Fahrzeugbau auch einen spürbaren Verlust dessen, was wir früher "Fahrkultur" nannten. Wie kann jemand noch Geländefahren verstehen, der sich freut, wenn sein Tiguan [1] eine (kleine) Pfütze schafft (Wattiefe: 30 cm)? Wie kann jemand noch Kurven-Flow erleben, der einen Hyundai Veloster für einen Sportwagen hält, nur weil ihm eine Tür fehlt? Sportwagendarsteller wie den Veloster kann man nur an Fahrkulturfreie verkaufen. Diese Fahrkulturfreiheit jedoch beschleunigt den Niedergang des Automobils, denn ehrlicherweise brauchen viele von uns nicht wirklich überhaupt ein eigenes Auto [2]. Es ist deshalb schön, dass 2012 zwischen fahrenden Herrenhandtaschen wie Evoque [3] und Hiobsbotschaften wie BMWs "der nächste 1er hat Frontantrieb [4], weil interne Studien sagen, dass 80 Prozent dieser Kunden den Unterschied weder merken noch kennen" noch einen geradezu altmodischen Beitrag zum Kulturprogramm gibt: den Toyota GT86 nämlich.

Balance-Akt Standardantrieb

Bis auf Kleinigkeiten in Gestaltung und Fahrwerksabstimmung sind die in Kooperation entstandenen Fahrzeuge Subaru BRZ [5] und Toyota GT86 identisch. Ich nehme den GT86 als Beispiel, das Gesagte gilt größtenteils für beide. Die erste Besonderheit: Er hat einen Standardantrieb, benannt aus der Zeit, als es das üblichste Layout war, dass der Motor vorne über eine Kardanwelle die Räder hinten antreibt. Im Vergleich zum heutigen Standard Frontantrieb hat der Standardantrieb die Nachteile höheres Gewicht und geringerer Nutzraum – beides wegen der mechanischen Kraftübertragung ans andere Fahrzeugende, wo über dem Hinterachsdifferenzial auch der Kofferraum liegt. Wer ein möglichst nutzwertiges Fahrzeug bauen will, gibt ihm also Frontantrieb. Wer jedoch ein möglichst freudespendendes Fahrzeug bauen will, gibt ihm Hinterradantrieb, und wer dabei erstens vertretbare Kosten, zweitens etwas Nutzwert und drittens einfache Fahrbarkeit im Pflichtenheft stehen hat, baut den Motor nicht in der Mitte oder gar im Heck ein, sondern vorne.

Der Grund dafür ist Gewichts-Balance. Die Achslast des GT86 ist mit 53 Prozent des Gesamtgewichts über der Vorderachse so ausgelegt, dass Übersteuern durch ein ausbrechendes Heck des Spaßes wegen passiert, aber der Sicherheit wegen problemlos wieder einfangbar ist. Die Auslegung ist derart, dass der GT86 im Schiebebetrieb in einer Kurve harmlos untersteuert. Der typische Autofahrer wird also bei starkem Übersteuern (huch!) komplett vom Gas gehen und sich im Sicherheitsnetz "Untersteuern" wiederfinden statt in dem, was der englische Sprachraum heute selbst beim Auto einen "Tank Slapper" nennt: aufschaukelndes Überkorrigieren, oft am Ende garniert mit einem Dreher. Wie in jedem Auto sind solche Dreher natürlich weiterhin möglich, auch mit ESP, aber sie sind nicht die Unausweichlichkeit, die sie mit vielen Mittelmotorkonzepten für Übersteuereinsteiger werden.

