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Der Tacho-Spion misst den Verschleiß eines Motors

Innendurchmesser

Technik Haiko Prengel
Mercedes

Der Tacho-Spion soll mit Hilfe von Ultraschall den Verschleiß eines Motors messen und daraus den wahren Kilometerstand ableiten. Dass Verfahren ist aus der Industrie bekannt, doch im Einsatzbereich Kfz bleiben Zweifel

Berlin, 17. Februar 2016 – Mit ernster Miene beugt sich Michael Schmutzenhofer über die Innereien eines alten Mercedes 230 TE. Keine Frage, dieses Auto hat schon bessere Tage gesehen. Der Vierzylinder-Motor läuft unrund und springt schlecht an. 195.000 Kilometer hat der Benz laut Tacho-Zähler gelaufen. Oder doch viel mehr?

„Verschleiß sehr hoch”, sagt Schmutzenhofer und steckt sein Diagnosegerät wieder ein, das an das Stethoskop eines Arztes erinnert. Per Ultraschall hat der Maschinenbau-Techniker aus Augsburg gerade in das Herz des Mercedes gehorcht. „Tacho-Spion” nennt der Mann seine Erfindung, mit der er den Verschleiß von Verbrennungsmotoren messen will. Beim Benz zeigt das Gerät eine Abnutzung an, die einem Kilometerstand von 220.000 Kilometern entspreche. Schmutzenhofer rät dazu, Zündkerzen und Zündverteiler zu wechseln. Kfz-Sachverständige sind hinsichtlich Tachomanipulation praktisch machtlos. Zwar wird bei jeder Hauptuntersuchung der Kilometerstand eines Fahrzeugs gewissermaßen offiziell eingetragen. Doch vor einer trickreichen Fälschung schützt das selbstverständlich nicht.

Root Mean Square

Michael Schmutzenhofer versucht, den wahren Kilometerstand anhand des gemessenen Verschleißzustands eines Motors zu ermitteln. Der Einfall kam dem Maschinenbau-Techniker, als er beruflich noch mit der Wartung von Großanlagen beschäftigt war. In der Industrie ist es üblich, große Motoren mit Ultraschall und Endoskopie auf Lecks und Schäden zu untersuchen. „Irgendwann fiel mir ein, das Gerät einfach mal an einen Kfz-Motor zu halten.” Wenn er einen Gebrauchtwagen überprüft, hält er den Ultraschallsensor direkt an den Motorblock oder an die Schrauben des Ventildeckels. Dort horcht der Fachmann von den Zylinderköpfen in den Motor hinein. Das Diagnosegerät zeigt den Verschleißzustand in RMS (Root Mean Square) an – einer physikalische Einheit aus der Akustik, die Aufschluss über den Schwingungszustand von Maschinenbauteilen gibt. Daraus lässt sich der Abnutzungszustand von Lagern, Dichtungen oder auch einer Kupplung oder eines Getriebes ableiten.

Etwa 50 bis 70 RMS ist laut Schmutzenhofer ein guter Wert für Motoren bis etwa 100.000 Kilometern Laufleistung. Wichtig ist, dass der RMS-Wert nicht linear verläuft. Es ist nicht so, dass ein Neuwagen 10, ein Wrack 300 haben. Auch ein Motor mit 150 RMS kann am Ende sein. Das ist pauschal aber eher schwer zu sagen, weil motorspezifisch. Dreizylinder klingen oft eher rau, dort ist der RMS-Wert meist höher. Es gebe aber RMS-Werte, bei denen man auf Anhieb von einem Auto abraten könne, erklärt Schmutzenhofer: „Ab 300 RMS ist ein Wagen Schrott.”

Seine Ultraschallgeräte bezieht der Kfz-Mechaniker von der Firma CTRL Systems („We Make Ultrasound Detectors”) aus den USA, wo sie für die Wartung von Großmaschinen unter anderen bei der US Navy eingesetzt werden. Sogar auf der Internationalen Raumstation ISS befinde sich ein Ultraschall-Detektor, sagt Schmutzenhofer. Die Software stamme ursprünglich aus der Medizintechnik und diene dort zum Abhören von Lungengeräuschen bronchialkranker Patienten. Die Messung erfolgt mit 40 kHz und damit deutlich oberhalb von den Frequenzen, die ein Mensch wahrnehmen kann. Zum Vergleich: Junge Menschen mit gesundem Gehör können Frequenzen zwischen 20 Hz und 20 kHz hören.

