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Jensen Interceptor

News Bernd Kirchhahn
Jensen Interceptor

Der Jensen Interceptor galt als europäisches Muscle-Car und war zwischen 1966 und 1976 der Inbegriff der Extravaganz. Und doch war es dieser Wagen, der seine Erfinder zur Aufgabe zwang und ihre Nachfolger in die Pleite trieb

Kennen Sie den schon? „Warum fährt James Bond einen Aston Martin?“ – „Weil er sich keinen Jensen Interceptor leisten kann.“ Der Wagen galt als europäisches Muscle-Car und war zwischen 1966 und 1976 der Inbegriff der Extravaganz. Und doch war es dieser Wagen, der seine Erfinder zur Aufgabe zwang und ihre Nachfolger in die Pleite trieb.

Englands Einhörner

Richard und Alan Jensen waren so etwas wie die Einhörner des britischen Automobilbaus der sechziger Jahre. Von den anderen Machern unterschied sie vor allem, dass sie eine sehr gesunde Selbsteinschätzung hatten. Sie wussten, was sie zu leisten imstande waren, was sie konnten und was sie nicht konnten.

Sie begannen 1927 damit, Fahrzeugkarosserien herzustellen. Mehr für ihren Eigenbedarf im Motorsport denn als ernsthaftes Geschäftskonzept. In den Anfangsjahren entstand außerdem der Patrick-Jensen, ein kleiner Sportwagen auf Basis des Wolseley Hornet. Ab 1936 begann das Geschäft zu florieren. Die Jensen-Brüder übernahmen „W. J. Smith & Sons“, ein Karosseriebauer, und benannten das Unternehmen in „Jensen Motors“ um.

Es folgten sehr spezielle Auftragsarbeiten und maßgeschneiderte Hüllen. Nach dem zweiten Weltkrieg wagten sich die Brüder auch an ein paar eigene Modelle, die auch – aber nicht nur – wegen des vorherrschenden Rohstoffmangels in eher homöopathischen Dosen gebaut und verkauft wurden. Jensen Motors verdiente in der Folge sein Geld mit Lohnarbeiten für Sunbeam Tiger, Austin-Healey und MG. Kurze, zweisitzige Sportwagen entstanden unter der Regie des kleinen Herstellers, weil die Produktion in den riesigen Fabriken der Massenhersteller unrentabel gewesen wäre.

Jensen kommt vom Weg ab

Grundtenor aller Modelle war ein Hang zur Sportlichkeit und der Wille zum Fortschritt. Dazu kamen – mehr aus Spaß am Design und der Entwicklung – ein paar exklusive Sportwagen samt spannender Innovationen. Auch wenn es kein großes Budget für Forschung und Entwicklung gab, so war der Jensen 541 doch eines der frühen Serienfahrzeuge mit einer Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff und Scheibenbremsen.

Dann kam 1962 der Jensen C-V8 mit einem für europäische Verhältnisse opulenten 5,9-Liter V8-Motor von Chrysler. Der Wagen brachte Richard und Alan zum Umdenken. Zum einen galt er als nicht besonders schön. Genau genommen war seine Optik sogar der größte Kritikpunkt an dem Wagen – auch wenn das natürlich Geschmackssache und aus heutiger Sicht nicht zwangsläufig nachvollziehbar ist. Zum anderen entfernte er sich doch sehr weit vom eigentlichen Autogeschmack der beiden. Echte Sportwagen wollten sie bauen, keine 1,5-Tonnen-Coupés mit amerikanischen Urgewalten unter der Haube.

Also machten sich die beiden an die Entwicklung eines reinrassigen Sportwagens. Schön sollte er werden, klein und leicht. Schnittig und modern. Einen Namen hatten sie auch schon: Interceptor. Ein Name, den Richard und Alan bereits 1950 für ein Coupé verwendet hatten.