Teilsperrung

Es gibt serienmäßig ein Torsen-Sperrdifferenzial an der Hinterachse. Es sorgt dafür, dass im Rahmen seiner Auslegung bzw. Einstellung ein maximaler Drehmomentunterschied zwischen beiden Rädern nicht überschritten wird -- es sperrt ab diesem Wert. Einfaches Beispiel: beim Verhältnis 2:1 sperrt das Bauteil, wenn an einem Rad doppelt so viel Drehmoment anliegt wie am anderen. Ohne ein Sperrdifferenzial dreht selbst auf gleichmäßigem Belag das kurveninnere (und damit entlastete) Rad bei einem Drehmoment durch, bei dem eigentlich noch viel Vortrieb durch Kraftübertragung auf dem äußeren Rad möglich wäre. Richtig: Man kann selbst bei einem offenen Differenzial mit einer ESP-Bremsung einen vergleichbaren Effekt erzielen – wenn man keine Kultur hat: Diese Fake-ESP-Sperren verkochen beim schnellen Fahren die Bremsen in kürzester Zeit, verschleißen die Bremsanlage und fühlen sich durch ihre Regelzyklen auch noch schlecht an.

Boxing Day

Machen wir uns nix vor: Der GT86 hat nur deshalb einen Boxermotor [6], weil Subaru ihn beigesteuert hat. Er hat jedoch gegenüber der wahrscheinlichen Alternative Vierzylinder-Reihenmotor einige Vorteile, die richtig gut ins Konzept passen: Ein Boxer ist so flach wie ein liegender Vierzylinder, aber viel kürzer und obendrein näherungsweise symmetrisch (gut für die Gewichtsverteilung). Der Vierzylinder-Boxer im GT86 ist ein Frontmotor, der weit nach hinten bis beinahe auf die Vorderachse gezogen wurde. Damit entfällt für Subaru die Möglichkeit, einfach eine Allradvariante unterzubringen, es verbessert jedoch die Gewichtsverteilung. Konkret heißt das: Der GT86 trägt mehr als die Hälfte seines Gewichts unterhalb Ihrer Kniescheibe. Dementsprechend sauber liegt der Wagen trotz alltagstauglicher Bodenfreiheit auf der Straße. Umständliche, teure, schwere Wankausgleichssysteme, wie sie intelligente Ingenieure für wenig intelligente Fahrzeugkonzepte (SUV) erdacht haben, können somit entfallen (der GT86 hat normale Stabi-Stangen) und das Ergebnis ist dennoch nicht nur billiger, sondern auch besser. Die niedrige Bauhöhe wird bei 911-Fans für eine kleine Reminiszenz sorgen: Wie beim Porsche schaut man aus dem GT86 über eine vom Sitz aus unsichtbar flache vordere Haube zwischen der aus den Scheinwerferhügeln geformten Kimme auf die Straße. Die Sichtverhältnisse sind auch ansonsten ausgezeichnet.

Für viele Beobachter unerwartet war, dass sich Subaru mit Toyota auf einen Saugmotor geeinigt hat. Ein ATL hätte die Leistung auf gesunde 300+ PS bringen können. Stattdessen stehen 200 unaufgeladene PS an. Auch diese Entscheidung hat außer dem Kostenaspekt mit einfachem, spaßigen Fahrverhalten zu tun. Ein Saugmotor entfaltet seine Leistung normalerweise viel linearer als ein Turbomotor mit seiner satten Drehmomentmitte. Der Boxer hat keine solche Drehmomentmitte. Er hat stattdessen ein laaanges nutzbares Drehzahlband. Um spürbaren Vortrieb zu generieren, schaltet man stets kurz vor dem Moment, in dem die Kolben durch die Felgen brechen wollen. Turbodiesel-Fans können damit nichts anfangen, aber dem Drehzahlfreund gibt das außer einer sehr beherrschbaren Leistung das befriedigende Gefühl, die Karre so richtig auszuwringen. Es gibt dem Sprichwort nach zwei Arten von Fahrern, entspannte und befreite, frei nach: "Hubraum entspannt, Drehzahl befreit". Der GT86 richtet sich eher an befreites Publikum.