Aus dem gemessenen Verschleißzustand eines Motors versucht Michael Schmutzenhofer, den Tacho-Stand abzuleiten. Die Genauigkeit gibt er mit plus/minus zehn Prozent beziehungsweise 10.000 Kilometern Abweichung an. Faktoren wie eine hohe Gesamtlaufleistung von mehr als 200.000 Kilometern oder nicht originale Motoren (etwa nach einer Motorrevision) können das Ergebnis verfälschen. Schwierigkeiten hat Schmutzenhofer außerdem mit automobilen Exoten oder sehr alten Fahrzeugen. Für sie fehlen ihm mitunter ausreichend Referenz-Fahrzeuge. Der „Tacho-Spion” ist spezialisiert auf neuere Autos, in der Datenbank dominieren die Baujahre 2000 bis 2015.

Verschleiß vs. Laufleistung

Auch die Kfz-Sachverständigenorganisation KÜS interessiert sich für das Verfahren. Sie ließ Schmutzenhofer bei einem Test antreten: Fünf Autos wurden mit dem „Tacho-Spion” überprüft, bei vieren habe Schmutzenhofer „mit Bravour“ bestanden, sagt Thomas Schuster, Prüfingenieur in der KÜS- Bundesgeschäftsstelle. Nach anfänglicher Skepsis sieht er in dem Verfahren inzwischen eine gute Möglichkeit, den Verschleißzustand von Motoren darzustellen und Rückschlüsse auf die Laufleistung von Fahrzeugen zu ziehen. Mehr noch: „Der Tacho-Spion hilft uns Sachverständigen – eine verifizierte Datenbank als Vergleichsbasis vorausgesetzt – Tachomanipulationen aufzudecken.”

Das ist eine gewagte These. Denn letztlich muss klar sein, dass der Tacho-Spion eigentlich ein Verschleiß-Spion ist. So kann beispielsweise ein Auto mit 90.000 Kilometern auf dem Tacho bei der Messung einen höheren Verschleiß als üblich aufweisen. Doch ob dieser durch einen Kurzstreckenbetrieb mit häufigen Kaltstarts oder durch 150.000 Kilometer auf der Autobahn entstanden ist, kann das Gerät nicht belegen.

Ermittelt werden die Kilometer-Schätzungen auf Grundlage einer Datenbank mit Werten von Referenz-Fahrzeugen, die Schmutzenhofer in den vergangenen Jahren bei seiner Arbeit gesammelt hat. Er selbst gibt an, in den vergangenen 14 Jahren in über 1,5 Millionen Motoren hineingehorcht zu haben – ein enormer Aufwand, der nur schwer zu glauben ist. Denn bei 220 Arbeitstagen pro Jahr wären das rund 487 Motoren pro Tag. Dadurch kann er angeblich heute unterscheiden, wie unterschiedlich etwa ein TSI-Motor mit 1,2 Litern mit 30.000 Kilometern, 40.000 und 50.000 Kilometern klingt.

ADAC: Aufwand zu hoch

Von der Erfindung sind längst nicht alle überzeugt. Der ADAC beispielsweise sieht den Tacho-Spion kritisch. Im Großmaschinenbau, zum Beispiel bei Schiffsdieseln, sei es zwar durchaus üblich, den Verschleißgrad per Ultraschall zu ermitteln, meint ADAC-Technikexperte Arnulf Thiemel. Die Messergebnisse von Schmutzenhofers Tacho-Spion stünden aber auf wackligen Füßen. In seiner Datenbank stehen die akustischen Charakteristika von rund 11.000 Fahrzeugmodellen – vom Youngtimer aus den 1990er-Jahren bis zu aktuellen Modellen. Doch für ist Thiemel nicht zweifelsfrei geklärt, dass diese Fahrzeuge nicht teilweise vorher manipuliert wurden. „Für belastbare Ergebnisse und eine seriöse Datenbank müssten Aberhunderte Referenz-Fahrzeuge nach definierten Abständen und Laufleistungen gemessen werden - und das unter notarieller Aufsicht. Dieser Aufwand ist selbst für den ADAC einfach zu groß”, so Thiemel.

Bei dem eingangs erwähnten Mercedes Kombi misst Schmutzenhofer 155 RMS – ein Indiz darauf, dass der Wagen viel mitgemacht habe in seinem Leben. Für den Besitzer des alten Mercedes ist das Messergebnis dennoch eine gute Nachricht: Sein Wagen ist zwar technisch in keinem besonders guten Zustand. Aber immerhin wurde wohl nicht am Tacho gedreht. Denn wenn manipuliert wird, dann meistens um mehr als 100.000 Kilometer. Mit überschaubarem Aufwand sollte es möglich sein, den 230 TE wieder für viele Kilometer fit zu machen.


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