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Silber Surfer

Klassiker: Mercedes 190 SL-R

Mercedes Wolfgang Gomoll
Klassiker

Der Mercedes 190 SL zieht einen von der ersten Sekunde an in ihren Bann. Als Rennversion 190 SL-R mit frisierter Maschine und kurzer Übersetzung verliert der Roadster - gründlich abgespeckt - 100 Kilogramm und das Dach. Der Fahrspaß ist immens - auch heute noch

Schruns (A), 26. Juli 2016 – Es ist ja nicht so, dass man sich als Füherscheinbesitzer nicht ein bisschen wunderte über eine Anleitung zum Motorstart. Doch die freundliche Einweisung des Fachmanns für Mercedes-Oldtimer lässt keinen Raum für Interpretation. „Nur kurz am Zündschlüssel zupfe und dann glei Gas gäbe”, sagt der Mann aus Schwaben.

Die Sorgfalt hat einen guten Grund: Der Mercedes 190 SL-R ist eine Rennversion mit frisierter Maschine. Unbedarfte Anlassversuche können bei so großen Vergasern zu ernsthaften Startschwierigkeiten ausarten.

Restauriert nach Lastenheft

Der Wagen ist zudem extrem selten und ziemlich teuer. Nur rund 17 Stück sollen gebaut worden sein. Das Auto, in dem wir sitzen, ist eines von sechs, die in den 1990er Jahren aufwendig restauriert wurden. Da es keine Originalpläne mehr gab, suchte sich die Mercedes-Truppe alles an Informationen zusammen, was sie finden konnte. Unter anderem des Lastenhefts für den Großen Preis von Macau, den der R 1956 gewann. Zweieinhalb Jahre dauerte es, ehe die Preziose fahrfertig war. Wer dieses Auto haben will, muss mindestens eine halbe Million Euro investieren.

Nach kurzem Schlüsseldreh und schnellem Gaspedaltritt erwacht der Vierzylinder des SL-R sofort zum Leben. Rasselnd, metallisch sägend. Den Doppel-Vergaser von Weber durchströmt hörbar eine Menge Luft, angesaugt von vier Zylindern mit insgesamt 1900 Kubikzentimetern. Der dicke Kranz des Holzlenkrads bietet guten Griff, die mit rotem Kunstleder bezogenen Sportsitze überraschen mit viel Seitenhalt und hohem Komfort .

Anders als das Flügeltür-Coupé kommt die technische Basis für den Serien-Roadster SL 190 (interner Code W121) von der Ponton-Limousine (W120). Die R-Version ist für Bergrennen optimiert. Also haben die Ingenieure alles weggelassen, was der Dynamik im Wege stand. Auch Verdeck und Windschutzscheibe und selbst die edle Chrom-Stoßstange musste weichen. Zwei winzig kleine Plexiglasscheiben, sogenannte Brooks-Gläser, schützen vor Fahrtwind. Bei Regen helfen nur Regen-Overalls, Sturmhauben und Motorradbrillen, mit denen man aussieht wie Quax der Bruchpilot. Das Sicherheitsfeature ist ein ein riesiger Überrollbügel.

Unsichtbare Verbesserung

Der Motor ist übrigens nicht original, ein M115 wurde anstelle des ursprünglichen M121 eingesetzt, weil er sich nach außen und von den Eckdaten so gut wie gar nicht unterscheidet – außer in einem entscheidenden, unsichtbaren Detail: Fünf Kurbelwellenhauptlager machen ihn standfester, manche behaupten auch: sanfter. Gegenüber den drei Lagern des M121 ist das jedenfalls ein großer Fortschritt. Beide Motoren sind völlig normale Arbeitspferde aus der damaligen Daimler-Motorenpalette. Sie wurden, leicht gedrosselt, jahrzehntelang auch im Unimog und diversen Transporterbaureihen eingesetzt. Für den 190 SL-R hat man den Kaltblüter eben getunt.

Unterm Strich ist der SL-R rund 100 Kilogramm leichter, als die reguläre Version, wiegt also etwas über eine Tonne. Trotzdem findet man im Innenraum noch genug Serienelemente, wie die Handbremse, die links unterhalb des Armaturenbretts gezogen wird oder den damals modernen Fußtritt-Fernlichtschalter.

Die Kupplung kommt sportlich und muss mit gehörig Kraft getreten werden. Der Lenkung fehlt jegliche Servo-Unterstützung, die gab es damals nur für die großen Limousinen. Dazu passt die knackige Viergangschaltung mit kurzen Wegen und einer präzisen Führung des Hebels.

In den 34 Kehren der Silvretta-Hochalpenstraße zeigt der Sportler sein Können. Schließlich ist der SL-R für Bergrennen gemacht. Da ist Gewicht tödlich – zumal, da der SL-R mit seinen 160 PS seinen Kraft-Nachteil im Vergleich zur Konkurrenz aus Italien und England mit Wendigkeit wettmachen muss.

Das kurz übersetzte Getriebe verschafft dem Mercedes SL-R einen explosiven Antritt. Im Gegensatz zu seinen rauen Serienbrüdern zeigt sich das Aggregat dank der fünffach gelagerten Kurbelwelle von seiner zivilen Seite. Willig jubelt der Vierzylinder Motor hoch bis zum roten Bereich bei etwa 5800 U/min.

Selbst, wenn man es mal gemütlich angehen lässt, hat der Motor noch genug Schmalz, um aus dem SL aus dem Drehzahlkeller herauszubeschleunigen. Die Lenkung ist präzise genug, um den raren Oldtimer sicher, um die Ecke zu führen. Lediglich die Trommelbremsen brauchen einen richtig kräftigen Tritt. Aber das geht einem bald in Fleisch in Blut über.

Breiter Grenzbereich

Erstaunlich für uns ESP-Verwöhnte ist, wie souverän, wie gutmütig und beherrschbar so ein Renn-SL sich fahren lässt. Auf Befehl zuckt das ansehnliche Heck kurz, lädt zu einem geschwinden Drift ein, um sich dann wieder einfangen zu lassen. Die Konstrukteure beim Daimler haben damals sauber gearbeitet und einen breiten Grenzbereich stehen lassen, innerhalb dessen jeder Fahrer, der bei Trost ist, den SL wieder einfangen kann.


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