Dem ist die Leistung dann nämlich gar nicht so viel zu wenig, wie die Daten vermuten lassen. Sie genügt, um in Kurven genüsslich mit dem Fahrzeughintern zu steuern. Sie reicht, weil Toyotaru an eine ausreichend dimensionierte Kupplung gedacht haben, die von ein paar Donuts oder Vollgas-Kupplungsstarts derart unbeeindruckt ist, dass sie nichtmal das Stinken anfängt. Die Leistung langt aber auch, weil die Reifen absichtlich nix Besonderes sind. "Wir wollten, dass der Wagen auf normalen Reifen Spaß macht, dass man keine Supersportreifen braucht", sagt Toyota dazu. Deshalb verkaufen sie den GT86 statt mit Sportreifen mit einer normalen Limousinen-Alltags-Erstbereifung: Michelin Primacy HP. Richtig griffig ist anders, aber der Michelin passt mit seinen gutmütigen Fahreigenschaften zum Fahrzeugkonzept. Wer den GT86 auf der Rennstrecke fahren will (was er unbedingt sollte), wird aber mit Sportreifen glücklicher, weil die Primacy ihn dort auf Dauer frustrieren werden.

Geschenk an die Gemeinde

Schon an dieser Stelle dürfte klar sein, wieso die Tuner auf Knien herumrutschen und den Japanern für den GT86 danken: Fairer Grundpreis, großes Verbesserungspotenzial zu vertretbaren Kosten. So etwas geht nur, wenn die Basis stimmt, wenn antizeitgeistig mehr Geld in Sein als in Schein investiert wurde. Das geht weiter mit dem Chassis. Dieses ist zunächst einmal ganz normal als selbsttragende Karosserie ausgeführt. Statt jedoch für gute Seitenführung in die (Spur-)Breite zu wuchern, verlässt sich der GT86 auch in dieser Hinsicht auf seinen tiefen Schwerpunkt: Mit 1,78 m ist er schmaler als praktisch alle aktuellen Mittelklasselimousinen. Diese vertretbare Breite macht eine Welt an Unterschied im engen Geläuf unserer Mittelgebirge. Sie geht einher mit einem vertretbaren Gewicht: 1180 kg Leergewicht gibt Toyota an.

Radführung vorne: MacPherson-Aufhängungen – Funktion: gut, Kosten-Nutzen-Faktor: gut. An der Hinterachse hat Toyota dagegen Doppelquerlenker spendiert. Funktion: besser. Das fährt sich so: In die Kurve mit Stützgas hinein, die Hinterräder kriegen Schlupf, sanftes Spielen in den Rutschbereich, dann ein erschreckend lautes "KRONK!": Das ESP hat die Achse recht grobmotorisch wieder eingefangen. Es erlaubt schon in der Grundeinstellung ganz leichte Drifts, etwas mehr erlaubt es nach dem Druck auf den Button "VSC Sport". Es gibt auch den üblichen Knopf zum Deaktivieren der Traktionskontrolle, der wie üblich die Traktionskontrolle nicht deaktiviert, sondern ein anderes "sporchtlicheres" Setting in den Speicher spielt (gääähn). Für Probefahrten daher: Aus dem Standardmodus (alle Warnlampen aus) "VSC Sport" drücken (irgendwelche Warnlampen gehen an). Dann drei Sekunden auf dem Traktionskontrolle-Knopf bleiben, bis kurioserweise eine der Warnlampen wieder AUS geht. Erst jetzt fährt der Wagen ohne elektronische Eingriffe in die Querdynamik.

