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Induktives Laden während der Fahrt

Ein wanderndes Feld

Elektroautos Christoph M. Schwarzer
alternative Antriebe

Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen wollen den Autoverkehr mit Strom versorgen - während der Fahrt. Denken Sie jetzt aber nicht an eine Slotcarbahn, denn Stromschienen oder Oberleitungen soll es dabei nicht geben

Bremen, 13. Mai 2015 – Wer Halluzinationen hat, sollte zum Arzt gehen. Wer dagegen Visionen hat, sollte sie auf Machbarkeit prüfen. In dieser Rolle sind die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen: Unter Leitung von Professor Matthias Busse haben sie einen seltenen Artega vom Verbrennungsmotor befreit, stattdessen zwei radnahe, je 156 Kilowatt starke Elektromotoren eingebaut und eine 80 Zentimeter breite und zwei Meter lange Ladeplatte („Pickup“) unters Auto geschraubt. Damit soll der Frecco i getaufte Sportwagen berührungslos Strom aufnehmen können – aber nicht im Stand, sondern während der Fahrt.

Bevor wir die Frage beantworten, wozu das überhaupt sinnvoll ist, wenden wir uns zuerst dem Fahrzeug zu. Die elektrische Energie speichert der Frecco i in einer 37,6 Kilowattstunden fassenden Batterie von Akasol. In diesem Versuch wurde die Ladeleistung nicht auf das maximal Denkbare, sondern auf das Vernünftige ausgelegt: 30 Kilowatt sind genug, um unter den meisten Bedingungen ein Plus in den Akku zu bringen. Bei 130 km/h etwa reichen zwischen zehn und 15 Kilowatt, um die Geschwindigkeit zu halten. Ach ja, und bei Bedarf kann der rund 1,5 Tonnen schwere Ex-Artega auch mit einem Kabel und 3,3 Kilowatt Leistung geladen werden.

Erstaunlich hoher Wirkungsgrad

Beim Aufbau der 25 Meter langen Teststrecke bei der Intis GmbH (Lathen, Emsland) half das Bauunternehmen Max Bögl. Es soll schließlich bei allen Komponenten die Anwendungsnähe demonstriert werden, also hier die Vereinbarkeit mit dem konventionellen Straßenbau. In etwa zehn Zentimeter Tiefe und auf einer Breite von einem Meter wurde die Primärspule eingelassen, die über ein Magnetfeld Strom in das darüber fahrende Auto induziert. Dabei wird mit einer Frequenz von 35 Kilohertz gearbeitet. Der Wirkungsgrad ist hoch und liegt – gemessen von der Einspeisung in die Spule bis zur Batterie und somit inklusive diverser Umwandlungen – bei rund 90 Prozent.

Für den Vorgang des induktiven Ladens ist es nach Aussage der Forscher zunächst unerheblich, ob ein Fahrzeug steht oder fährt. Der Entwicklungsaufwand liegt an einer anderen Stelle: Das von der Straße erzeugte Magnetfeld muss mit dem Auto wandern. In Millisekunden wird es an- und abgeschaltet. Es handelt sich also nicht um eine einzelne Spule; vielmehr sind sehr viele davon hintereinander verbaut. Entscheidend für die perfekte Funktion ist die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Hintergrundsystem sowie die genaue Steuerung per Software.

Die kurze Strecke von 25 Metern hat zur Folge, dass die Geschwindigkeit freiwillig auf 30 km/h begrenzt wurde. Die Überfahrtzeit wäre sonst zu kurz, und schließlich will das Fraunhofer IFAM zusammen mit diversen Konsortialpartnern Erfahrungen für die Wirklichkeit sammeln. Klar ist: Es funktioniert, und zwar tadellos.

Elektrifizierung des gesamten Straßenverkehrs

Zurück zur Frage, was das Ganze eigentlich soll. Und hier kommen wir wieder zur Vision. Das Team um Professor Busse denkt ganzheitlich und in die Zukunft: Der rollende Verkehr soll vollständig elektrifiziert und ins Stromnetz integriert werden. Und genau für diese beiden Zwecke eignet sich das induktive Laden während der Fahrt sehr gut.

Denn in Deutschland werden nicht nur einige Millionen Pkw für die Pendelstrecken bewegt, die bereits heute durch batterieelektrische Fahrzeuge ersetzt werden könnten. Insgesamt sind es 44 Millionen Autos im Bestand, die in diesem Jahr laut Umweltbundesamt rund 24 Milliarden Liter Benzin und 20 Milliarden Liter Diesel verkonsumieren werden. Dazu addiert sich der Kraftstoffdurst der Nutzfahrzeuge inklusive der schweren Laster.

Würde viele der 13.000 Autobahnkilometer sowie diverse Bundesstraßen oder auch Abschnitte an städtischen Ampeln mit Induktionsspulen versehen sein, könnten zum Beispiel die erforderlichen Akkukapazitäten pro Fahrzeug verkleinert werden. Bei Lkw wäre diese Minimierung sogar die Voraussetzung, um überhaupt batterieelektrisch fahren zu können. Und alles funktioniert bidirektional: „Stellen Sie sich vor, dass ein 40-Tonner in den Kasseler Bergen zuerst viel Energie benötigt, um danach bei der Bergabfahrt über die Bremsrekuperation Strom zurück zu speisen“, sagt Busse, und er erklärt weiter: „Durch die Technik des induktiven Ladens während der Fahrt hängt ein großer Teil der Fahrzeuge permanent am Netz“, was wiederum ein Vorteil für das Gelingen der Energiewende bei Strom, Verkehr und Wärme sei.

Automatisierung des Fahrens als Nebenprodukt

Die Elektrifizierbarkeit der Massen und die Integration ins moderne Stromnetz sind aus Sicht des Fraunhofer IFAM die Hauptvorteile des Systems. Dazu entsteht, quasi als Nebenprodukt, ein Beitrag zur Automatisierung des Fahrens: Die Induktionsspulen können als exzellente Längsführung dienen, und mithilfe der aufwendigen Kommunikationssoftware wäre es möglich, die Sicherheitsabstände zwischen den Fahrzeugen risikolos zu minimieren.

Zugegeben, das alles würde Geld kosten. Aber ums Rechnen geht es am IFAM erst in einem weiteren Projektschritt. Klar ist, dass die Energiewende im rollenden Verkehr ein Vorstellungsvermögen erfordert, das vielen Menschen abgeht. Vielleicht haben sich die Zeitgenossen in einer ähnlichen Situation befunden, als die Dampftraktion von elektrischen Zügen abgelöst wurde. Es wird keine kleine Aufgabe, und der richtige Weg dahin ist aus heutiger Perspektive nicht eindeutig absehbar. Dennoch erscheint die Idee des induktiven Ladens aus der Straße interessant: Zwar wären die Kosten auf der Infrastrukturseite hoch. Aber diese würde von sehr vielen benutzt werden, die dann wiederum in den einzelnen Fahrzeugen einen geringeren Ressourcenverbrauch in Form kleinerer Batterien zur Folge hätte. Das Ausprobieren in Projekten wie am Fraunhofer IFAM ist also mehr als eine Fingerübung von Wissenschaftlern.


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