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Stuttgart siegt – doch Gewinner sind alle Teilnehmer

Formula Student in Hockenheim

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Das Team der Universität Stuttgart ist Sieger der diesjährigen Formula Student Germany auf dem Hockenheimring. Den zweiten und dritten Platz belegten zwei Teams aus Graz – doch Gewinner waren alle

Studenten bauen einen Formel-Rennwagen – das ist eines der Dinge, von denen man sich im Berufsleben wünscht, man hätte so etwas auch während seines Studiums gemacht. In der Formula Student dürfen angehende Ingenieure diesen Traum leben und Erfahrungen für die Berufspraxis sammeln

Den Studenten stellt sich eine klar umrissene Aufgabe: Sie sollen für einen fiktiven Auftraggeber einen Formelrennwagen entwickeln, der in einer Serie von tausend Exemplaren produziert nicht mehr als 25.000 US-Dollar kostet. Im Wettbewerb untereinander zählt nicht etwa allein das schnellste Fahrzeug, sondern es gilt das beste Gesamtpaket zu entwickeln.

Weltweites Engagement
Der Wettbewerb wurde erst zum zweiten Mal in Deutschland durchgeführt, wenn man von einem statischen Pre-Event 2005 absieht. Die Formula Student hat jedoch eine beinahe 30-jährige Historie, die 1978 mit der SAE Mini Indy startete (Society of Automotive Engineers). Neben der deutschen Veranstaltung gibt es weitere Wettbewerbe in Australien, Brasilien, England, Italien, Japan sowie zwei in USA. Insgesamt werden bei jedem Wettbewerb 1000 Punkte vergeben, die auf drei statische und fünf dynamische Events verteilt werden. Beinahe ein Drittel der Punkte wird vergeben, ohne dass der Rennwagen einmal starten muss:

– 150 Punkte kann ein Team im Design Event gewinnen.
– Beim Cost & Manufacturing Analysis Event sind bis zu 100 Punkte zu erzielen.
– Der Presentation Event ist noch einmal bis zu 75 Punkte wert.

Vier Tests, bevor es auf die Strecke geht
Bevor ein Fahrzeug zu den dynamischen Tests antreten darf, muss es vier Tests bestehen. Im sogenannten Scrutineering (ein Kunstwort aus Scrutinize und Engineering) wird das Fahrzeug ähnlich wie bei einer Hauptuntersuchung von einem Ingenieur untersucht. Dabei wird vor allem die Sicherheit der Konstruktion, insbesondere des Fahrwerks und der Bremsen begutachtet. Das Team muss außerdem nachweisen, dass der angeschnallte Fahrer im vollen Rennanzug mit Helm das Fahrzeug innerhalb von fünf Sekunden verlassen kann. Gestoppt wird die Zeit, bis er mit beiden Füßen auf dem Boden steht. Das Scrutineering kann bis zu einer Stunde dauern, und wer hier bestanden hat, der macht den ersten großen Schritt in diesem Wettbewerb.

Beim zweiten Test wird der Rennwagen auf einer Vorrichtung um 45 Grad gekippt, um die auftretenden Querbeschleunigungen zu simulieren. Hier kommt es darauf an, dass keine Flüssigkeiten austreten. Beim Bremstest muss der Fahrer alle Räder zum Blockieren bringen, ohne dass das Fahrzeug aus der Spur ausbricht. An diesem Test scheiterten alleine bereits zehn Teams. Schließlich wird noch der Geräuschpegel gemessen, der bei 80 Prozent der Maximaldrehzahl 110 dB nicht überschreiten darf.

Eine Plakette für jeden Test
Bei jedem Test erhält der Wagen einen weiteren Aufkleber. Für dieses Jahr haben sich die Veranstalter Viertelkreise ausgedacht. Mit einem Augenzwinkern erzählte einer der Offiziellen, man fürchte die Improvisationsfähigkeiten der Teilnehmer und entwerfe lieber jedes Jahr neue Aufkleber.

Leicht gleich schnell
Nach bestandener Abnahme kann jedes Team an fünf dynamischen Events teilnehmen, von denen die ersten drei jeweils zweimal von zwei verschiedenen Fahrern absolviert werden. Gezählt wird nur die schnellste Zeit: Im Acceleration Event sind bis zu 75 Punkte zu erwerben. Es gilt eine 75 Meter lange Strecke aus dem Stand schnellstmöglich zu durchfahren. Ein leichtes Fahrzeug mit hoher Leistung ist hier im Vorteil. Die FH Kiel [1] gewann diesen Event mit einer Zeit von 4,11 Sekunden. Die Leistungsdichte ist dabei sehr hoch. Die Plätze zwei bis fünf wurden mit Zeiten von 4,21 bis 4,26 Sekunden erzielt.