Für diese pure, ehrliche und trotzdem verzeihende Art zu fahren wurde der Wagen gebaut, jeder sollte es für die Rennstrecke mal probieren. Denn das Fahrverhalten macht es einfach, den Standardantrieb an sich zu erlernen, mit der Hinterachse Grip zu suchen durch gefühlvolles Dosieren des Drehmoments am Gasfuß. Der Grenzbereich ist kein schmaler Grat, sondern ein riesig breiter Spielplatz, auf dem jeder interessierte Fahrer etwas für sein Fertigkeits-Niveau findet, wie hoch auch immer das sein mag. Es ist mir egal, dass ein Ford Focus RS mit seinen über 300 PS ab Werk bessere Rundenzeiten stanzt, das hier macht einfach so viel mehr Spaß! Wenn der RS eine Flasche Tequila ist, wäre der GT86 Single Malt Scotch Whisky. Klar eignet sich der Tequila besser dazu, möglichst schnell für möglichst wenig Geld betrunken zu werden, aber Gentlemen und Genießer greifen aus Gründen der Trinkkultur dennoch lieber zum Whisky. Und mit gescheiten Reifen und im Renntrimm würde ich bei Amateuren am Steuer auch nicht mehr auf jeder Strecke alles Geld auf den RS setzen. Schade, dass man nicht auch das ABS deaktivieren kann, das in der Bremszone beim Herunterschalten schon bei moderatem Bremsdruck verwirrt regelt (systemimmanent, machen viele ABS).

Welchen kaufen?

Der GT86 funktioniert im Alltag genauso wie als spaßiger Renner (Toyota importiert auf Nachfrage eine Barebones-Version für Rennteams). Es ist die Essenz des Autofahrens, es erinnerte ältere Probefahrer an ihre wilde Jugend und mich daran, dass auch vier Räder Spaß machen können. Bessere Komplimente gibt es kaum. Ja, der Innenraum ist von 1985. Aber wer auf den Innenraum statt auf die Straße gucken will, soll einen Audi [7] kaufen. Fahrkultivierte Menschen dagegen fahren unbedingt gelegentlich den Toyobaru probe. Er wird ihren Glauben an das Gute im Maschinenbau wiederherstellen.

Es gibt für Toyota ein Problem: Subaru ist die unendlich viel coolere Marke, denn Toyota hat die letzten Ewigkeiten lang Schnarchkoffer wie Prius oder Auris gebaut. Doch Toyota hat endlich eine Lösung: Der GT86 ist nach Meinung vieler (auch meiner) die bessere Ausführung des Konzepts. Toyota stimmt das Fahrwerk zum Beispiel weicher ab. Kulturlose sind nach diesem Satz schon zu Subaru gelaufen, um nach einem Upgrade zu Vierkantstahlstücken statt Dämpfern zu fragen, der Rest weiß, dass ein Fahrwerk, das mehr arbeitet, auch den Grenzbereich größer macht und bei guter Abstimmung sogar mehr Traktion liefert (und damit bessere Rundenzeiten). Toyotas Ingenieure sind nach dem alten Dämpfungs-Grundsatz vorgegangen: "So wenig wie möglich, so viel wie nötig." Ein direkter Vergleich unter einem Rennfahrer wäre interessant, aber rein akademisch, denn für jeden normalen Fahrer ist Toyotas Abstimmung die bessere. Und dann sind wir doch wieder im Innenraum: Es gibt für den GT86 Toyotas lange bewährte Radio-Navi-Lösung "Touch & Go". Die kann alles, was eine Infotainment-Konsole heute können muss und kostet (ja, auch wieder) einen vergleichsweise fairen Aufpreis (550 Euro fürs Navi-Modul, Touchscreen-Radio gibt es so).

Vorbestellen geht ab jetzt, Ladenpremiere ist am 15. September beim Vertragshändler. Ich rege an, dass dort für Sie dann ein Scotch ausgeschenkt wird, der zu einem fairen Preis ausgezeichnet performt.


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https://www.heise.de/-1632917

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Vergleich-Audi-Q5-und-BMW-X3-gegen-VW-Tiguan-1392157.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Es-gibt-ein-richtiges-Leben-im-falschen-1380227.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-X1-und-Range-Rover-Evoque-im-Vergleich-1445187.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-pirscht-sich-an-den-Frontantrieb-heran-1419238.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Subaru-BRZ-im-Fahrbericht-1484794.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Gegenkultur-der-Boxermotor-1435963.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-Methode-Audi-1415759.html