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Ubers autonome Prototypen zeigen erhebliche Sicherheitsmängel

Klartext: Am Boden

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Wir lebten in einer Euphorie über autonome Autos, die sich von der Realität gelöst hatte, bis letzte Woche der erste Todesfall in eben diese Euphorie eintrat. Vielleicht führt das zu vorsichtigerem Vorgehen, vor allem im Silicon-Valley-Umfeld

Jetzt ist es also soweit: Ein autonomes Testfahrzeug hat den ersten tödlichen Unfall [1] verursacht. Denn nach dem Video müssen wir nicht länger um den Brei herumreden: Ubers Technik hat sich als erschreckend fehlerhaft gezeigt, und die andauernden Ermittlungen [2] fördern nur noch mehr Beunruhigendes zutage: zweiter menschlicher Überwacher kürzlich gestrichen. Aggressivität des Systems unnötig hoch. Beängstigend nassforsche Herangehensweise von Uber.

Hätte man noch bremsen können?

Die Unfallsituation beschrieb die Polizei zunächst als "schwer vermeidbar". Nachdem das Video draußen ist, kann jedoch jeder sehen: Uber versagt GENAU DORT, wo die neue Technik dem Menschen überlegen sein müsste. Unfallanalysten in den USA sagen mittlerweile, dass selbst ein aufmerksamer menschlicher Fahrer in dieser Situation noch gut hätte bremsen können, denn die Lichtverhältnisse am Unfallort sind dort nachts weniger schlecht, als das körnige Überwachungsvideo suggeriert. Tragisch: Volvo [3]s vergleichsweise simpler Notbrems-Assi hätte es wahrscheinlich auch besser gekonnt, wenn er nicht für die Versuchsfahrten offline gewesen wäre.

Das Radar hätte die Person bei korrekter Funktion so vorausschauend erfasst, dass eine kurze Korrekturbremse der Obdachlosen die Überquerung der Straße ohne Kollision ermöglicht hätte, illegal oder nicht. Je nach Einstellung kamen kurz danach mehr als genug Lidar-Punkte zusammen, um das Objekt zu erkennen. Lidar [4] arbeitet im Infrarotbereich, sieht also nachts sogar etwas besser als tagsüber.

Selbst die optischen Kameras haben sie sicherlich früher sehen müssen als das Video der schlechten Überwachungskamera, und da sprechen wir noch gar nicht davon, dass solche Kamera-Arrays häufig im Infrarotbereich mit starken Infrarotlampen nachts viel weiter sehen als in den Wellenlängen sichtbaren Lichts. Aber es gab nicht einmal eine zu späte Bremsung. Das Auto tat überhaupt nichts, genauso wie der menschliche Überwacher, der am Smartphone herumfummelte. Wie kann es sein, dass so viele redundant überlappende Systeme zu gar keiner Reaktion führen? Welche Art Hilfsarbeiter heuert Uber als Überwacher an?

Verständlicher Enthusiasmus

Dem Heise-Verlag kann man sicherlich keine rückwärtsgewandte Technik-Ächtung vorwerfen, eher das Gegenteil. Gerade deswegen finden sich unter den Kollegen viele kritische Stimmen, darunter meine. In meiner Herumspielerei im spannenden Thema Automatisierung verstehe ich den aktuellen Enthusiasmus gut. Als Motorradfahrer weiß ich aber genauso, dass ungebremster Enthusiasmus Unfallraten erhöht. Der berühmte letzte Rennstrecken-Turn reißt vor allem Neulinge gern fies rein.

Autonome Autos werden hauptsächlich entwickelt, damit die Unfallrate drastisch sinkt. Ich meine: Eigentlich sollten wir auch über 5 bis 20 Prozent weniger Tote froh sein, aber wir wissen alle, dass zu einer breiten Akzeptanz noch in unserer Generation wahrscheinlich mehr als die Hälfte an Reduzierung nötig wäre. Diese Performance hat noch kein einziges Prototypenfahrzeug bewiesen, schon allein aus Existenzzeitmangel.

In Deutschland kamen 2013 auf eine Milliarde gefahrene Kilometer 4,9 Todesfälle, in den USA 7,1. Darin enthalten: alle Motorradunfälle. Vorreiter Waymo hat im Februar die Marke "5 Millionen Testkilometer" geknackt. Bis wir belastbar wissen, ob die Technik besser oder schlimmer fährt als der Mensch, wird also noch sehr viel Zeit vergehen. Bis jetzt schaut es vor allem für Uber statistisch finster aus.

