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Trübungsversuche

Kommentar: Überraschungen in der Abgasaffäre

Klartext Martin Franz
OM654

(Bild: Daimler)

Ob man sich nur oberflächlich oder tiefgehend mit der Abgasnachbehandlung von Dieselmotoren beschäftigt: Man kommt dieser Tage aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was dabei Stück für Stück zutage kommt, lässt einen vermuten, dass der Sumpf viel tiefer ist als ohnehin schon gedacht

Ob man sich nur oberflächlich oder tiefgehend mit der Abgasnachbehandlung von Dieselmotoren beschäftigt: Man kommt dieser Tage aus dem Staunen eigentlich nicht mehr heraus. Was dabei Stück für Stück zutage kommt, lässt einen vermuten, dass der Sumpf viel tiefer ist als ohnehin schon gedacht. Einigen Spitzenverdienern in der Automobilbranche dürfte ziemlich unwohl sein bei dem Gedanken an die Welle, die sie aus ihren komfortablen Einzelbüros spülen könnte. Zu verantworten haben das zumindest einige von ihnen selbst.

Rede und Antwort

Wir dürfen davon ausgehen, dass bei allen großen Autoherstellern spätestens mit dem öffentlichen Bekanntwerden des Betrugs bei Volkswagen im September 2015 die Chefentwickler von Motor und Abgasnachbehandlung den obersten Konzernlenkern Rede und Antwort stehen mussten.

„Nutzen auch wir die Prüfstandserkennung zur Manipulation?“

„Ja, Chef, tun wir.“

„Das ist schlecht. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir auffliegen?“

Die Antwort darauf dürfte bestimmend dafür sein, wie standfest ein Konzernlenker in der Öffentlichkeit behauptet: „Wir nutzen so etwas nicht. Wir betrügen nicht.“ Einige haben sich dabei erstaunlich weit vorgewagt, was die Vermutung zulässt, dass sie sich entweder sicher wähnen, nicht erwischt zu werden oder aber keine Ahnung haben, was in ihren Entwicklungsabteilungen geschieht. Beides ließe sie in einem Licht erscheinen, von dem wohl keiner angestrahlt werden möchte. Natürlich gibt es auch eine dritte Option: Dass sie tatsächlich davon überzeugt sind, alles richtig gemacht zu haben.

Verdunstet

Doch wenn fast drei Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des Abgas-Betrugs bei Volkswagen gleich zwei Konzernmarken eingestehen müssen, bis in das Jahr 2018 eine illegale Abschalteinrichtung genutzt haben, ist das eine Frechheit, die nur schwer zu überbieten ist. Sie wird von einer Strafverfolgung begleitet, die einen sprachlos machen kann: Fast drei Jahre nach dem Bekanntwerden wurden am Montag (11. Juni 2018) die Privaträume von Audi-Chef Stadler und einem weiteren Mitglied des Konzernvorstandes durchsucht. Wenn es da juristisch gesehen etwas interessantes gegeben hat, ist das sicher inzwischen „verdunstet“.

Zumal man sich immer wieder eines vor Augen halten muss: Volkswagen wurde bereits vor der Veröffentlichung 2015 gewarnt. Die Environmental Protection Agency (EPA) konnte die Ergebnisse, die auf dem Prüfstand ermittelt wurden, unter keinen Umständen auf der Straße nachvollziehen – so kam man Volkswagen auf die Schliche. Dass es nun die beiden selbsternannten Nobelmarken Audi und Porsche trifft, spielt nur eine Nebenrolle.

Nachgerüstet

Volkswagen ist nicht der einzige Konzern, der aktuell erstaunen kann. Der BMW-Chef beteuerte stets, dass niemals betrogen wurde. Im März 2018 musste BMW einräumen [1], bei einigen Dieselmodellen eine falsche Software aufgespielt zu haben. Dadurch könne es zu einem erhöhten NOx-Ausstoß kommen. Ein Versehen, wie BMW betont. Nicht mal ein Jahr bevor die aktuellen Generationen von 1er und 3er auslaufen, bekommen beide noch einen SCR-Kat. Ein geradezu erstaunlicher Schritt, den die aufmerksamen Controller sicher gern vermieden hätten. Immerhin hat BMW, die den SCR-Kat ja nur in Verbindung mit einem Speicherkat einsetzen, schon unter Beweis gestellt, dass sich auf diesem Weg recht geringe NOx-Werte auf der Straße vorzeigen lassen. Der aktuelle 520d [2] gehört zu den Autos, die vergleichsweise wenig NOx ausstoßen.

Bei Mercedes stehen die Dieselmotoren mit den internen Bezeichnungen OM622 und OM651 unter Beobachtung. Beide haben in der C-Klasse seit 2014 [3] einen SCR-Kat. Serienmäßig wurde ein 7-Liter-Tank eingebaut, gegen Aufpreis einer mit 24 Litern. Der Verdacht liegt nahe, dass auch Mercedes zu sparsam mit dem Harnstoff war. Wie BMW zeigt auch Mercedes, dass es zumindest bei den neueren Maschinen besser geht: Der mit einem riesigen finanziellen Aufwand entwickelte OM654 gehört zu den Dieselmotoren, die vergleichsweise wenig NOx ausstoßen.

