zurück zum Artikel

US-Medien: Toyota behindert die Aufklärung ungewollten Beschleunigens

Hält Toyota Blackbox-Daten zurück?

Technik ggo

Toyota hält angeblich Blackbox-Daten zurück, die Aufschluss über ein ungewolltes Beschleunigen geben könnten. Dabei ist der Inhalt der ominösen schwarzen Kästchen oft ziemlich trivial

Hannover, 12. März 2010 – Toyota hat jahrelang den Zugriff auf "Blackboxes" in den Fahrzeugen des Herstellers verhindert – so steht es zumindest in einem amerikanischen Medienbericht [1]. Demnach könnten ausgerechnet jene Daten nicht ausgelesen werden, die Auskunft über ein plötzliches ungewolltes Beschleunigen geben, das derzeit in den US-Medien für Aufruhr sorgt. Es gibt allerdings auch Beobachter, die nicht in das derzeitige Toyota-Bashing einstimmen wollen und viel einfachere Gründe sehen, bis hin zu simplen Fahrfehlern.

Suche nach Widersprüchen

Toyotas Erklärungen seien teils widersprüchlich gewesen, heißt es, wenn es um die Frage ging, was genau die "Event Data Recorder" (EDR) aufzeichnen und was nicht. So habe eine Nachfrage zunächst ergeben, dass vor und nach einer Auslösung des Airbags jeweils fünf Sekunden aufgezeichnet werden. Dabei würden Fahrzeug­geschwin­digkeit, Gaspedal­position und die Position des Schalthebels aufgezeichnet und zusätzlich, ob der Gurt angelegt war und in welchem Winkel die Sitzlehne stand. Beim nochmaligen genaueren Nachfragen habe Toyota bestätigt, dass auch Informationen zur Bremspedal­position und der Funktion des ABS aufgezeichnet würden.

Diese Auskunft stimme aber nicht mit den Informationen überein, die Anwälte 2009 und 2004 bei zwei tödlichen Unfällen in Texas und in Indiana erhalten hätten. Im ersten Fall habe die Polizei ein Daten­protokoll erhalten, bei dem Informationen zu Beschleunigungs- oder Bremsvorgängen als "deaktiviert" aufgeführt waren. Im zweiten Fall sei ein Toyota-Techniker von der US-Zentrale des Unternehmens nach Kalifornien gereist, um den Unfallwagen, einen Camry, zu untersuchen. Zwar habe die verunglückte Fahrerin bei der Bergung noch mit beiden Füßen auf der Bremse gestanden – doch ein Toyota-Vertreter habe den Anwälten mitgeteilt, dass es keine Sensorik gebe, die beim Aufprall Informationen über Bremsen oder Beschleunigen aufzeichne.

Geheimniskrämerei

Ein Anwalt behauptete im Fall von 2009 sogar, dass Toyota bewusst die Datenrecorder modifiziert habe, sodass sie kritische Informationen nicht mehr aufzeichnen. Ein weiterer Anwalt in dem Fall zeigte sich überrascht, wie wenig Information der Recorder enthalte. Toyota habe dagegen betont, dass man Regierungsstellen durchaus Informationen des Recorders zur Verfügung stelle, sofern sie vorhanden sind, heißt in dem Bericht weiter. Bei dem Datenrecorder handele sich allerdings um ein experimentelles Gerät, das nicht für die Unfallrekonstruktion ausgelegt sei. Toyotas Grundsatz sei es, Daten aus dem Gerät nur weiterzugeben, wenn sie von Gerichten oder der Verkehrsbehörde NHTSA angefordert würden.

Hält Toyota Blackbox-Daten zurück?

Auch die Newsweek berichtete im Februar, dass Toyota die Daten aus seinen Datenrecordern "geheim hält". Nur Toyota selbst könne die proprietären Daten auslesen – und wenn das geschieht, sei der Kommentar Toyotas regelmäßig, dass kein Problem zu erkennen sei.

Offene Systeme

Andere Hersteller machen es leichter, die Daten auszulesen. So produziert Bosch im Auftrag von GM ein Gerät, mit dem man bereits direkt nach einem Unfall die Daten auslesen kann – und das für jeden frei verfügbar ist. Ursprünglich war übrigens die Firma Vectronix Anbieter der Technik, bis Bosch das Unternehmen übernahm. GM, aber auch Ford und Chrysler statten ihre Autos mit "offenen Systemen" aus, die jedermann auslesen kann, berichtet die Newsweek.

