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Das Diesel-Maßnahmenpaket enthält keine konkreten Maßnahmen

Klartext: Ein Paket voll heißer Luft

Klartext Clemens Gleich
Klartext

(Bild: Bosch)

Seit dieses Dieselzeug durch die Szene geistert, hat die Politik einen Eiertanz gefahren, der jetzt in einem "Maßnahmenpaket" gipfelt, das weder konkrete Maßnahmen enthält noch als klar definiertes Paket auftritt

“Endlich ist alles klar, wie es mit dem Dieselbetrug weitergeht!“ Stimmen Sie diesem Satz genausowenig zu wie wir? Aber warum? Die Regierung hat doch jetzt stolz das ultimative Maßnahmenpaket [1] beschlossen, das die ganze böse Sache [2] ad acta legen soll! Das Volk steht jedoch da mit der Realität dieses Pakets: Vage Versprechungen, keine konkreten Maßnahmen, Unsicherheits-Level wie zuvor. Die Politik hat wieder einmal das getan, was sie dieser Tage am besten kann: versagt.

Schlaue Zulieferer zeigten uns SCR-Nachrüstanlagen [3], zum Kauf bei ihnen. Die könne man doch, zwinker, zwinker, in alte Diesel einbauen, um sie auf neuere Abgaswert-Niveaus zu pushen. Ja. Könnte man. Doch: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? "Die Autohersteller natürlich! Sie sollen das bezahlen", tönt es vielerorts. Sie weigern sich jedoch größtenteils. Der Schüler, der das kleine Latinum oder auch nur die Grundlagen des Rechtsstaats erlernt hat, weiß warum: In dubio pro reo. Deutsch: Im Zweifel für den Angeklagten.

Wir reiten hier im Autokanal so viel darauf herum, weil der Grundsatz des Rechtsstaats uns anderswo nicht ansatzweise genügend weit geritten wird. Volkswagen hat einen Betrug zugegeben. Audi hat eine Vertuschung zugegeben [4]. Damit hat ein Gericht Handhabe gegen diese Firmen. Doch BMW? Opel? Sicherlich und mit Grund ermitteln die Behörden auch bei diesen Marken. Doch bis Beamte dort Verdächtige der Taten überführen, kann der Staat diese Firmen nicht zu Maßnahmen zwingen. Ein kollektives „Wir wissen, dass das alles Lumpen sind“ reicht nicht, auch wenn Protagonisten wie Jürgen „Das-Recht-bin-ich“-Resch das gern insinuieren [5]. Ja, der Rechtsstaat ist so zäh, dass es wehtut, ihm bei der Arbeit zuzusehen, aber man schaue sich die Alternativen an, um zu verstehen: Was Besseres haben wir nicht. Ich behaupte sogar: Hätten wir MEHR Rechtsstaat, stünden wir bei den Ermittlungen deutlich besser da.

Wolle Rose kaufe?

Eine Urlaubserinnerung: Wir saßen irgendwo in Chalkidiki in einer Taverne. Der Wirt befüllte unsere Gläser mit Hauswein. Wir tranken. „Und?“, fragte er, „Wie schmeckt das?“ Ich musste ihm sagen: „Eher scheußlich.“ Seine Antwort verblüffte uns: „Ah. Wollen Sie dann eine Flasche davon kaufen?“ Daran muss ich dieser Tage häufig denken, weil die Wirte der Autoindustrie ihr Handwerk offenbar in der Ägäis gelernt haben: „Ihnen gefällt unser Betrugauto nicht? Wie wäre es dann mit noch einem Auto von uns?“

Für die in Metaphern verlorenen Seelen: Es geht um die Umtauschprämien. Zuallererst bin ich empört darüber, wie ebendie jetzt vorgetragen werden, als gäbe es sie nicht schon lange in exakt derselben Form von: jeder, wie er mag. Und weiters empört mich ebendiese Form. Kunden werden den Herstellern überlassen, die sie nach Belieben versorgen oder diskriminieren oder ignorieren. Das ist doch keine „Maßnahme“ im Dieselproblemkreis, das ist eine politische Bankrotterklärung.

Bankrott in allen Filialen

Der Bankrott durchzieht alle politischen Aspekte der Sache. Jetzt haben wir die ersten Fahrverbote für Diesel, und zwar für die bis einschließlich Euro 4. Stickoxide stoßen jedoch hauptsächlich die Fahrzeuge mit Euro 5 und Euro 6 (vor den Euro-6d-Temp-Änderungen [6]) aus. Das heißt: Diese Fahrverbote bringen entweder gar nichts oder sogar minimal schlechtere Messergebnisse in Sachen NOx.

Verschlimmert wird dieser Umstand durch die überdrehte Stimmung in Sachen Stickoxide [7]. Ob die in den niedrigen Grenzwerten nämlich wirklich schädlich sind, wissen wir schlicht bei der aktuellen Datenlage noch nicht. Statt dass (teuer und aufwendig) fehlende Daten erhoben werden, findet (weniger teuer, weniger aufwendig) epidemiologische Meta-Forschung statt. Mathematisch stimmen deren Modelle meistens.

Doch die Grundannahmen für die darauf aufsetzende Mathematik tragen Fehlerraten von teils über 200 Prozent. Damit kannst du also genauso behaupten, dass die untersuchten Schadstoffe in den geringen Mengen im Bereich der Grenzwerte dein Leben verlängern. Homöopathen wussten es immer. So lange von solchen Wissenslagen aus argumentiert wird, geht es nicht um Wissenschaft, sondern um Propaganda in jeweils eigenen Sachen.

„Demokratie funktioniert einfach nicht“

Was könnte man sinnvoll tun? Sinnvoller wäre zum Beispiel bereits: gar nichts. Die Stickoxidmengen aus Autoabgasen sinken seit Jahrzehnten kontinuierlich. Bald gehen die letzten großen Chargen an Euro-5-Autos aus ihren Leasing-Verträgen in den Endkunden-Gebrauchthandel. Bald darauf folgen die ersten Euro-6-Autos, die noch nach alten Regeln zugelassen wurden. Danach folgt die Abgastechnik einer Post-Volkswagen-Ära, die um Größenordnungen weniger NOx ausstößt. Ein Betrug ist weiterhin möglich, wird aber im RDE schwieriger. Eine besonnene Politik würde abwarten. Aber eine solche gibt es nicht. Es muss etwas getan werden, schon rein pro forma.

Bei der Wahl rechtsstaatlicher pro-forma-Maßnahmen gibt es allerdings Luft nach oben bis in die Thermosphäre. Ich möchte natürlich nicht, dass die Politik ohne Verurteilung Autofirmen tritt, bis sie kaputtgehen. Genauswenig möchte ich aber, dass diese Autofirmen das Land regieren. Wir hatten jetzt gefühlte Äonen Autokanzler als Regierungsoberhäupter. Ich wäre zur Abwechslung mal für wenigstens Autofahrerkanzler oder noch besser: schlicht allgemein Menschenkanzler.


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https://www.heise.de/-4183896

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Diesel-Regierung-beschliesst-Massnahmenpaket-4179550.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Diskussion-um-Luftbelastung-4178863.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Diesel-NOx-Katalysator-ASDS-Emission-impossible-3757489.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Abgas-Skandal-Ermittlungen-gegen-Audi-in-Suedkorea-4183837.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Interview-mit-Juergen-Resch-DUH-4080500.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Abgasnormen-im-Ueberblick-4060878.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Kommentar-zum-Diesel-Urteil-3982843.html