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Taktisches Foul?

Formel 1: Ärger zwischen den Topteams

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Zehn von insgesamt 21 Rennen der Formel-1-Saison 2018 sind entschieden. An der Spitze geht es sehr viel enger zu als in den vergangenen Jahren. Nach dem Rennen in Silverstone lagen die Nerven beim Weltmeister-Team der vergangenen Jahre blank

Zehn von insgesamt 21 Rennen der Formel-1-Saison 2018 sind entschieden. An der Spitze geht es sehr viel enger zu als in den vergangenen Jahren. Ferrari und Mercedes liegen dicht beieinander – und Red Bull ist ebenfalls in Schlagdistanz. Nach dem Rennen in Silverstone lagen die Nerven beim Weltmeister-Team der vergangenen Jahre blank. Das zeigt, wie viel Druck auf dem Team derzeit lastet.

Feldarbeiter

Beim Rennen in Silverstone wurde Hamilton schon in der Runde von Kimi Räikkönen von der Strecke gerumpelt und musste sich anschließend vom letzten Platz aus durch das Feld arbeiten. Lohn der Mühe war ein zweiter Platz hinter Räikkönens Teamkollegen Vettel. Hamilton war nach dem Rennen sichtbar sauer. Mit bitterer Miene hatte er auf der Sieger-Pressekonferenz noch deutlich gemacht, wie er die Ereignisse des packenden Rennens empfand: als tiefe Ungerechtigkeit. Er sah sich zunächst als Opfer, Räikkönen war der Täter und Vettel der Profiteur. „Das ist eine interessante Taktik von denen, würde ich sagen“, meinte er und deutete damit in seinem ersten Frust an, hinter dem Vorfall stecke ein Plan von Ferrari. Vettel entgegnete: „Es wäre verrückt anzunehmen, dass das Absicht war.“

Auch Mercedes-Teamaufseher Niki Lauda, ebenfalls einst bei Ferrari unter Vertrag, sprach davon, „dass der Unfall grundsätzlich unfair“ gewesen sei. Der Österreicher erinnerte an die Ereignisse in Le Castellet. „Es ist das zweite Mal, dass uns ein Ferrari in der ersten Kurve anrempelt, und das ist nicht lustig“, meinte er. „Ohne den Unfall hätte Lewis gewonnen.“

Absicht oder Unvermögen

Hamilton erhielt Unterstützung von seinen Vorgesetzten. Teamchef Toto Wolff säte Zweifel an der Scuderia allein dadurch, dass er im TV die Frage seines Technikchefs James Allison wiederholte, ob der Räikkönen-Rempler „Absicht oder Unvermögen“ sei. Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene reagierte ungehalten über die Aussagen des früheren Scuderia-Kollegen Allison: „Wenn er das wirklich gesagt hat, sollte er sich schämen.“

Räikkönen musste zehn Sekunden Strafe verbüßen, nachdem sein Unfallgegner von Rang 18 am Ende des Feldes seine Aufholjagd bis auf Platz zwei starten musste. „Die Sportkommissare haben gelernt. Zehn Sekunden für Kimi sind eine gerechtere Strafe als die fünf für Vettel in Frankreich“, meinte Lauda. Räikkönen gab sich einsichtig: „Es war mein Fehler, also geht das in Ordnung.“

Am Tag danach wurde Lewis Hamilton die Wirkung seiner Worte bewusst. Fast schien es am Montag (9. Juli 2018), als seien dem Formel-1-Weltmeister die Unterstellungen gegen Ferrari wegen seines Unfalls mit Sebastian Vettels Teamkollegen Kimi Räikkönen in Silverstone peinlich. „Manchmal reden wir dummen Mist und lernen daraus“, schrieb Hamilton bei Instagram [1] und akzeptierte mit knapp 20 Stunden Verspätung Räikkönens Entschuldigung. „Es geht weiter. Es war ein Rennunfall, mehr nicht“, teilte der Mercedes-Star mit.

Da jedoch hatte der Wirbel um die ziemlich offenen Vorwürfe aus dem Silberpfeil-Rennstall gegen Ferrari schon ziemlich Fahrt aufgenommen. Hamiltons Niederlage gegen WM-Spitzenreiter Vettel auf seiner Heimstrecke infolge des Remplers von Räikkönen am Start hatten Mercedes und seinen Superstar tief getroffen. Vor der zweiten Saisonhälfte wirkt das Weltmeister-Team zunehmend gereizter und nervöser, je stärker Ferrari wird. Die österreichische Kronen-Zeitung wittert prompt „dicke Luft in der F1“ und fragte: „Wurde Hamilton von Ferrari absichtlich gerammt?“

Zwei Wochen zuvor hatte Vettel beim Grand Prix von Frankreich den Finnen Valtteri Bottas gleich nach dem Start von der Strecke geschoben. Hamiltons Teamkollege wurde mit beschädigtem Auto noch Siebter, Crash-Verursacher Vettel rettete sich auf den fünften Platz und gestand später den Fehler ein. Der 31-Jährige erhielt eine Fünf-Sekunden-Strafe. Zu milde, wie damals kritisiert wurde.

Giftiges Klima

Das Klima zwischen den Top-Teams wird giftiger, auch wenn Hamiltons Zorn am Montag verraucht schien. Nach vier Jahren der silbernen Dominanz ist die Scuderia akuell mindestens ebenbürtig. Sogar auf Mercedes-Strecken wie in Silverstone und zuvor im kanadischen Montréal und im österreichischen Spielberg. Angesichts des engen Klassements tun Punktverluste wie in Spielberg beim Technik-Ausfall beider Autos und durch die Kollisionen von Le Castellet und Silverstone dem Weltmeister-Team weh. Anstatt zu führen, liegt Hamilton acht Zähler hinter Vettel. Auch bei den Konstrukteuren steht Rot nach dem zehnten von 21 Saisonrennen vor Silber. „An den zurückliegenden drei Wochenenden haben wir durch eigene Fehler und die von anderen Punkte verloren“, meinte Wolff.

Hamilton wirkte in den ersten Stunden nach dem Rennen erschüttert, nicht zum fünften Mal nacheinander und zum sechsten Mal insgesamt in Großbritannien gewonnen zu haben. In seiner Enttäuschung verweigerte er das erste Interview nach dem Rennen. Seine Antworten in der Pressekonferenz fielen einsilbig aus. Teamchef Wolff verstand ihn und sagte: „Es ist Silverstone, es ist der britische Grand Prix, er ist raus geschossen worden. Da bekommt er jeden Kredit von mir.“

Hamilton kann gelassen bleiben

Dass Hamilton sich nach dem Rennen derart emotional zeigte, ist ungewöhnlich. Denn einerseits sind acht Punkte Vorsprung bei noch elf ausstehenden Rennen nun wirklich gar nichts, was auch nur ansatzweise auf eine Vorentscheidung in der Weltmeisterschaft hindeuten könnte. Andererseits hat er im vergangenen Jahr unter Beweis gestellt, dass er im entscheidenden Moment auch unter hohem Druck meisterlich fahren kann. Da er noch immer in einem der besten Autos sitzt, kann er trotz näher rückender Konkurrenz gelassen bleiben. Die Fans dürfen sich auf spannende Rennen freuen, in denen es eng zugeht und schon kleine Fehler von der Konkurrenz ausgenutzt werden.


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