Wir fragten einen deutschen Spezialisten nach seiner Meinung. Armin Kast, Geschäftsführer eines auch international bekannten Gutachter­büros, erläuterte uns die Rechtslage in den USA: Ursprünglich seien es GM und Ford gewesen, die Datenrecorder eingeführt haben, allerdings aus Gründen der Produkthaftung, die in den USA für Unternehmen bekanntlich unangenehme und teure Folgen haben kann. Autohersteller verbauten die Recorder also anfangs – teils durchaus heimlich – aus Eigeninteresse, um etwa aufzeigen zu können, ob bei einer Airbagauslösung der Fahrer angeschnallt war. Das zum Beispiel erfordert aber nur Daten zum Status von Airbag und Gurtschloss.

Wissbegierige Verkehrsbehörde

Anforderungen von staatlicher Seite sind erst später entstanden, als man dort den möglichen Nutzen für weitere Zwecke erkannte. Einem Dokument der amerikanischen Verkehrsbehörde NHTSA [2] lässt sich tatsächlich entnehmen, dass zunächst zwei Petitionen abgelehnt wurden, Event-Datenrecorder verpflichtend einzuführen, um Unfälle besser rekonstruieren zu können. Nach der dritten Eingabe eines Dr. Ricardo Martinez, der die darüber hinaus eine Standardisierung der aufgezeichneten Daten forderte, entwickelte eine Arbeitsgruppe des IEEE [3] einen Vorschlag, der letztlich in einer "Final Rule" des NHTSA mündete.

Interessanterweise ist darin allerdings nur geregelt, welchen Anforderungen freiwillig installierte EDRs genügen müssen. Sinn­gemäß heißt es in der "Final Rule" auf den Seiten 31 und 32, dass die Daten im Recorder derart standardisiert vorliegen müssen, dass sie nach einem Unfall direkt und problemlos entnommen werden können. Einer verpflichtende Installation von Recordern entsprechend der Martinez-Eingabe lehnte das NHTSA allerdings ab. Für Toyota bedeutet das zwar, dass ab September 2010, so die Regelung nach jetzigem Stand, die Recorder von Neuwagen nach den vorgeschriebenen Standards auslesbar sein müssen. Toyotas proprietäre Lösung, für die sich im Kongress ironischerwese ausgerechnet US-Verkehrsminister Ray LaHood rechtfertigen [4] musste, wird damit hinfällig. Das heißt aber auch, dass in der Vergangenheit Toyota keinerlei Verpflichtung unterlag, bestimmte Daten in einem bestimmten Format zur Verfügung zu stellen – das scheint manche US-Kritiker aber wenig zu interessieren.

Hält Toyota Blackbox-Daten zurück?

Von nichts kommt nichts

Es mag also unklug gewesen sein, anders als Ford oder GM eine proprietäre Lösung zu wählen, der Vorwurf einer bewussten Unterschlagung von Daten ist aber schwer zu halten. Kast bestätigte uns im Übrigen, dass die Art der aufgezeichneten Daten sehr unterschiedlich ist und notwendige Informationen zur Unfall­­rekon­struktion durchaus nicht vorhanden sein muss. Dass wie in dem texanischen Fall keine Daten über Beschleunigungs- oder Brems­vorgänge gespeichert waren, kann schlicht daran liegen, dass da einfach nichts war.

Zukünftig wird es leichter

Die neuen Anforderungen des NHTSA werden die Auswertung von Unfällen sicherlich leichter machen. Obwohl die Geräte nach wie vor auf freiwilliger Basis verbaut werden dürfen, werden wohl schnell alle Autos den Standards entsprechen, da die Autohersteller vor dem Hintergrund der Produkthaftung kaum auf die Blackbox verzichten können. Außer den Informationen zu Airbag und Sitzgurt wird man dann auch zum Beispiel das Delta-V der 250 ms vor dem Aufprall auslesen können, oder die Position des Gaspedals – die genaue Auflistung ist ab Seite 197 der Regulierung [5] nachzulesen.

Zieht Europa nach?

In Deutschland wird die Aufzeichnung von Fahrzeugdaten bisher vor allem unter Service-Gesichtspunkten gesehen. Vorgeschrieben ist nur das sichere Speichern des Kilometerstands. Grundsätzlich werden auch in europäischen Autos Informationen in den verschiedenen Steuergeräten des Autos gespeichert, eine einheitliche Regelung gibt es nicht. Laut Armin Kast ist es zwar in manchen Fällen auch hierzulande möglich, die Daten von Steuergeräten für die Unfall­konstruktion zu verwenden, dies folgt aber bisher keinen festen Regeln, wie es in den USA bald der Fall sein soll.

Das könnte sich allerdings ändern. Aus dem EU-Projekt Veronica [6] ist die Empfehlung entstanden, Fahrzeuge mit einer Blackbox auszurüsten, die 20 Datentypen aufzeichnen soll. Auch hier sind standardisierte Datensätze vorgesehen sowie eine Technik, die drei Sätze mit einer jeweils 45-sekündigen Aufzeichnung zulässt. Ein entscheidender Unterschied besteht in der Empfindlichkeit der Aufzeichnung: Anders als in den USA, wo der Recorder durch die Auslösung des Airbags getriggert wird, sieht Veronica eine höhere Empfindlichkeit vor, damit zum Beispiel auch Unfälle mit Fußgängern aufgezeichnet werden. Bisher gibt es allerdings außer einer Machbarkeitsstudie noch keine konkreten politischen Schritte für eine Umsetzung.

