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VW-CEO Herbert Diess findet die Autoindustrie unterfördert

Klartext: Leben im Diessseits

Klartext Clemens Gleich
Herbert Diess

(Bild: Volkswagen)

Wo kriegt die Autoindustrie immer diese Reptiloiden im Management her? Wo werden Prachtexemplare wie Müller oder Diess gezüchtet? Und warum hassen sie ausgerechnet ihre Kundschaft so, von der sie doch leben müssen? Vielleicht ist die Zeit reif für einen Warmblüter

Matthias Müller sollte den Volkswagen-Konzern durch die Krise führen, durch die der Auslöser Winterkorn sie nicht führen mochte – eine undankbare Aufgabe. Wie er sie erledigte, das können wir ohne mehr Wissen über seinen Alltag nicht wissen. Was wir wissen können, ist jedoch, dass Müller in Sachen Kommunikation nicht nur eine Null war, sondern ein negativer Wert, aktiv schädlich für den Konzern. In einem US-Radiointerview konnte er seine wahre Meinung nicht verbergen: alles ein Missverständnis, dieser Betrugsskandal. Seine Wärter (mit mehr Einfühlungsvermögen in andere Menschen) brachten ihn später immerhin zu einer Entschuldigung, die er halbherzig mit "Jetlag und so" aufsagte.

Daheim gefiel es ihm jedoch auch nicht, Reue zu zeigen, im Gegenteil sagte er schnell, das Gekrieche müsse ein Ende haben, alle bitte nach vorne gucken, Wirtschaftsstandort, Rhabarberrhabarber. Als die Kunden das hörten, standen sie alle noch ohne jede Hilfe von Volkswagen im Kulanz-Nirvana, in dem sie bis heute stehen, wenn sie ihre Volkswarze nicht zum Verzweiflungspreis gen Osten verscherbeln [1] mussten. Müller wirkte nach außen stets wie das verzogene Kind, das jetzt Papas Riesenfirma führen darf.

Der Kunde ist Sklave

VW als Firma zu verstehen, führt zu argen Logikproblemen. Es hilft dem Laien daher, die Volkswagen AG als eine Art halbaußerstaatliche Behörde zu interpretieren, die ihre krebsartigen Bürokratiegeschwülsten erklärt. Die Bürokratie hat außer den offensichtlichen Nachteilen auch Vorteile. Zum Beispiel gibt es noch mehr nutzloses Management, aber eben auf der anderen Seite auch mehr Diskussionen. Offenbar sah eine Mehrheit es als sinnvoll an, massiv in ein rein elektrisches Chassis zu investieren, obwohl e-Golf (Test) [2] und e-Up (Test) [3] als Bauvariante der Verbrennerchassis' ganz gut funktionieren.

Ich muss hier in frommer Hoffnung vermuten, dass das wirklich passiert ist, weil Volkswagen bisher nur Modellautos zeigte. Also musste Müller diesen Wunsch irgendwie managen. Dazu schaute er sich die Zahlen der bisher verkauften Elektroautos [4] an. Die machten ihn wütend. Er gab den Kunden die Schuld daran, dass sie VW die teuren Autos nicht zwei Stück pro Haushalt aus den Läden rissen. Im Nachhall klang es für mich sogar so, als lade er einen Teil des Betrugs bei den Kunden ab. Hätten sie ihm halt mehr Milliarden überwiesen, dann hätte alles so legal sein können. Blöde Kunden.

Und jetzt Diess

Verständlich, dass ich Luftsprünge der Erleichterung machte, als Müller abtrat [5]. Doch eine vernichtende Nachricht zog mich sogleich wieder zurück auf den Boden, wo sie mich zerschmetterte: "Nachfolger: Diess [6]". Diess! Wenn man sich ein MO-Büro mit Maik Schwarz, Stuttgarts Außenpressestelle des BMW-Motorrad-Werks Spandau geteilt hat, kommt man um intime Einsichten in diese Firma nicht herum.

Ich weiß nicht, wer damals Dr. Diess an das Steuer des Raumschiffs "BMW Motorrad" ließ und schon gar nicht, WARUM er das tat, aber der Herbert packte umgehend das Steuer fest in beide Hände, lächelte für die Kamera und peilte im Sturzflug den Boden an, den er als Ziel nicht verfehlen konnte. BMWs Rotationsverfahren für Manager entriss ihm automatisch das Steuer, bevor es zu spät war. Irgendwann konnte BMW den Problemstoff Diess gesammelt an die Volkswagen AG abtreten. Ich stelle mir einen Castor-Transport zwischen München und Wolfsburg vor. Am Ziel korkten sie ihr Gefahrengut aus und jetzt haben sie den Salat.

