zurück zum Artikel

Japanischen Motorradherstellern ist Europas Meinung egal

Klartext: Die Südbarbaren schlagen zurück

Klartext Clemens Gleich
Klartext

In den Achtzigern und Neunzigern boomte der Motorradmarkt. Vor allem sportliche Modelle gewannen an Kundschaft. Die führenden japanischen Hersteller hörten viel mehr als heute auf den Puls aus anderen Märkten. Das ist vorbei

Eine der schönsten Geschichten des Importeurtums rankt sich um den Namen "Ninja", der seit den Achtzigerjahren in den USA jedes auch nur halbwegs sportlich ausschauende Motorrad aus Akashi ziert und weltweit die Sportmotorräder. Die Achtziger und Neunziger erlebten weltweit einen Boom vor allem sportlicher Motorräder: Endlich hatte die Chassistechnik zur Motorenstärke aufgeholt, der Sportgedanke trug durch das gesamte Motorradhobby. Europa und die USA galten als treibende Märkte dieses Trends. Nur so kann das heute Undenkbare passiert sein: Ein Amerikaner schuf die wichtigste Wortmarke der Motorradsparte von Kawasaki.

Teenage Mutant Agency Panthers

Mike Vaughan arbeitete Anfang der Achtziger als Marketing Director bei Kawasaki USA. Er hatte sich genügend Vertrauen erarbeitet, dass er über die Namensgebung aller Schneemobile der Firma entschied, für die es in Nordamerika einen großen Markt gab. Als er in die Motorradsparte wechselte, wollte er den Maschinen statt den üblichen krumpfeligen alphanumerischen Zeichenfolgen richtige Namen geben, die klingen und sich in der Erinnerung festkrallen. Den Anfang machte Kawasakis Flaggschiff-Superbike, das 1984 auf den Markt kam. Mike beauftragte sogar eine Agentur zur Namensfindung. Die Agentur schlug "Panther" vor. Die Agentur flog raus. Mike fiel statt des vagen Tiernamens der sagenumwobene Schattenkämpfer Japans als Namensgeber ein: der "Ninja".

In Mikes Kopf lag viel Brennmaterial herum, das zu dieser Idee aufloderte. Er war in den Sechzigern zwei Jahre in Japan stationiert, wo er über die Ninja las. Das faszinierte ihn derart, dass er später sogar sein Segelboot so nannte. Was jedoch auch zentral zur Entscheidung beigetragen haben dürfte, dass Kawasaki "Ninja" auf die in Europa als GPZ 900 angebotene Maschine schrieb, war der Nippon-Trend in den USA. Im selben Jahr wie die 900er erschienen die Teenage Mutant Ninja Turtles in der Kinderkultur. James Clavells "Shogun" lief als Fernsehserie. Die Zeit war einfach reif für den Namen – vor allem an einem Motorrad mit so einer kapuzenhaften Frontverkleidung.

Mich berührt diese Geschichte deshalb besonders, weil solche Umstände für mich nur noch schwer vorstellbar sind. Als die Fireblade auf Deutschlands Autobahnen mit dem Lenker schlug, reisten Delegationen aus Japan an, um die A81 zu inspizieren. Die Zeit, in der Märkte außerhalb Japans etwas zu melden haben, ist jedoch lange vorbei. Als Kawasaki die Ninja 300 nach Deutschland brachte, diktierten sie dem deutschen Importeur einfach einen Preis, der das kleine Krad ins Verkaufs-Nirvana verbannte. Sie kostete 5600 Euro plus Nebenkosten. Hondas NC700S kostete damals 5500 Euro plus NK, bot aber mehr Motorrad, auch und gerade für A2-Führerscheininhaber. Etwas Flexibilität wäre hilfreich gewesen.

