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Gibt es wirklich keine schlechten Fahrzeuge mehr?

Klartext: Klassische Meinungsbildung

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Gestern hörte ich wieder meinen alten Lieblingssatz: „Es gibt ja eigentlich keine schlechten Fahrzeuge mehr.“ Folglich, so geht die Argumentation stets weiter, erübrige sich jede scharfe Kritik. Wie jede Legende enthält auch dieser legendäre Satz einen Funken Wahrheit

Gestern hörte ich wieder meinen alten Lieblingssatz: „Es gibt ja eigentlich keine schlechten Fahrzeuge mehr.“ Folglich, so geht die Argumentation stets weiter, erübrige sich jede scharfe Kritik. Wie jede Legende enthält auch dieser legendäre Satz einen Funken Wahrheit: Die Niveaus von Zuverlässigkeit, Fahrsicherheit und Maßhaltigkeit liegen heute weit über jenen von, sagen wir: vor dreißig Jahren. Sie liegen höher, weil es eben doch immer nicht gut genug war. Fast jede Generation der vergangenen 20 Jahre wurde zu ihrer Zeit von irgendeinem Deppen als „perfekt“ beschrieben. Es fiel den Ingenieuren jedoch für fast jede Folgegeneration etwas ein, das ihre Kreation doch noch besser machte oder ihr mehr Fähigkeiten gab. „Gut“ und „schlecht“ sind obendrein sehr subjektive Adjektive. Sie hängen stets am Normalen. Und wenn die Normalität höhere Niveaus erklimmt, gibt es natürlich immer schlechte Dinge, die mit diesem Fortschritt nicht mithalten konnten.

Wer würde denn eine Handschaltung aus den Dreißigern heute nicht für schlecht halten, führe er sie neben Gedichten wie den Handschaltern aus Honda S 2000 oder Civic Type R? Dieses Hochkontrastbeispiel zeigt nur, was überall passieren kann. Alfa Romeo hat im Stelvio [1] eins der derzeit besten SUV-Straßenfahrwerk gebaut. Weit vorne. Es ist gut. Das Navi dagegen liegt weit hinter der heutigen Normalität. Es ist schlecht. Wir können hier über das Gesamte streiten, über Begrifflichkeiten, über Bedeutungen, nicht aber über die Fakten. VW baut bessere Navis. Lieblingssatzsager wissen das. Deshalb verwenden sie das Glitschaalwort schlechthin: „eigentlich“. „Eigentlich“ kann alles: etwas betonen, etwas aufweichen, ganz egal. Es ist die NATO-Standardmunition des Meinungsbildungskampfes. Eigentlich gut so. <- Sie sehen, was ich meine.

Unser Legendensatz existiert also als Rechtfertigung. Ein Verriss liest sich immer flott herunter, was Leser zur Fehlvorstellung verleitet, er sei ein einfacher Artikel. „Ein Verriss ist der aufwendigste aller Artikel“, sagte der damalige c‘t [2]-Chefredakteur Christian Persson immer. „Denn in einem Verriss muss jeder Satz wasserdicht sein. In einer Lobeshymne wird niemand über falsches Lob einen Aufstand machen, aber an einer falschen Kritik hängen sie dich auf, auch rechtlich, und zu recht.“ Deshalb gab es schon immer eher wenig Verrisse von Produkten großer Hersteller. Das macht man nur, wenn sich der Aufriss lohnt. Zuletzt hat die Auto Bild Audis Ölverbrauch groß thematisiert. Wahrscheinlich tat sie das, um nach langer Zeit mal wieder an ihren Ruf des Terriers am Bein der Industrie anzuknüpfen. Ganz sicher tat sie das mit sehr penibler Prüfung aller Aussagen.

