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Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw

Grenzüberschreitung

Technik Christoph M. Schwarzer

In der neuen Analyse des ICCT zeigt sich, dass bei der Abgasreinigung nicht nur die eingesetzte Technik, sondern auch deren Abstimmung zählt. So unterbot ein BMW den Grenzwert für Stickoxide um 70 Prozent. Das schlechteste Auto überbot das Limit im WLTC um das über 14-fache

Berlin, 4. September 2015 – Dem Diesel droht die Stigmatisierung. So sieht es der International Council on Clean Transportation (ICCT). Und er fordert, dass die Hersteller alle Maßnahmen ergreifen, um den Selbstzünder so sauber wie technisch möglich zu machen. Das Ergebnis einer neuen Untersuchung [1] der Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw lässt aufhorchen: Es kommt, so das Fazit, nicht nur auf die eingesetzte Methode zur Abgasreinigung an. Mindestens genauso wichtig ist die Umsetzung. Im Vergleich von 32 Fahrzeugen konnte sich BMW als Marke mit den saubersten Motoren in Szene setzen; auch Mercedes schneidet gut ab. Autos von Opel, Hyundai, Renault und Volvo fielen dagegen durch schwache Ergebnisse auf.

USA: Strengere Norm

Anlass der Veröffentlichung ist die seit Dienstag für alle neu zugelassenen Pkw geltende Euro 6-Norm. Sie setzt einen Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. Zum Vergleich zieht der ICCT viele Zahlen aus den USA heran; das dortige Tier 2 BIN 5-Limit liegt bei umgerechnet 31 mg / km. Die Beliebtheit des Antriebs variiert extrem: Während in den USA 2014 nur 0,8 Prozent der Käufer den Diesel wählen, was faktisch der Bedeutungslosigkeit entspricht, sind es in Europa 53 Prozent gewesen.

Spitzenwerte erreichen Frankreich, Spanien, Belgien und Irland, wo Marktanteile zwischen 65 und 72 Prozent erreicht werden. Den Franzosen beginnt das zu stinken: Kampagnen wie „Der Diesel tötet“ („Le Diesel tue [2]“) oder die Forderung der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, ab 2020 Einfahrverbote zu verhängen, zeugen von einer sich drehenden Stimmung. Das ist, was der ICCT mit der Gefahr der Stigmatisierung beschreibt.

Die Forschungsorganisation fährt bei der Veröffentlichung der Messergebnisse eine Eskalationstaktik. In einer ersten Untersuchung [3] haben die Testwagen den Grenzwert im Durchschnitt um das 7-fache überschritten. Auffällig war schon im Oktober 2014, dass einige Typen eine effektive Abgasreinigung hatten, andere dagegen total versagten. Welche das genau waren, ließ der ICCT offen: Alle Autos wurden anonymisiert. Jetzt, in der aktuellen Untersuchung, werden immerhin die Namen der Marke sowie die Fahrzeugklasse und die Motorleistung genannt.

Die Datenbasis stammt aus dem ADAC EcoTest [4]. 32 Fahrzeuge wurden auf einem Rollenprüfstand getestet und in zwei Zyklen gemessen. Wenig verwunderlich: mit einer Ausnahme erfüllten alle die im NEFZ geforderten, gesetzlichen Standards. Zum Vergleich wurde der strengere und wahrscheinlich 2017 kommende WLTC gefahren. Obwohl die Anforderungen nicht grundverschieden sind, zeigten sich bei einigen bereits starke Abweichungen bei den Emissionen.

Verdacht: Optimierung auf den Normzyklus

Das nährt den alten Verdacht, dass diese Fahrzeuge allein auf die Prüfstandnorm optimiert sind, im Alltag aber aus dem Rahmen fallen. Das ist wichtig, weil nach 2016 die so genannten Real Driving Emissions [5] (RDE) mit mobilen Abgasmessgeräten (PEMS für Portable Emissions Measurment System) erhoben werden. Dann wird noch deutlicher werden, wenn die Real- über den Laborwerten liegen.

Stickoxidemissionen sind in den Fokus der Europäischen Union geraten, weil sie die Atemwege direkt schädigen. Und weil allen Verschärfungen der Euro-Norm zum Trotz keine oder nur eine geringe Verbesserung der Luftqualität an viel befahrenen Stadtstraßen feststellbar ist. Sie sind das einzige Abgas, das der Mensch mit seiner Nase noch riechen kann. Chlor-artig stechend oder leicht süßlich kann jeder die Stickoxide wahrnehmen, der einen Diesel-Pkw vor sich hat.