Kleine Tanks

Manch ein Hersteller mag dem Kunden die Nachfüllung des Adblue-Tanks nicht zumuten und geht mit dem preiswerten Zusatz deshalb allzu sparsam um. Einige Hersteller haben anfangs mit lächerlich kleinen Tanks operiert und trotzdem eine Reichweite von Inspektion zu Inspektion beworben – das konnte nicht gut gehen. Bei einem Preis an der Zapfsäule von rund 70 Cent je Liter dürfte es aber auch Vielfahrern herzlich egal sein, ob sie auf 1000 km 70 Cent, 1,40 Euro oder auch 2,10 Euro für Adblue einrechnen müssen. Angesichts der sonstigen Unterhaltskosten spielt das schlicht keine Rolle. Man darf wohl annehmen, dass der ein oder andere Dieselfahrer liebend gern mehr ausgeben würde, wenn es der Gesundheit zuträglich wäre.

Naivität

Es ist sicher richtig, dass sich Prozesse in der Industrie nicht von heute auf morgen umstellen lassen. Doch was sind wiederholte Beteuerungen wert, wenn fast drei Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden Neuwagen verkauft werden, die in dieser Hinsicht nicht makellos sind? Nahm man in den Chefetagen an, nicht erwischt zu werden? Falls dem tatsächlich so sein sollte, gehören die Verantwortlichen allein für diese Naivität zügig vor die Tür gejagt. Allen musste klar sein, dass der Diesel seit September 2015 unter verschärfter Beobachtung steht.

Recht und Moral

Was moralisch bedenklich ist, ist es rechtlich deswegen noch lange nicht. Bis hinauf zur ab September 2018 für alle erstmals in der EU zugelassenen Autos verbindlichen Abgasnorm Euro 6c muss ein Auto die vorgeschriebenen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten. Erst mit der Euro 6d-TEMP [4] kommt ein Test auf der Straße hinzu. Im Klartext heißt das, es interessiert den Gesetzgeber bis hin zu Abgasnorm Euro 6c nicht, wie viel NOx ein Auto abseits der Prüfstände ausstößt. Autos die nur dort sauber sind, sind rechtlich nicht zu beanstanden – es sei denn, sie verwenden die Prüfstandserkennung dafür, eine Abschalteinrichtung zu nutzen. Das ist illegal, egal wo auf der Welt.

Doch es gibt in dieser Angelegenheit nicht nur eine rechtliche Betrachtung. In praktisch allen Tests fallen Autos mit Speicherkat auf der Straße mit teilweise dramatisch schlechten Werten auf. Man sollte annehmen, dies könne sich kein Hersteller mehr leisten. Dem ist nicht so: Arbeitet man sich in dieser Angelegenheit durch Foren, Nachrichten und Zitate von Politikern, finden sich dabei ohne lange Suche vorgetragene Argumente, die auf eine Unkenntnis der Lage hindeuten. Zumindest darauf können sich die Hersteller mit einiger Sicherheit verlassen.

Schlecht beraten

So wird unter anderem immer wieder gefordert, dass Hersteller auf ihre Kosten bei älteren Dieselmotoren einen SCR-Kat nachrüsten sollen. Sofern ein Autohersteller aber nicht betrogen hat, stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Basis diese Forderung umgesetzt werden soll. Natürlich kann man an die Moral eines Aktienunternehmens appellieren, sehr erfolgreich dürfte das aber wohl nicht enden. Die Hersteller werden darauf verweisen, dass die Autos nach den damaligen Regeln homologiert wurden. Wenn Politiker nun dennoch fordern, die Hersteller sollten auf ihre Kosten nachrüsten, werden sie entweder juristisch schlecht beraten, wissen es also tatsächlich nicht besser, oder aber meinen, dass eine solche Aussage die eigene Wählerschaft anspricht.

Der Druck auf die Autohersteller nimmt trotzdem zu. Einerseits versucht die Deutsche Umwelthilfe auf die ihr eigene Weise, die Angelegenheit weiterhin in der medialen Öffentlichkeit zu halten. Doch selbst der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) gehen auf Distanz zu den Autoherstellern. Dabei sind beide absolut unverdächtig, strenge Beobachter der Autohersteller zu sein. Anders ausgedrückt: Kritische Anmerkungen aus dieser Richtung bedeuten, dass es hinter den Kulissen gewaltig knirschen muss.

Kritik von unerwarteter Seite

Die Branche müsse „Fehler der Vergangenheit aufarbeiten“, sagte VDA-Chef Mattes vor dem zweiten Treffen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit Daimler-Chef Dieter Zetsche der Süddeutschen Zeitung. BDI-Chef Dieter Kempf wurde noch ein wenig deutlicher [5]: „Wer Fehler gemacht hat, sollte sie benennen, sich entschuldigen und sie abstellen, also Verantwortung übernehmen, um endlich Vertrauen zurückzugewinnen.“ Da mag ein wenig Populismus mitschwingen, doch Kommentare wie diese aus industrienahen Kreisen sind mehr als nur ein Fingerzeig darauf, wie heiß es abseits der breiten Öffentlichkeit zugeht. Weitere Überraschungen sind ziemlich wahrscheinlich.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Razzia-bei-BMW-Verdacht-auf-Abgas-Manipulation-3999738.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-BMW-520d-Touring-3765507.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Reisefuehrer-2594449.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Abgasnormen-im-Ueberblick-4060878.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/BDI-tadelt-Hersteller-fuer-Umgang-mit-Abgasbetrug-4075682.html