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Im Test: BMW X1 xDrive 20d

Konzeptumkehr

Fahrberichte Martin Franz
BMW

Der zweite BMW X1 wirkt innen nobler, dreht aber aus Kostengründen sein Antriebskonzept um. Statt des standardmäßigen Hinterradantriebs mit zugeschalteter Vorderachse werden nun die Hinterräder nur bei Bedarf angetrieben. Eine Ausfahrt sollte zeigen, ob sich dieser BMW noch wie einer anfühlt

München, 8. März 2016 – BMW ist mit der schrittweisen Ausweitung seines Angebots an Fahrzeugen, die optische Geländegänger sind, faktisch aber auf den Straßenbetrieb hin optimiert sind, ein unglaublicher Erfolg gelungen. Das war nicht unbedingt absehbar, denn die ersten Ausgaben von X3 und erst recht vom X1 waren im Innenraum mit einer Hemdsärmeligkeit versehen, die der direkten Konkurrenz einen Konter einfach gemacht hätte. Doch die brauchte zum Teil Jahre, um zu reagieren. Die zweite X1-Ausgabe wirkt dagegen innen nobler, dreht aber aus Kostengründen ihr Antriebskonzept um. Statt des standardmäßigen Hinterradantriebs mit zugeschalteter Vorderachse werden nun die Hinterräder nur bei Bedarf angetrieben. Eine ausgiebige Ausfahrt sollte zeigen, ob sich dieser BMW noch wie einer anfühlt.

Van-Plattform

Der zweite X1 teilt sich nicht nur die Plattform mit den 2er-Vans, sondern auch zahlreiche Designanleihen. Besonders deutlich wird das im Innenraum, der sich von den Vans kaum unterscheidet. Damit einher geht eine solider wirkende Verarbeitung und feinere Materialien. Im Testwagen waren Holzleisten eingebaut, was gut ausschaut. Wenn man allerdings etwas drauf drückt, knarzen sie. Ob das aber einer außer uns macht?

Wie üblich, war auch dieses Presseauto mit so ziemlich allem ausgestattet, was die lange Aufpreisliste hergibt. Es lohnt sich, auf einige der Sonderausstattungen näher einzugehen, auch, weil sie den X1 zum Teil charakterlich formen. Das fängt bei den Sitzen an: Sie sind etwas schmaler als im Vorgänger. Bei den im Testwagen eingebauten Sportsitzen sind die Seitenwangen an der Lehne einstellbar, doch selbst derjenige, der sie weit aufmacht, wird sie stets spüren, was anfangs beengend wirkt. In der Redaktion fehlt ein richtiges Moppelchen. Korpulenten Menschen, die diese Sitze bestellen wollen, sei aber in jedem Fall eine ausgiebige Probefahrt damit empfohlen. Zumal sich nur die Wülste an der Lehne in der Breite verstellen lassen, nicht aber jene an der Sitzfläche. Das helle Leder ist ähnlich empfindlich wie bei anderen Marken auch – pragmatische X1-Käufer werden das wohl eher nicht bestellen. Positiv aufgefallen sind uns die Platzverhältnisse. Vom einstigen Ideal eines maßgeschneiderten Anzugs ist der X1 auf angenehme Weise überall weit entfernt.

Teuer nur noch mit Alarm

Gut gelungen ist auch die Multimediaabteilung, wobei der Interessent sich gut überlegen sollte, zu welchem der beiden Navigationssysteme [1] er greift. Das kleine Navi kostet 950 Euro und bietet alle wesentlichen Funktionen. Dazu ist es bei Dieben deutlich weniger gefragt als das größere „Navigation Plus“, das genau aus diesem Grund nur noch zusammen mit einer Alarmanlage verkauft wird. Es ist mit 2690 Euro (plus 200 Euro für die Alarmanlage) erheblich teurer und dennoch eine Überlegung wert [2]: Denn nur damit bekommt der X1-Käufer ein Head-up-Display. Auch das größere Info-Display im Kombiinstrument gehört zum Paket. Ohne das wirkt das Instrumentenfeld etwas verloren.

Beiden Navis gemein ist, dass es drei Jahre lang kostenlos Kartenupdates gibt. Die fast frei belegbaren Tasten erleichtern die Bedienung enorm, auch ohne eines der Navigationssysteme. Die Idee ist so gut, dass nun endlich - nach fast zehn Jahren - andere Hersteller nachziehen, so beispielsweise Audi im neuen A4. Nicht optimal ist im X1 dagegen der iDrive-Controller platziert: Nur wenn die Mittelarmlehne ganz nach unten gestellt ist, kommt man da ohne Verrenkungen heran. Es ist immer wieder erstaunlich, wie so etwas auf den langen Testfahrten vor einer Markteinführung nicht auffallen kann.