Diess behauptete vergangene Woche gegenüber der Bild am Sonntag allen Ernstes: "In den letzten 30 Jahren gab es keine Industriepolitik." Die deutsche Autoindustrie sei "noch nie gefördert worden". Mit den Dieselgipfeln, auf denen für Volkswagens geprellte Kunden schockierend wenig herauskam, habe man sich "viel zu lange aufgehalten". Klar, Diess will den längst nicht vollständig aufgerollten, riesigen Industriebetrugsfall unter den Teppich kehren. Aber mit welcher Chutzpe er das tut, ja: welcher inbrünstigen Überzeugung, lässt mich daran zweifeln, dass Herberts Hirn denselben Kosmos bewohnt wie wir. Ganz sicher hat er keinerlei Ahnung von den Gefühlen seiner Kunden und noch viel weniger Interesse daran.

Diess wird gescheuert

Nur Diess schafft es, dass man ausgerechnet Verkehrsminister Andreas Scheuer vorbehaltlos zustimmen muss. Er erwiderte auf Diess' Phantasien: "Es geht nicht darum, auf Autoshows immer wieder neu auf Hochglanz polierte Modellwagen unter einem Tuch hervorzuzaubern", sondern es gehe darum, Produkte auf die Straße zu bringen, die Käufer in Sachen Design, Alltagstauglichkeit und Preis überzeugen.

Ja, VW hatte den gelungenen e-Golf. Sie hatten jedoch keine Antwort auf die Preisfrage - der kleine e-Up kostete bis vor Kurzem fast 27.000 Euro. Sie hatten keine Antwort auf größere Fahrzeugklassen, in deren Preisgefüge man die Batterie hineinargumentieren kann (Tesla Model S, Tesla Model X (Test) [7], Jaguar I-Pace [8]). Erst jetzt im Herbst kann man mit Audis E-tron [9] ein elektrisches SUV aus dem Volkswagen-Konzern vorbestellen, auch das zwar mit wenigstens eigener Bodengruppe, aber nicht auf dediziertem Elektro-Chassis.

Scheuer erinnerte außerdem an die Milliarden an Euro, die der Staat nicht nur in Infrastruktur, sondern auch direkt in die Taschen der Autokonzerne steckte, damit sie mit dieser kleinen Unterstützung alternative Antriebe entwickeln. Scheuer: "Man sollte meinen, dass man aus diesem Geld einiges machen kann. Beispiel: tolle Autos, die die Verbraucher begeistern. Oder Nutzfahrzeuge produzieren, die unsere Logistikbranche überzeugen. Oder Busse herstellen, die man im öffentlichen Nahverkehr schnell einsetzen kann. Wenn ich mich draußen umsehe, dann brauchen wir unbedingt solche Fahrzeuge, aber nur, sie stammen momentan leider zu wenig von deutschen Herstellern."

Warum nicht mal kein Psychopath?

Es wird mir immer rätselhafter, wie man Top-Manager in der Autobranche wird. Der funktionale Psychopath findet gern seine Gesellschaftsnische in einem Management-Job. Meine belastbarste These daher: Es gibt auch in der Autoindustrie Seilschaften funktionaler Psychopathen, die sich gegenseitig in Spitzenpositionen hineinschuhlöffeln. Dennoch fällt mir die Vorstellung schwer, dass selbst andere Psychopathen sich je einig waren: "Wir löffeln den Diess!" Wo die Welt doch so voller geschickterer Psychos ist! Vielleicht unterschätze ich hier den Herbert. Vielleicht ist er ein unheimlich charmanter Mensch, der seinen Mangel an Führungs-Charakter mit einem Flutlicht von Charisma überstrahlen gelernt hat.

Dann versteckt er das aber extrem gut. Letztendlich ist es wurscht, denn Diess ist nur ein besonders grauenvolles Beispiel aus dieser Ellbogenkultur. Wie wäre es denn anlässlich des Neuaufbruchs von Volkswagen, wenn mal KEIN funktionaler Psychopath die Firma führt, sondern egal welcher Mensch mit Mitgefühl, und sei es nur für die eigenen Kunden? Die Auswahl ist unbegrenzt, das Risiko minimal, denn schlimmer als Diess kann es schon mal nicht werden.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/T-E-Viele-Alt-Diesel-nach-Bulgarien-exportiert-4014051.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-VW-e-Golf-im-Test-3774086.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-VW-e-Up-3637266.html
[4] https://www.heise.de/autos/thema/Elektroautos
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Kommentar-Was-bleibt-von-Volkswagenchef-Mueller-4023784.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/VW-Chef-Mueller-muss-gehen-Diess-soll-folgen-4015124.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausfahrt-mit-dem-Tesla-Model-X-3491198.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Jaguar-i-Pace-3753368.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Audi-e-tron-verspricht-modernste-Batterie-und-Ladetechnik-4166354.html