Formula Student in Hockenheim

Autoslalom – die Querbeschleunigung entscheidet
50 Punkte gibt es im Skidpad-Event. Hier spielt die Motorleistung keine Rolle, da eine Acht bestehend aus zwei mal zwei Vollkreisen gefahren wird. Je höher die aufgebaute Querbeschleunigung ist, desto schneller kann das Fahrzeug den Parcours durchfahren. Das aus USA angereiste Team der Rochester University konnte diesen Wettbewerb mit 5,127 Sekunden für sich entscheiden. Auch hier ist die Leistungsdichte sehr hoch, denn das letztplatzierte Team aus Freiberg benötigte gerade einmal sechs Sekunden.

Autocross – das Qualifying
Im Autocross durchfahren die Rennwagen erstmals einen längeren abgesteckten Kurs mit Rundenzeiten um eine Minute. Dabei gibt es bis zu 150 Punkte zu gewinnen. Mit der besten Rundenzeit von etwas über 54 Sekunden konnte das DART-Team der TU Darmstadt [2] diesen Event für sich entscheiden. Da der alles entscheidende Endurance Event in umgekehrter Reihenfolge der Platzierung des Autocross gestartet wird, erwirbt man sich darüber hinaus das Recht des späten Starts und damit eine saubergefahrene Strecke.

Endurance Event – Ausdauer entscheidet
Mit 350 Punkten, also mehr als einem Drittel der Maximalpunktzahl ist der Endurance Event der entscheidende Wettbewerb, den nur zwanzig Teams erfolgreich beenden konnten. Es gilt dabei, den Rennwagen 22 km über den Autocross-Parcours zu fahren. Dabei wird in der Mitte des Rennens gegen die Uhr einmal der Fahrer gewechselt. Zu diesem Zeitpunkt muss unbedingt der heiß gefahrene Motor wieder anspringen. Gesamtsieger Stuttgart absolvierte diese Disziplin, ohne auch nur ein einziges Hütchen umzufahren und erzielte zugleich die kürzeste Fahrtzeit. Die auf dem siebten Platz abschließenden Autocross-Sieger aus Darmstadt sammelten dagegen die Rekordzahl von 35 Pylonen auf und kassierten damit 70 Strafsekunden.

Fuel Economy Event – wer braucht am wenigsten Sprit?
Mit 50 Punkten ist der Fuel Economy Event dotiert. Es zählt ein möglichst geringer Spritverbrauch, eine Disziplin, in der sich Rennwagen normalerweise nur beweisen müssen, weil Tanken Zeit kostet. Da in keinen der Events nachgetankt werden muss, ein geringer Spritverbrauch aber vorteilhaft ist, wird einfach der Spritverbrauch im Endurance Event gemessen. Mit einem Verbrauch von 2,4 Litern für die 22 km gewinnt das Team der Swansea [3] University diesen Wettbewerb, war aber zugleich letztes Team nach gemessener Zeit ohne Strafzeiten für umgefahrene Pylonen. Die zweitplatzierten der Endurance liegen mit einem Spritverbrauch von 3,4 Litern immerhin auf dem vierten Platz und die wenig schnelleren Endurance-Sieger aus Stuttgart verbrauchten immerhin schon knapp 4,3 Liter.

Rennfahrerstress auch für Studenten
Im den Events Autocross und Endurance wird nicht nur das Fahrzeug, sondern auch der Fahrer stark gefordert. Der Kurs ist sehr eng abgesteckt und erfordert eine präzise Fahrweise. Gerade Streckenelemente wechseln mit engen Schikanen und schnell zu fahrenden Kurven. Wer hier zu sehr hinlangt, der räumt schnell ein paar Pylonen ab und kassiert dafür Strafzeiten von zwei Sekunden pro Hütchen. Eine kleine Unaufmerksamkeit kostet im Autocross schnell mehrere Platzierungen.