Preiswerte Systeme als Werbung für teure

Nach den Erfahrungen in 216d und 430d [3] legen wir denjenigen, die gern Musik im Auto hören und nicht nachrüsten wollen, das Harman/Kardon-Soundsystem ans Herz. Die serienmäßigen Lautsprecher und mit Abstrichen auch das günstige HiFi-System wirken dagegen wie eine überzeugende Werbung für die teure Anlage. Bei der stimmt dann vieles: Knackige Bässe, ordentliche Auflösung – dieses System würden wir ordern. Gleiches gilt auch für die LED-Scheinwerfer, die mit guter Ausleuchtung positiv aufgefallen sind.

Ruppige Helfer

Uneins sind wir in der Redaktion dagegen bei den Assistenzsystem, genauer gesagt beim Abstandstempomat. Für mich reagiert der etwas zu ruppig, andere Fahrer empfanden das weniger störend. Wie viele Autos reagiert er zudem lahm, wenn das Auto vor einem auf eine Abbiegespur wechselt und eigentlich freie Fahrt wäre. Es dauert ein etliche Sekunden, bis das System das realisiert und den Wagen wieder beschleunigt. Bis dahin wird gebremst und der Abstand zum abbiegenden Fahrzeug gehalten, was folgende Autofahrer schon mal merkwürdig finden. Bei einem Kollegen hat er sich fünf mal auf 300 Kilometern mit einer Warnmeldung abgestellt. Regen mag er nicht. Dreimal reagierte er verwirrt auf mehrere verschieden schnelle Autos und hat abgebremst, wo er hätte beschleunigen müssen. Wer da träumt und nicht sofort Gas gibt, hat womöglich einen Sprinterfahrer mit Messer zwischen den Zähnen im Kofferraum.

Das ebenfalls aufpreispflichtige, adaptive Fahrwerk lässt sich über den „Fahrerlebnisschalter“ verändern. Die straffere Abstimmung in „Sport“ ist deutlich zu spüren, wobei nicht ganz klar [4] ist, zu was das gut sein soll. Sicher, der X1 neigt sich damit in Kurven etwas weniger, doch die müssen dafür absolut eben sein. Ist die Straße dagegen nicht mehr hundertprozentig in Ordnung – und das ist kaum eine – versetzt der X1 in dieser Einstellung. Besonders deutlich ist das in schnell angegangenen, leicht welligen Autobahnkurven spürbar: In „Comfort“ gleicht das Fahrwerk die Unebenheiten einfach aus, in der „Sport“-Stellung wird die Fuhre dagegen ziemlich unruhig. Dabei ist auch die Comfort-Variante kein Weichmacher – auch hier ist gut zu spüren, wie die Fahrbahn beschaffen ist, aber eben auf eine distanzierte Art. Mit 500 Euro ist die „Dynamische Dämpfer Control“ auf den ersten Blick zwar nicht teuer, doch wir würden sie nur dort empfehlen, wo sie das M-Sport-Fahrwerk ersetzt. In allen anderen Fällen reicht das Serienfahrwerk aus.

Einflüsse des Antriebs

Viel vom BMW-Gefühl hat damit zu tun, dass die Lenkung stets frei von Antriebseinflüssen war. Im X1 werden standardmäßig die Vorderräder angetrieben und die Hinterräder nur noch bei Bedarf zugeschaltet. Das ist der Lenkung durchaus anzumerken: Sie ist sie stärker gedämpft und bietet weniger Rückmeldung. Zudem ist Antriebseinfluss drin, wenn auch nur ganz wenig. Das gesamte Gefühl ist dank des primären Frontantriebs weniger agil, der Hinterradantrieb wird nur selten dazugebeten [5]. Wie schon im 216d Gran Tourer [6] zeigt sich, dass BMW zwar gute Autos mit Frontantrieb bauen können, doch der Zauberei nicht mächtig ist.

Nicht ohne Grund bietet die Marke deshalb die kräftigen Maschinen im X1 erst gar nicht mit Frontantrieb an. Ein nicht wegzudiskutierender Teil jenes Fahrgefühls, mit dem BMW seine Preise bislang zumindest ein wenig rechtfertigen konnte, geht mit dem Frontantrieb verloren. Der Allradantrieb im X1 mildert den Verlust des Hinterradantriebs ein wenig und bekommt schon deshalb von uns eine klare Empfehlung. Vollkommen kompensieren kann er das jedoch nicht. Wir sind gespannt, wie BMW das beim nächsten 1er, der auf der gleichen Plattform stehen wird, hinbekommt. Denn wir vermuten noch immer, dass ein erheblicher Teil der 1er-Kunden auch das besondere Fahrgefühl honoriert, dass der in dieser Klasse so rare Hinterradantrieb bietet.

Eine klare Empfehlung bekommt dagegen die Achtgang-Wandlerautomatik von Aisin. Warum beim Wechsel von „Comfort“ auf „Sport“ via Fahrerlebnisschalter vorsorglich zurückgeschaltet wird, erschließt sich nicht so recht. Wahrscheinlich soll das erhöhten Einsatzwillen bezeugen. Dennoch: Die Automatik schaltet so treffsicher und unauffällig, dass wirklich nur noch Handschalt-Fanatiker darauf verzichten sollten. Noch etwas ungewohnt ist, dass hier wieder ein Wählhebel hin und her geschoben werden muss. Das gab es bei BMW seit 2007 eigentlich nicht mehr. Die Schaltwippen am Lenkrad gehören zur Sportautomatik, die nochmals 260 Euro mehr kostet und aus unserer Sicht nichts besser macht als die normale Automatik.