Oder die Kawasaki 1400 GTR, ein riesiger, höchst aufwendig konstruierter Toureneimer, dem das banale Standardzubehör ALLER Konkurrenten fehlte: Heizgriffe. Einen Tourer ohne Heizgriffe anbieten, ja mei, das kann man schon machen, aber dann verkauft es sich halt nicht. Dem verzweifelten Importeur erlaubte es Akashi gnädig, gebrandete Heizhandschuhe mit umständlichem Gesteckere als Zubehör anzubieten. Sie dürfen dreimal raten, was der Kunde tat: Er kaufte kopfschüttelnd bei BMW. Eisenhart bot Kawa erst Jahre später zum Modellupdate Heizgriffe an. Ich habe noch nie eine Erstserien-GTR in freier Wildbahn gesehen.

Japan baut, die Restwelt VERbaut

Oder Honda. In der Firmenwiege in Hamamatsu hat sich über viele Jahrzehnte des Maschinenbaus mit eigenen Lösungen der Gedanke festgesetzt, dass der Rest der Welt einfach keine Ahnung hat, wie man ein Motorrad baut, am wenigsten einen Motor. Als sich die Firma zum weltweit größten Hersteller motorisierter Zweiräder aufschwang, blieb es nicht aus, dass anderswo Werke gebaut werden mussten, sei es nun aus Gründen des Zolls oder der Transportkosten. Was jedoch dabei stets klar war: Die Satelliten dürfen schon ein bisschen was bauen, vielleicht gar einen Rahmen, aber das Herz, der Motor, der kommt aus Japan, und koste es Zoll, dass die Schwarte kracht. Wie stolz war das Werk in Atessa (Italien), als es wenigstens den 125er-Motor der Varadero selbst zusammenstecken durfte, obwohl die Teile dazu immer noch aus Japan geliefert wurden!

Überraschungsei-Motorrad "Gladius"

Am entrücktesten gibt sich jedoch Suzuki. Der Europäer weiß bei jedem einzelnen Modell, dass seine speziellen, eigenen kulturellen Wünsche entweder auf die gefertigte Stangenware passen oder er eben Pech gehabt hat. Lange Gesichter, als Suzuki das Überraschungsei-Motorrad "Gladius" brachte. Der Europäer hatte auf eine Neuauflage der sportlichen Allrounder der SV-Familie gehofft. Stattdessen bekam er eine östrogenisierte Bonbon-Perversion seines Wunsches, die in kaum eine Fahrgruppe passte, wohl aber auf den Festivalumzug zum Christopher Street Day. Zuletzt auch wieder Suzukis 125er: nichts dran, was der Europäer gerade wünscht.

Asien ist die Welt

Den banalen Grund vermutete der Motorpresse-Kollege Ralf Schneider: Die japanischen Hersteller wollen die teure, umständliche europäische Individualfertigung nicht mitmachen, obwohl sie sehr viel Geld abwirft. Sie wollen lieber möglichst das Gleiche verkaufen, mit dem der Kunde dann selber individualisieren soll. Natürlich liegt die Containerschifffahrt als Hindernis zwischen Hersteller und Kundenindividualisierung, aber andere Hersteller ohne individuelle Fertigung im Werk schaffen das auch, indem sie diese Aufgabe auf die Händler auslagern.

In Asien fahren die japanischen Hersteller mit dieser Tour immer noch sehr gut. Ein Flaggschiff ganz oben gibt ein Familien-Gesicht vor, das dann bis ganz herunter zu den Kleinvolumern durchgeführt wird, wo es junge Kunden zieht. Gegen die Stückzahlen Asiens in diesem Gesamtbild zählt Europa verständlicherweise wenig. Aber ich bin gespannt auf die Effekte der ersten Gegenangriffe Europas und Amerikas auf diesen Massenmarkt. KTMs kleine Dukes laufen in Asien trotz ihres dort hohen Preises sehr gut. Vielleicht müssen die Japaner doch noch zu unseren Lebzeiten wieder auf den Geist der Achtziger, Neunziger umschwenken. Was spricht gegen eine Fireblade mit Heizgriffen im Konfigurator? Der BMW S 1000 RR hat es nicht geschadet, im Gegenteil. Sie hat bei den Verkäufen alle japanischen Superbikes abgehängt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4010061