Der Wagen verschreckt seine Schöpfer

Doch da gab es ein Problem: Jensen Motors gehörte seit Ende der 1950er Jahre mehrheitlich der Norcros-Gruppe. Der Konzern konnte mit einer Firma, die zwar kostendeckend arbeitete, ansonsten aber sicherlich keinen matchentscheidenden oder überhaupt wahrnehmbaren Einfluss in der Bilanz ausübte, wenig anfangen. Und wenn Jensen die Kohle schon nicht schubkarrenweise nach Hause brachte, so dachte sich Norcros, dann doch wenigstens Prestige und Ehre. Was zum Angeben eben.

Und das sollte, nach Wünschen der Eigentümer, der neue Interceptor werden. Sie verlangten einen luxuriösen Gran Turismo, der Jensen Motors auf Augenhöhe mit Aston Martin, Maserati und Ferrari bringen sollte. Aufgrund dieser sich anbahnenden Firmenpolitik und ihres Gesundheitszustandes verließen Richard und Alan ihr eigenes Unternehmen.

Jensen FF als Randerscheinung

Quasi nebenbei entstand, angelehnt an den Interceptor, noch ein zweites Auto. Der Jensen FF. Hintergrund war eine Zusammenarbeit mit der florierenden Harry Ferguson Research Ltd. Ein Traktorenhersteller, dessen Gründer (der Ire Harry Ferguson) jahrelang an einem Allradantrieb für Pkw getüftelt hatte. Nach seinem Tod 1960 übernahmen Major Tony Rolt, ein ehemaliger Rennfahrer, und Claude Hill, der Ex-Aston-Martin-Designer, das Zepter und die Idee, ein weiteres Differential zwischen Vorder- und Hinterräder zu schalten.

1963 sollten die serienreifen Früchte mit einem Experten in Sachen Kleinserie umgesetzt werden. Drei Jahre später wurde der Jensen FF (zehn Zentimeter länger und 150 Kilogramm schwerer als ein Interceptor) zum ersten Serien-Pkw mit Allradantrieb. Satte 14 Jahre vor dem Audi quattro. Dazu kam ein Dunlop-Maxaret-Antiblockiersystem, 12 Jahre vor dem ABS der Mercedes S-Klasse. Eine Kombination, die nicht nur sensationell fortschrittlich war, sondern dem Wagen auch die Bezeichnung „safest car in the world“ einbrachte.

Patchwork-Design

Auch das Interceptor-Projekt war freilich schon in vollem Gange. Eric Neale, der Designer, der bereits den C-V8 entworfen hatte (was seinen Ruf außerhalb von Jensen Motors nachhaltig angekratzt hatte), hatte bereits einiges an Vorarbeit geleistet. Dazu gab es einen Grundentwurf für die Karosserie von Carrozzeria Touring aus Mailand und verschiedene Konzepte und Ideen von zwei weiteren Firmen, die ebenfalls mit dem Design beauftragt waren.

Statt sich für einen der insgesamt vier Entwürfe zu entscheiden, versuchte man bei Jensen alle Ideen zu einem Konzept zu verschmelzen. Neale war anschließend dafür zuständig, dieses wüste Sammelsurium so zu überarbeiten, dass es überhaupt in Serie gebaut werden konnte. Das tat er zwar so gut er konnte, folgte anschließend aber frustriert den beiden Firmengründern – der Interceptor sollte sein letztes Auto werden.

Blickfänger war die halbrunde, riesige Heckklappe, die von einer gewölbten Scheibe abgeschlossen wurde.

Ein Interceptor = zwei Porsche 911

Weil die Wünsche der neuen Firmenherren Befehl waren, entstand ein Auto, das ganz weit weg von der eigentlichen Kernkompetenz der Firma war. Nicht klein, kurz und wendig stand im Lastenheft, sondern Gewalt und Luxus. Als der Interceptor reif für die Straße war, wog der Wagen 1,8 Tonnen. Zum einen war er vollgestopft mit Luxus – auch wenn es die Servolenkung nur gegen Aufpreis gab und Allradantrieb und ABS dem FF vorbehalten waren. Zum anderen werkelte unter der Haube ein 6,3-Liter-V8 aus dem Hause Chrysler (kombiniert mit einer Dreigang-Automatik).