Druckmesser

Zu diesem Getriebe passt der Zweiliter-Diesel mit dem internen Code B47 sehr gut. Er wird seit gut zwei Jahren eingebaut und ist in diversen BMW-Modellen und Stärken zu haben. Das grundsätzliche Layout ähnelt dem seit 2007 gebauten Vorgänger mit der internen Bezeichnung N47. Bohrung und Hub blieben mit 84 x 90 mm gleich, auch die Steuerkette, die im N47 gerade anfangs für viel Ärger gesorgt hat, blieb auf der Getriebeseite. Neu ist ein Brennraum-Drucksensor, der den Motor näher am Optimum betreiben soll. BMW kann damit die Einspritzmenge noch genauer einteilen. Interessant ist auch die Umstellung bei den Injektoren. Im N47 hatten nur die Ausführungen mit 116 und 143 PS Magnetventil-Injektoren, bei den stärkeren Varianten wurden die als moderner gepriesenen Piezo-Injektoren eingebaut. Die sollten schneller und präziser reagieren, in der Praxis waren die Motoren damit aber etwas lauter. Beim B47 sind nun überall Magnetventil-Injektoren drin, die mit unterschiedlichem Druck arbeiten. Bis 190 PS sind es bis zu 2000 bar Einspritzdruck, darüber maximal 2500 bar.

Wunsch nach mehr gering

In unserem Testwagen leistet die Maschine 190 PS und bietet 400 Nm Drehmoment. Auch die kleinste BMW-X-Baureihe ist kein Leichtgewicht. Ohne weitere Ausstattung gibt BMW schon ein Leergewicht von 1625 Kilogramm an. Der umfangreich ausgestattete Testwagen dürfte noch einmal ein gutes Stück darüber liegen. Doch wie schon im 520d schlägt die Maschine sich auch hier wacker. Der Wunsch nach der B47-Ausbaustufe mit zwei Turboladern und 231 PS kommt allenfalls auf, wenn oberhalb von 170 km/h ein zügiger Geschwindigkeitszuwachs gewünscht ist. Hier setzen Gewicht und Stirnfläche der von uns gefahrenen Kombination einfach gewisse Grenzen.

Erstaunlicherweise wird solche Raserei kaum mit ausufernden Verbrauchswerten bestraft. Auf mehr als neun Liter hat es nicht einmal der Kollege mit den anerkannt schwersten Füßen gebracht. Selbst ein Schnitt von 150km/h brachte keine Werte darüber. Der Minimalwert bei geruhsamer und betont zurückhaltender Fahrt lag bei 5,2 Litern und damit einen halben Liter höher als im 520d Touring [7] ohne Allradantrieb. Fahrer mit einem gewissen Spieltrieb, der Autor zählt sich ausdrücklich dazu, erfreut eine Anzeige im „Eco Pro“-Modus, die verrät, wie viel Kilometer durch eine spritsparende Fahrweise mit dieser Tankfüllung zusätzlich zurückgelegt werden können. Zwischen 50 und 160 km/h kann der X1 mit Automatik in diesem Modus auch segeln. Im Alltag sind Werte um 6,5 Liter die Regel.

Wo der Käufer nicht sparen sollte

Der Testwagen kam auf einen Listenpreis von knapp 58.000 Euro. Diese Ausstattungsorgie wird sich kaum ein Kunde geben, zumal auch nicht alles davon den X1 angenehmer macht. Doch selbst Sparfüchse, so es sie unter den X1-Käufern tatsächlich geben sollte, werden einen sinnvoll ausgestatteten X1 mit dem 190-PS-Diesel im Verbund mit der Automatik kaum unter 45.000 Euro bekommen. Wem das zu viel erscheint, der hat zwei Möglichkeiten: Die Konkurrenz [8] diesseits der selbsternannten Premium-Klasse ist durchweg wesentlich günstiger. Oder er probiert den X1 mit dem 150-PS-Diesel und Frontantrieb. Inklusive Automatik liegen immerhin 5200 Euro dazwischen. Davor sollte jedoch eine ausgedehnte Probefahrt anstehen. Denn mit Frontantrieb fehlt dem X1 zum klassischen BMW-Gefühl noch etwas mehr als mit dem Allradantrieb.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/25-Jahre-Navigationssystem-Zeige-mir-den-Weg-2281046.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=cdPU71DEaOI
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-BMW-430d-xDrive-Gran-Coupe-im-Fahrbericht-3065610.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Hart-ist-schnell-3083170.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Warum-moderne-Quermotorkonzepte-auch-mit-Allradantrieb-nicht-gefuehlsecht-sein-koennen-1768723.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-216d-Gran-Tourer-im-Test-2832324.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-520d-mit-neuem-Vierzylinder-im-Test-Ruhemasse-2473124.html
[8] http://www.heise.de/autos/artikel/Genfer-Autosalon-2016-SUV-Mania-3123930.html