Hält Toyota Blackbox-Daten zurück?

Schlechtes Bremsen

In der teils sehr aufgeregten Diskussion in den USA kommentierte [7] übrigens der emeritierte Psychologie-Professor Richard A. Schmidt das Geschehen in den New York Times. Unter dem Titel "Schlechtes Bremsen" brachte er die Überlegung ins Spiel, dass trotz Hilfsmitteln wie einem "schlauen Pedal", wie es die US-Regierung wünscht [8], manchmal einfach nur die Autofahrer schuld sind. Schon in den 1980ern habe es ähnliche Probleme gegeben, bei denen ein Auto ungewollt beschleunigte – und schon damals hätten Untersuchungen darauf hingedeutet, dass manchmal bei einer Fehlbedienung, der Fuß nicht mehr dem Hirn folgen mag. So unglaublich es klingen mag, treten demnach manche Menschen in Panik und wie gelähmt das Gaspedal weiter durch, anstatt das Bremspedal zu betätigen.

Audi, damals ähnlich unter Druck wie heute Toyota (und letztlich unschuldig), konstruierte für den Audi 5000 [9] eine Sperre, welche die Bedienung der Automatik sicherer machen sollte. Danach musste man nach dem Starten des Motors die Bremse treten, um aus der "P"-Stellung der Automatik zu kommen. So war zumindest eine Fehlbedienung beim Start des Autos erschwert. Audi übertrug das Patent an andere Hersteller, so dass die Technik bald bei allen Automatikautos üblich war.

Schlaues Pedal

Was nun die Obama-Administration vorschlägt, ist ein "smart pedal", bei dem Gas weggenommen wird, wenn die Bremse getreten wird – eine Technik, die es bei BMW, Chrysler, Volkswagen und neueren Toyota-Modellen schon gebe. Das könnte in der Tat Fälle verhindern, wie sie derzeit von Toyota berichtet werden, weil der Fahrer dann selbst bei einem mechanisch klemmenden Gaspedal bremsen kann und dabei die Funktion des Gaspedal übersteuert wird. Wer damit Gas gibt, kann es mit ziemlicher Sicherheit nicht dem Pedal in die Schuhe schieben.

Bei einem hilft allerdings ein noch so schlaues Gaspedal nicht und das konnte ich vor einigen Jahren sonntags in einem Kölner Stadtteil beobachten: Der Fahrer eines recht wertvollen Mittelklasse-Autos, der um die 60 Jahre gewesen sein mochte, fuhr plötzlich und dem Anschein nach unkontrolliert los und schob gemütlich im Kreis fahrend andere geparkte Autos vor sich hin. Nach dieser Massendemolage konnte ich mit dem ziemlich verdatterten Herrn sprechen, der nicht erklären konnte, warum er wie gelähmt war und nicht gebremst hatte.

Neuromuskuläre Prozesse

Prof. Schmidt schreibt in den New York Times, dass bei Auswertungen einer GM-Studie in den 1980er-Jahren 60- bis 70-Jährige etwa sechsmal so oft ein ungewolltes Beschleunigen beklagten als 20- bis 30-Jährige. Zurück in die Gegenwart: Der eingangs zitierte Bericht spricht im texanischen Fall von einer älteren Dame und im Fall Evansville, Indiana, von der 77-jährigen Juanita Grossman. Vielleicht gibt es ja einfach Autofahrer, bei denen manchmal "unruhige neuromuskuläre Prozesse dazwischenkommen, sodass die geplante Handlung ein wenig anders ausfällt als gewollt", wie Prof. Schmidt sagt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-953643

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.longislandpress.com/2010/03/04/ap-impact-toyota-secretive-on-black-box-data/
[2] http://www.nhtsa.gov/
[3] http://www.ieee.org
[4] http://www.insideline.com/toyota/toyota-hearings-transportation-secretary-pledges-investigation-into-toyota-electronics.html
[5] http://www.nhtsa.gov/staticfiles/DOT/NHTSA/Rulemaking/Rules/Associated%20Files/EDRFinalRule_Aug2006.pdf
[6] http://veronica-project.net/index.php?option=com_docman&task=cat_view&gid=25&Itemid=27
[7] http://www.nytimes.com/2010/03/11/opinion/11schmidt.html?emc=tnt&tntemail1=y
[8] http://www.nytimes.com/2010/03/03/business/global/03toyota.html
[9] http://www.canadiandriver.com/2009/11/13/motoring-memories-audi-5000-1978-1989.htm