Die hohen Ansprüche der Chefs führten dazu, dass sich die Kundschaft an völlig neue Preisdimensionen gewöhnen musste. Der Wagen kostete doppelt so viel wie ein Porsche 911 oder ein Jaguar E-Type. Das zog die entsprechende Kundschaft an. Jimmy Hendrix hatte einen, weil Mitch Mitchell von der Begleitband gleich zwei kaufte. Frank Sinatra und Vicky Leandros fuhren einen, genauso wie Gregory Peck und John Bonham (der Drummer von Led Zeppelin).

Doch ein Problem gab es mit der berühmten Kundschaft. Die ließ sich das Auto um die halbe Welt schicken. Jensen Motors hatte sich scheinbar wenig mit den Details, die der Autobau so mit sich bringt beschäftigt und hatte entsprechend Probleme, die Fahrzeuge zu komplettieren. So wurden einfach – je nach Exportland des Fahrzeugs – Teile verbaut, die halt da oder leicht zu bekommen waren.

Serienmäßig ohne Außenspiegel

Viele Kleinteile (Aschenbecher und Cupholder beispielsweise) stammten von britischen Marken wie MG und Jaguar, während die Innenspiegel und die Bedienung der Sitze von Mercedes kam. Außenspiegel wurden von den Händlern montiert, weil es ab Werk gar keine gab – meist nahm man die dann entweder von Jaguar (falls der Kunde in Europa wohnte) oder von Plymouth (falls der Wagen in den USA einen Abnehmer fand). Weil der Wagen ein solches Flickwerk ist, ist es deswegen leicht Ersatzteile zu bekommen, so man denn weiß, für welches Auto das entsprechende Teil ursprünglich verwendet wurde.

Mit Chaos lässt sich nur selten Geld verdienen und so musste Jensen Motors 1970 gerettet werden. Kjell Qvale, ein Autoimporteur, springt ein. Eine Kooperation mit Austin Healey soll die Firma retten, doch leider liefert Lotus für den Roadster Jensen-Healey einen Motor, der an jeder roten Ampel gewartet hätte werden müssen.

Pleite Nummer zwei

Auch dem Interceptor nahm sich Qvale an. Nach dem Interceptor Mk 1 (1024 Stück) und dem Mk 2 (1128 Stück) sollte der Mk 3 mehr auf den amerikanischen Markt zugeschnitten werden. Dort gab es allerdings mittlerweile strengere Abgasvorschriften, die eine geringere Verdichtung nötig machten. Um nicht zu viel Leistung zu verlieren, verbaute Jensen in Folge einen 7,2-Liter Motor. Dazu kam eine Cabriolet-Version. Die Maßnahmen hatten Erfolg: der Mk 3 sollte mit 4811 Stück das erfolgreichste Modell werden. Aber auch das nur bis 1976. Dann ging auch Qvale das Geld aus.

1983 gab sogar nochmal einen Interceptor Mk 4. Die Firma „Jensen Parts & Services“, die eigentlich auf Ersatzteile und Reparaturen spezialisiert war, konnte sich den Versuch eines eigenen Autos (5,9-Liter V8) nicht verkneifen. 1994 war auch dieser Spuk vorbei. Heute hat die Firma „V Eight“ die Namensrechte an Jensen.

Im Rahmen der ersten Pleite sicherte sich übrigens Richard Calver alle Dokumente der Buchhaltung. Er führt seitdem eine Art Archiv für Fans und Besitzer des Autos. Wer einen Interceptor besitzt, kann bei Calver nachfragen, ob der Wagen einen berühmten Vorbesitzer hatte. Und vielleicht lässt sich über ihn auch rausfinden, welcher Außenspiegel der richtige ist.


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