Die objektive Meinung

Dass schon berechtigte Kritik an faktisch Unternormalem (Schlechtem) so aufwendig ist, erklärt die sehr geringe Ausprägung persönlicher Meinungen in Berichten über Fahrzeuge. Auf Präsentationen findet sich die übliche Vielfalt der Meinungen über das jeweils gefahrene Dings des jeweils fahrenden Schreibers. In den Texten dann bleibt nur noch, dass alles (eigentlich) toll ist. Der Schreiber fürchtet sich einfach, seine Meinung zu äußern, selbst wenn sie nur harmlos lautet: „Den Eimer haben sie gut hingekriegt, nur mag ich ihn immer noch nicht.“

Es gibt an diesem Punkt zwei Argumentationen, die ich beide für vertretbar halte. Die eine läuft darauf hinaus, dass eine Einordnung ohne Meinung ausreiche, damit der erfahrene KFZ-Publikationen-Leser alle Informationen finde, die er für die Kaufrecherche benötigt und gleichzeitig kein betroffener Presseschauauswerter sich daran stoßen könnte. Die andere geht in die Richtung, dass eine Meinung dem Leser viel schneller hilft, eine Einordnung zu treffen: Wenn der X das (nicht) mochte, dann mag ich das auf jeden/keinen Fall. Welche Argumentation konkret zutrifft, hängt hauptsächlich von der Stärke der jeweiligen Angst vor Liebesentzug der Industrie ab. Die Presse gibt sich selbst zwar immer hehre gesellschaftliche Stellenbeschreibungen (“vierte Gewalt!“), letztendlich betreibt sie aber ein Geschäft, arbeitet also für eine wie auch immer geartete Entlohnung. Dieses Geschäft kann man einfach unterschiedlich aufziehen. Im Großen und Ganzen wissen die Redaktionen schon, wie ihr persönlicher Hase läuft.

Es gibt jedoch in dieser austrocknenden Industrie entschieden mehr Argumentationen mit Angst als je zuvor. Das hat zu einer merkwürdigen Kultur geführt, die erwartet, dass Alle Alles gut finden. „Es gibt keine schlechten Fahrzeuge mehr“ wird zur lokalen, virtuellen Realität. Im Vergleich zum sonstigen Weltgeschehen ist das relativ wurscht, aber doch der Anlass, meinen Texten mehr Meinung zu geben als nüchtern nötig. Einfach zeigen, dass es geht. Fahrzeuge sind auch nicht weniger emotional oder vorliebenabhängig als Musik, aber bei Musik geht es viel menschlich eindeutiger zu in der Bewertung. Ein Leser des Musik Express wusste traditionell aus der Kombination Meinung-Autor stets sehr schnell, ob ihm ein besprochenes Stück gefallen könnte. Das versuche ich bei Fahrzeugen auch, je nach mich beauftragender Redaktion. Im Rest dieses Textes soll es also unter dem Lichte des bis hier Gesagten um Triumphs Linie klassischer Motorräder gehen, die ich so hasse. Sie hat nämlich gesammelt ein Update erfahren.

Modernisierte Vorherauchnichtklassik

Ein weiterer Satz, der mir häufig begegnet: „Setz dich EIN MAL auf diese Klassik-Triumph, ich garantiere dir, du wirst sie lieben!“ Ich hoffe, diese Menschen geben im Geschäftsleben nicht mit derselben Nachlässigkeit ihre Garantien, denn Triumph oder Harley können sich auf den Kopf stellen: Keins dieser Motorräder fasziniert oder interessiert mich auch nur. Ich kann mit dieser Art von Motorrädern nichts anfangen. Da kann ich nichts Schlimmes dran finden. Diese Szene hat genügend Fans, die unter sich ihre Freude haben können. Nur die Alles-toll-Gesellschaft erwartet 100 Prozent Begeisterungsdurchdringung. Man könnte sie ihr recht einfach geben, weil die neue Generation spürbar besser wurde als die alte.