Speicherkatalysator am weitesten verbreitet

Für die Reinigung haben sich drei Wege etabliert: Selten geworden sind die „innermotorischen Maßnahmen“, auf die vor allem Mazda setzt. Die Japaner erreichten insgesamt eine gute Performance, obwohl sie etwa im schnellen Teil des WLTC (bis 130 km/h) negativ auffielen. Die meisten Fahrzeuge im Verkauf, zum Beispiel sämtliche Volkswagen Golf TDI, sind mit einem NOx-Speicherkatalysator ausgestattet.

In den höheren Klassen geht es nicht mehr ohne die selektive katalytische Reduktion (SCR) mit wässriger Harnstofflösung. Nach den bisherigen Ergebnissen bietet dieses Verfahren das größte Potenzial, die Abgase unter wirklich allen Bedingungen effektiv in den Griff zu kriegen. Der Nachteil: Ein Tank für die wässrige Harnstofflösung (Handelsname: AdBlue) ist erforderlich, und das kostet Geld und Bauraum. Außerdem muss der Fahrer ab und zu nachschütten. Leider war der Peugeot 308 noch nicht Gegenstand der Untersuchung; der Golf-Konkurrent arbeitet mit der aufwändigen SCR-Technologie. Es wäre spannend zu sehen, ob die Marke ihrem Ruf gerecht wird, besonders saubere Diesel zu verkaufen.

Zu den Auffälligkeiten im Ergebnis: Während die Autos mit Speicherkatalysator im NEFZ am besten abschneiden, kommen dieselben Fahrzeuge im WLTC auf den höchsten durchschnittlichen Abgasausstoß. Die fünf schlechtesten Autos im Test emittieren mehr als die anderen 27 zusammen; von den schwachen fünf arbeiten vier mit Speicherkatalysator. Hier wurden Werte bis 1167 mg / km gemessen, was mehr als das 14-fache des Erlaubten ist. Ein prinzipieller Mangel der Technologie zeigt sich hier allerdings nicht: Das beste Fahrzeug im Vergleich, ein BMW, unterbot im WLTC den Grenzwert um 70 Prozent und hatte einen Speicherkatalysator.

An der Abgasreinigung gespart

Ebenfalls deutlich wird, dass große Fahrzeuge besser abschneiden als kleine. Hier kommt wahrscheinlich der Vorteil der SCR-Systeme zum Tragen. In schweren Fahrzeugen muss herstellerseitig mehr Geld für die Abgasreinigung investiert werden, während in den preissensiblen Segmenten gilt: ein gutes Pferd springt nicht höher als es muss. Von den 32 Fahrzeugen war nur eins ein Volkswagen. Vielleicht war es ein Passat Blue TDI, wie das Baujahr (2013), die Motorleistung (103 kW) und die Verbindung mit einem SCR-Kat vermuten lassen. Dieses Modell ist inzwischen durch den Passat B8 abgelöst – so ist also kein aktuell käuflicher Volkswagen vertreten.

Übersetzt: Die Arbeit des ICCT ist Work in Progress. Es ist wünschenswert, dass in Zukunft noch mehr Fahrzeuge untersucht werden. Und bitte auch mit mobilen Abgasmessgeräten. Nur so kann bewiesen werden, was im wirklich wahren Leben passiert. Zum Beispiel auf der Autobahn bei mehr als 130 km/h, im dichten Stop-and-Go-Betrieb oder beim winterlichen Kaltstart. Letztlich nützen solche Studien dem Dieselmotor. Zwar wird vordergründig ein hoher Handlungsdruck aufgebaut. Aber nur so können die Hersteller belegen, dass ihre Produkte nicht nur scheinbar sauber, sondern so rein wie machbar sind. Tun sie das nicht, wird der Druck auf den Selbstzünder weiter steigen.


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https://www.heise.de/-2805510

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.theicct.org/nox-control-technologies-euro-6-diesel-passenger-cars
[2] http://www.fne.asso.fr/fr/nos-actions/transports/le-diesel-tue/
[3] http://www.theicct.org/sites/default/files/publications/ICCT_PEMS-study_diesel-cars_20141013.pdf
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/ADAC-Antriebsvergleich-Weisse-Weste-2788923.html
[5] http://www.real-driving-emissions.eu/