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Opels Kombi bringt ein erstaunliches Allradsystem ins Spiel

Försterkombis III: Fahrbericht Opel Insignia Country Tourer

News Clemens Gleich

Der Insignia hat das typische Opel-Problem: Er kombiniert grenzgeniale Dinge mit regelrecht französischen Schwächen. Ein geniales Allradsystem und tolle Ergonomie beißen sich also mit veralteter Software-Technik und geringer Platzeffizienz

Dieser Vergleichstest besteht aus drei Teilen.

Teil 1: VW Golf Variant Alltrack (Test) [1]

Teil 2: Mercedes E 220d All-Terrain (Test) [2]

Die Geschichte der Firma Microsoft [3] strotzt vor Produkten, deren ein, zwei geniale Kern-Features (oft aus aufgekauften Startups) die Massen nach Redmond lenkten. Diese genialen Kerne garnierte Microsoft derart mit Müll, dass man das Gesamtprodukt zwar irgendwie wollte, aber innerlich den Kopf schüttelte: „Ach, Microsoft …“ Ein sehr ähnliches Geschäftsmodell verfolgt Opel im Autobereich, wenn auch weniger erfolgreich.

Der Insignia Country Tourer ist ein Paradebeispiel so eines Opels. Er zeigt, dass in Rüsselsheim einige helle Köpfe richtige Gedanken bis in die Produktion durchhämmern konnten. Wir vergleichen den Opel Insignia Country Tourer mit dem etwas günstigeren VW Golf Alltrack und dem deutlich teureren Mercedes E 220 d All-Terrain. In diesem Trio hat Opel es als einziger Hersteller für nötig befunden, etwas höhere Gummiwälle an den Reifen anzubieten, die so ein Konzept eben braucht. Der Vorteil auf losem Grund wiegt den leichten Nachteil auf Asphalt auf. Außerdem rollt mehr Gummi leiser und komfortabler (Primärdämpfung) ab. Wer noch tiefere, steifere Straßenlage will, findet sie in den normalen Insignias. Was sucht er im Country Tourer?

Beim Allradantrieb hatte ich erwartet, dass Opel einfach bei BorgWarner anruft und ein paar zehntausend Haldex-Kupplungen bestellt. Stattdessen riefen sie bei GKN an und bestellten dort die „Twinster“-Hinterachse. Dieses Teil ist bekannt aus Film, Funk und Ford Focus RS mit Drift Mode. Es leitet über zwei Lamellenkupplungen variabel Drehmoment zu den Hinterrädern, sodass erstens kein ESP-Eingriff bei großen µ-Splits erforderlich ist und zweitens bei Lenkeingaben auf das kurvenäußere Rad mehr Drehmoment aufgebracht werden kann (Torque Vectoring). Die Twinster-Kupplungen ersetzen so auch das Mittendifferenzial: Öffnet die Steuerung beide Kupplungen, bleibt alles Drehmoment auf der Vorderachse.

Hinterbeine

Auf der Straße unterstützt das Torque Vectoring schon bei geringeren Lenkeinschlägen merklich. Geht die Straße zu Ende, zeigt sich die ganze Größe des Systems. Als Lukas vor mir fährt, kann ich es schon beobachten: Ein Rad ohne Traktion dreht kaum an, da geht schon dessen Kupplung auf. Das andere Rad schiebt derweil souverän den Wagen an. Als ich selber unsere Vergleichs-Passage fahre, zeigt sich dasselbe auch für den Fahrer. Ich habe noch nie eine feinfühligere Hinterachse erlebt. Selbst ganz langsam, mit vorsichtigen Gasstößen, wuppt der Antrieb den viel zu niedrigen Insignia über die Hindernisse. Selbst wenn die Vorderachse herumrödelt und herum-ESPt, kannst du dich auf die Ruhe von hinten weiterhin stets verlassen. Ein tolles System. Vielleicht könnte Opel noch einen Drift Mode anbieten … Der Zweiliter-Biturbo-Diesel mit 210 PS hätte wahrscheinlich selbst auf Asphalt in den unteren Gängen genug Bums dazu. Achtung: Dieser Motor ist nach Euro 6c homologiert, was Dieselinteressenten verunsichern könnte. Die kleineren Motoren hat Rüsselsheim bereits nach 6d-TEMP homologiert. Beim kleineren 170-PS-Diesel (6d-TEMP) muss der Kunde auf die eher träge Automatik verzichten. Es gibt ihn nur mit Handschaltung.

Garniert wird das schön angelegte Grundauto durch Opel-typischen Reisekomfort gerade auf der Langstrecke: sehr gut stützende, bequeme Sitze mit Belüftung, einfacher Einstieg, für ein breites Spektrum an Menschen passende Ergonomie von Händen und Beinen. Es sprechen also einige Dinge für diesen Insignia. Vor dem Abschlussurteil müssen wir aber wie immer leider auch zum „Ach, Opel …“ kommen, sonst stellt das am Ende ein Kunde zu spät nach dem Kauf fest.

Es fängt mit den Grundsätzlichkeiten des Insignia Kombi an. Länge: 5004 mm. Über 5 Meter! Maximaler Laderaum: 1665 Liter. Wie Opel es geschafft hat, so wenig Luftraum in so einen großen Rahmen zu bringen, bleibt das Geheimnis des Entwicklungszentrums Rüsselsheim. Der Laderaum hinten ist einen guten Meter breit, bei rund 2 Metern Außenbreite. Wie geht das? Die E-Klasse im Vergleich ist mit 4947 mm kürzer und bietet 1820 Liter, und die hat schon im Vergleich zum Vorgänger 130 Liter verloren. Mit der schwülstigen Größe ohne Nutzwert kommt auch ein Grundproblem des Insignia im Wald: lange, niedrige Überhänge.