Erstmal einen raushauen

Deshalb sind Autohersteller ja so vorsichtig beim Testen und Ankündigen ihrer Systeme. Im finanziellen Dunstkreis des Silicon Valley dagegen gilt: um jeden Preis erstmal einen raushauen. Bis jetzt bildet Waymo hier eine löbliche Ausnahme, deren lange Erfahrung ihnen wahrscheinlich zeigt, dass sie hier mit Raushauen nicht weiterkommen. Stattdessen fuhren sie lange Zeit schlicht sehr langsam. Üblicher im Valley-Umfeld ist jedoch das selbstbewusste Trommeln. Elon Musk hat Teslas "Autopiloten" solange als solchen bezeichnet und gelobt, bis nicht mehr wegzudiskutieren war, dass die Kunden sich davon eben doch beeinflussen lassen. Aber ich möchte Tesla nicht in einen Topf mit Uber werfen, weil Uber trotz aller Umstrukturierungen immer noch eine der größten Arschlochfirmen des immens arschlochreichen Silicon-Valley-Umfelds sein dürfte.

Probleme

Erinnern wir uns: Ubers Autonomobil hatte von Anfang an Probleme, rote Ampeln zu erkennen. Zum Vorfahrtunfall letztes Jahr gab Uber leider kein Video heraus, das die Situation zeigt. Der Unfallgegner nahm dem Uber-Volvo laut Polizeibericht die Vorfahrt. Aber mir haben auch schon tausend aspirierende Unfallgegner die Vorfahrt genommen, ohne dass ich einen Volvo auf die Tür gelegt habe. Ob was passiert, hängt auch davon ab, ob man rücksichtsvoll fährt oder um recht zu haben.

Wo Waymo- und Mercedes-Prototypen oft noch sehr zögerlich vorgehen, saust Uber einfach durch. Wenn sie das auf einem Funktionsniveau täten, das eine überlegene Technik demonstriert, würde das kaum jemanden stören. Stattdessen erhalten wir immer wieder Schlüssellocheindrücke aus dieser Firma, die auf eine gruselige Kultur hindeuten, an der auch der neue CEO Dara Khosrowshahi nichts Grundsätzliches geändert hat. Aus dieser Kultur erwächst unausgegorene Technik, deren Schwächen aus Angst und Druck kaum kommuniziert werden können.

Das Opfer

Vielleicht tut es allen Beteiligten gut, dass der erste tödliche Unfall in die Zeit des aktuellen Überenthusiasmus' fällt, damit er ebendiesen bremse. Davon hat die Tote und ihre Familie nichts, aber sie verhindert durch ihr Opfer vielleicht andere Unfälle aus denselben Gründen. Es wäre schön, wenn die US-Rechtssprechung mal etwas Feuer durch den Uber-Komposthaufen blasen würde. Wir erinnern uns an den Fall VW: Was da plötzlich alles ging in Sachen Rechtsstaat! Trotz Inlandsfirma scheint die Politik nicht unbeeindruckt: Der US-Bundesstaat Arizona untersagte Uber heute nach Aussagen der New York Times den Betrieb ihrer Versuchsfahrzeuge – unzulängliche Sicherheit.

Verständlicherweise reagieren andere Firmen betrübt, die sich mehr Mühe geben. Waymos CEO John Krafcik sagte der Presse am Sonntag nach einigem Nachbohren: "Wir sind uns sehr sicher, dass unsere Technik robust genug wäre, Situationen wie diese zu bewältigen." Und weiter: "Unfälle wie diesen zu vermeiden, genau das treibt uns doch als Firma an." Eine verständliche Reaktion. Aber er könnte es auch anders sehen: Einen schlimmeren Beleg gibt es derzeit nicht für die These, dass es bei autonomen Autos erhebliche Unterschiede in der Entwicklung gibt.

Autonomobile sind unfertig

Vielleicht trauert Krafcik auch der weltweiten enthusiastischen Zustimmung für autonome Fahrzeuge nach, die hier ihren Dämpfer fand – gut so! Autonomobile sind unfertig. Nicht nur ihre Technik ist experimentell, sondern obendrein viele ihrer Entwicklungsmethoden. Die bisherigen Prototypen haben bis jetzt nicht einmal annähernd die durchschnittliche Performance belegt, die Menschen inklusive aller Trunkenheitsfahrer, Smartphone-Unaufmerksamen und übermotivierter Alleinunfaller an den Tag legen. Da ist branchenweit noch viel Luft in Sachen Vorsicht, nirgends mehr als im Silicon Valley. Ich weiß, das wirkt hart. Das hat der Boden der Tatsachen so an sich ...


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https://www.heise.de/-4004967

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Toedlicher-Unfall-mit-autonom-fahrendem-Auto-3998932.html
[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Bericht-Probleme-in-Ubers-Roboterwagen-Programm-seit-Monaten-bekannt-4003252.html
[3] https://www.heise.de/autos/thema/volvo
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Laserscanner-vor-Serienstart-3314720.html