Das Update war für Euro 4 [3] nötig, Triumph hat es aber genutzt für einige weitere Verbesserungen, manche davon dringend nötig. Die Euro-3-Modelle waren zum Beispiel so leise, dass an einer Ampel im Schwarm deiner Kumpels akustisch nicht feststellbar war, ob dein eigener Motor lief. Selbst ich als Feind des lauten Auspuffs empfand das als störend. Die Motorradszene mit ihrem verbreiteten Krachfetisch fand es schlimmer. Die Zahl der sofort getauschen Auspuffanlagen spricht Bände. Die neue Generation tönt mir schon zu laut, wird also für die Kundschaft genau richtig sein. Der originale Auspuff kann montiert bleiben, was auch optisch ein Gewinn ist, denn das wunderschöne Finish der Originaltüten muss der kleine Auspufftöpferer erst einmal hinkriegen. Geblieben: handlinierte Tanks und Verkleidungsteile – ebenfalls in einer Qualität, die der Tanklinierer anderswo schwerlich übertreffen wird.

Neu hinzu kam das ab 2017 verpflichtende ABS, dessen Hochdruckpumpe ganz tief in den Innereien versteckt wurde. Für die Wartung wird das Grütze sein, aber der Optik tut es gut, und auf sie kommt es wohl an. Das Fahrverhalten ist deutlich weniger schlecht als in der Vorgängergeneration. Die (jetzt flüssigkeitsgekühlten) Motoren verbrauchen weniger und sind auf dieseliges Drehmoment von ganz unten ausgelegt. Das hat zu einiger Kritik von Seiten der Fachpresse geführt, über die ich mich freute, weil sie wie gesagt selten ist. Ich stimmte der Kritik damals zu. Nach dem Fahren habe ich meine Meinung aber geändert: Der kleine Motor mit seinen 55 PS passt mir besser zum Konzept als der große 1200er.

Sweet Spot

Bis etwa 6000 U/min produziert er viel mehr Leistung als sein Vorgänger, und dort gurkt man eben mit so einem Teil hauptsächlich herum. Es macht sogar einigen Spaß, den Motor in seinem Sweet Spot zwischen 2500 und 4000 U/min zu halten, wo er mit schönem Schlag Drehmoment auspulst. Vor allem jedoch punktet der kleinere Motor mit einer butterweichen Gasannahme wie aus Gleichdruckvergasern, wo der 1200er ans Gas ruppt wie eine alte KTM, als wolle er doch noch irgendwas mit Sporrccht in seinem Leben tun. Aus dem Mittelgebirgs-Eck pumpen beide Motorisierungen sowieso mit derselben von der Traktionskontrolle diktierten Geschwindigkeit. Man kann sie abschalten, sollte ich hier schreiben, obwohl das kaum ein Kunde je tun wird, weil er sie nicht bemerken wird.

Der Kunde hat offenbar auch kein Problem mit der Minderleistung jenseits der 6000 U/min – vielleicht, weil er dort sowieso nicht hinwill. Die Klassik-Triumphs mit dem kleinen Motor verkaufen sich europaweit sehr gut, besser als die Vorgänger. Die Bonneville Bobber mit dem großen Motor ist sogar das erfolgreichste Neumodell ever bei Triumph. Das Werk hat schon zwei Mal dessen Produktionskapazitäten hochgefahren, um die unerwartet hohe Nachfrage zu bedienen. Selbst für mich tritt der Grund dafür unschwer erkennbar hervor: Das Teil ist einfach sehr schön gemacht. Je näher du dieser Maschine kommst, umso eher wirst du das statt einer Harley kaufen wollen. Es fährt, wie es das Aussehen erwarten lässt. Das wird den Freund solcher Wuthocker freuen. Wer allerdings Kurvenflow sucht, wird sich sehnlich eine Street Triple wünschen.

Damit habe ich mit weniger Hass dasselbe gesagt wie zur letzten Generation der Wieder-aufwärmer-Modelle von Triumph: Wenn das die einzig existierende Sorte Motorrad wäre, würde ich lieber Fahrrad fahren. Und wir sehen aus dem Fenster: Auch diesmal ging die Welt nicht unter. Möge jeder mit seiner Sorte Fahrzeug glücklich werden und die Anderen ihren gefühlten Scheiß fahren lassen.


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