Hinterteile

Die Überhänge schaben deshalb gern, weil die Bodenfreiheit bei nur 146 mm liegt. Ja, wir sind die Schotter-Autobahn damit ohne größere Probleme hochgefahren. Aber die meisten Förster werden das Auto schon hier aus ihrer Liste streichen, weil deutsche Waldwege häufig weniger gut in Schuss sind als alte Alpen-Schotterstrecken. Außerdem gibts im Wald mehr Lehm. Immerhin läuft der Country Tourer als einziger Insignia mit einem Unterbodenschutz vorn vom Band. Der Konfigurator sagt: Alu. Die Foren sagen: Stahlblech. Kann man übrigens auch am Standard-Insignia nachrüsten (ca. 250 Euro Teilekosten, auf der Bühne unschwierige Montage). Sagen wir es so: Gut, dass das Ding da ist, aber es reicht in allen seinen Dimensionen nicht dazu, mit dem Twinster den Bauch des Country Tourers über ein Hindernis zu schieben. Die geringste Bodenfreiheit mit den längsten Überhängen kostet den Opel somit den Sieg in der Geländewertung. Der Allradantrieb ist nämlich der beste im Testfeld.

Wo Mercedes die Kundschaft regelreicht einwickelt in Assistenz und Volkswagen selbst im Kompakt-Segment kaum weniger anbietet, muss der Opel-Kunde mit weniger aktueller Technik vorlieb nehmen, obwohl die Aufpreisliste das nicht gleich verrät. Die Unterschiede liegen in der Systemleistung. Opels Schildererkennung liest etwa immer noch die 80er-Schilder von LKW-Hintern ab. Komm schon, Opel! Das ist seit der ersten Generation so! Oder soll das jetzt so bleiben? Der Einparkassistent schabt am Rinnstein entlang. Das teure LED-Matrixlicht wird verwirrt von Ortschaften. So geht es weiter: Systeme sind rein formal vorhanden. Sie arbeiten auch irgendwie. Nur arbeiten sie halt bei der deutschen Konkurrenz stets deutlich besser. Ich würde zum Beispiel nicht sagen, dass das Infotainment schlecht sei. Es schaut nur im Vergleich zu denen in Golf und Mercedes alt aus, und das im Mercedes ist ja schon das dortige Alte. Die E-Klasse starrt nicht auf LKW-Ärsche, sondern zeigt dir differenziert die Geschwindigkeiten für Autobahnweiterfahrt und die jeweilige Abfahrt an.

Ökonomie

Letztendlich entscheidet der Kunde immer mit dem Geldbeutel. Du kriegst bei Opel nicht die letzten 20 Prozent, die zu Mercedes oder Volkswagen in Teilbereichen vor allem der Software und Elektronik fehlen. Dafür kriegst du ein schickes, sehr bequemes Auto mit einem Antrieb, von dem die anderen beiden nur träumen können. Wenn ich mir den Laderaum des Insignia anschaue, freue ich mich auch nicht darüber, dass er so schmal ist und die Lampe so blöd an der Seite angebracht. Allerdings ist er zumindest lang, und meistens reicht das. Aus der Erfahrung: Gehen Sie zum Opel-Freundlichen. Er wird Ihnen wahrscheinlich das in Sachen Preis-Leistung beste Angebot unserer drei Försterkombis machen.

Letztendlich muss ich jedoch sagen, dass keins der drei getesteten Fahrzeuge als Förster-Familienfahrzeug taugt. Wer einen Kombi für Kind und Hund, Wald und Wiesen sucht, der findet ihn weiterhin im Subaru Outback. Der hat Dinge zu bieten, die im Testfeld nicht wahrnehmbar vorkamen: sowohl Bodenfreiheit als auch Negativfederweg nämlich. Den Original-Unterfahrschutz aus Plastik tauschen dir Heerscharen von Offroad-Händlern gegen beliebig dicke Bleche aus Stahl oder Alu. Da der Outback aber neu teuer und gebraucht selten ist, hier noch ein realistischer Tipp für den Förster auf der Suche: Kaufe er sich einen Dacia Duster mit Renaults altem Haldex-Allradantrieb. Der bringt dich mit ein bisschen Gewalt überall hin, wohin dich Straßenreifen bringen können. Dacia verbaut eine Handschaltung mit extrakurzem 1. Gang statt Untersetzungsgetriebe, ein Fahrwerk mit 21 cm Bodenfreiheit und sonst nicht viel. Das gesparte Geld langt dann für ein gutes ATV mit Lastenträgern.

Opels Insignia Country Tourer, VWs Golf Alltrack und Mercedes‘ E-Klasse All-Terrain finden eher eine andere Zielgruppe, irgendwo in dem Interessenbereich, in dem auch Audis Allroad-Modelle herumschaben: Bergorte mit nennenswertem Winter, kategorische Allrad-Wünsche, „Ich mag die Optik.“, „Ich brauch, das weil … na, weil halt!“ oder schlicht „Ich will das einfach!“ In diesem Bereich sind sie alle gleich gut. Man entscheide nach Preis und Luxusgefühl und schließe den Opel nicht von vornherein aus.


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[3] https://www.heise.de/thema/Microsoft