Favoritensiege
In der Gesamtauswertung lagen am Ende die Favoriten vorn. Mit 899,72 von 1000 möglichen Punkten siegte das Rennteam Stuttgart [4] klar vor dem letztjährigen Gewinner TU Graz [5]. Die Österreicher erzielten mit 839,55 Punkten ein ähnliches Ergebnis wie 2006 (832,10), während Stuttgart mehr als 140 Punkte zulegte. Dabei lief bei den Schwaben im Vorfeld des Wettbewerbs keineswegs alles glatt. Im Mai musste das Team das Chassis hinter dem Fahrersitz komplett umbauen, weil der neue Mahle-Motor nicht fertig zu werden drohte. Statt eines längs eingebauten Dreizylinders sollte das Fahrzeug wieder den quer eingebauten Honda-Vierzylinder des Vorjahres aufnehmen. Dazu musste das Team den Gitterrohrrahmen hinter dem Überrollbügel neu gestalten und die Karosserie im Heckbereich verbreitern. Statt nur einem neuen Wagen entstanden auf diese Weise zwei verschiedene mit unterschiedlichem Antriebskonzept.

Formula Student in Hockenheim

Lose Schraube, aber bestes Design
Nicht gut lief es für das TUfast Team der TU München [6], die den Design Award gewinnen konnten. Wegen einer losen Schraube am hinteren Bremssystem konnte der Wagen den Endurance Event nicht beenden und damit nicht mit nach vorne fahren. Mehr Glück hatte das zweite Grazer Team von der FH Joanneum Graz [7]. Beim letzten Test vor der Endurance fiel der Motor aus. Diagnose: Zylinderkopfschaden. Das Team wechselte binnen vier Stunden den Motor und konnte die Endurance erfolgreich zu Ende fahren. Im Gesamtergebnis belegten die Grazer dann den dritten Platz.

Vielfältige Konstruktionen
Ein Gang durch das Fahrerlager ist ein echtes Erlebnis. Die Konstruktionen könnten vielfältiger kaum sein. Gitterrohrrahmen konkurrieren mit Monocoques, feinstes Carbonmaterial mit Gaffatape, feinste Aerodynamik mit Seifenkisten. Viele Teams setzen auf Motorradmotoren, die innerhalb der Hubraumbegrenzung von 600 Kubikzentimeter liegen. Sie erreichen nicht ganz die Originalleistung, weil das Reglement einen Innendurchmesser von 20 mm für den Lufteinlass vorgibt. Im Formelrennwagen aber stellen sich Anforderungen, die es im Motorrad nicht gibt. So baut ein Rennwagen Querbeschleunigungen auf, während sich ein Motorrad in die Kurve legt. Mit Trockensumpfschmierungen und Schwallblechen muss die Ölversorgung gewährleistet werden.

Keine Geheimniskrämerei
Die Teams betreiben keine Geheimniskrämerei, sondern führen stolz ihre Lösungen vor. Man hilft sich gegenseitig, wo man nur kann. Wer Unterstützung braucht, lässt per Ansage nach Experten oder Teilen fragen. Die Jury zeichnete das Team aus Delft [8] mit dem Sportsmanship Award aus, weil sich die Niederländer als außerordentlich hilfsbereit erwiesen hatten.

Echte Sportsleute
Der gegenseitige Austausch und das kollegiale Verhältnis der Teams untereinander sollten aber nicht über das Engagement und den Siegeswillen der Teilnehmer hinwegtäuschen. Man kämpft halt weniger gegeneinander als für die eigene Sache. Die Teams agieren als selbstständige kleine Unternehmen – in Deutschland zumeist als e.V. geführt – und finanzieren sich aus Sponsorengeldern. Neben Ingenieuren sind deshalb auch Betriebswirte gefragt, die den kaufmännischen Teil sowie Organisation und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Zwanzig Stunden kann ein Student wöchentlich ganz locker in dieses Unternehmen hineinstecken. Das mag das Studium um ein oder zwei Semester verlängern. Und erscheint dennoch als eine äußerst sinnvolle Investition in die eigene praxisnahe Fortbildung. (Volker Weber [9])


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[1] http://www.raceyard.de
[2] http://www.dart-racing.de
[3] http://www.motorsport.swan.ac.uk
[4] http://www.rennteam-stuttgart.de
[5] http://www.racing.tugraz.at
[6] http://www.tufast.de
[7] http://www.joanneum-racing.at
[8] http://www.dutracing.nl/
[9] http://vowe.net/contact.php