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„Le Safari de la Mort Moscovite“ soll wieder fahren

Kunst der Bewegung

News Andreas Th. Fischer

Die Restauratoren des Museum Tinguely in Basel stehen vor einem fast nicht zu lösenden Problem: „Le Safari de la Mort Moscovite“ soll am „Grand Prix Tinguely“ in Fribourg teilnehmen. Das Kunstwerk auf Basis eines Renault 5 wurde 1989 von Jean Tinguely für eine Ausstellung in Moskau geschaffen

Basel (CH), 12. Mai 2016 – Die Restauratoren des Museum Tinguely in Basel stehen vor einem fast nicht zu lösenden Problem: Am 3. September dieses Jahres soll „Le Safari de la Mort Moscovite“ am „GrandPrix Tinguely [1]“ in Fribourg teilnehmen. Das kinetische Kunstwerk, das manche Zeitgenossen an ein Fahrzeug aus den „Mad Max“-Kinofilmen erinnert und das von einer Sense gekrönt wird, wurde 1989 von Jean Tinguely für eine Ausstellung in Moskau geschaffen. Es basiert auf einem damals vermutlich schon gebrauchten Renault 5 (R5) und wurde seit etwa 20 Jahren nicht mehr gefahren. Das Auto soll den Tod symbolisieren und auf die Vergänglichkeit der westlichen Luxusgüter hinweisen. Wie passend wirkt es da, dass niemand vorhersagen kann, was bei der geplanten Fahrt in Fribourg an dem Fahrzeug alles noch beschädigt werden kann.

Fahrtüchtig war Le Safari de la Mort Moscovite aber einmal. Tinguelys damaliger Assistent Seppi Imhof soll mit ihm 1990 immer wieder Runden um das Ausstellungsgebäude in Moskau gedreht haben. Ein angeblicher nächtlicher Abstecher zum Roten Platz ist aber nicht belegt. Einzig eine Fotomontage des Fotografen Leonardo Bezzola zeigt das Fahrzeug vor dem verschneiten Kreml.

Grundlage des Kunstwerks ist ein Renault 5 Sondermodell „Safari“, von dem nicht ganz klar ist, wo es herstammt. Eventuell handelt es sich um das gebrauchte Auto einer Bekannten von Tinguely, das von dem Künstler zu einer sogenannten kinetischen Konstruktion umfunktioniert wurde. Neben der bereits erwähnten Sense wurden von Tinguely und Imhof mehrere imposante Tierschädel sowie andere Fundobjekte wie ein Plüschhund, eine Plastikblume und eine sich drehende Weinrebe an die Karosserie des R5 montiert. Insgesamt acht Räder aus verschiedenen Materialien werden durch Riemen und eine Kette angetrieben. Am Heck befindet sich ein Motorrad-Rad, das heruntergelassen werden kann und das dann durch den Vortrieb die anderen Räder antreibt. Im Museum wurde dafür ein kleiner Elektromotor installiert. Die ebenfalls acht Tierschädel sind bis auf einen in den Bewegungsablauf eingebunden. Sie waren Trophäen eines Großwildjägers und stammen teils von Antilopen und Büffeln.

Manifest des Augenblicks

Tinguelys Vorgehensweise war dabei, wie der Restaurator Albrecht Gumlich in Basel erläuterte, durchaus ungewöhnlich. Der Künstler habe neue Teile an das Fahrzeug gehalten, seinen Kopf weggedreht und Seppi Imhof schweißte sie kurzerhand an. Guido Kühn, Professor für Cross-Media-Design an der SRH Hochschule Heidelberg, Tinguely-Kenner und Spezialist für ältere Autos, beschreibt Tinguelys Arbeitsweise so: „Er war gelernter Dekorateur, sein Metier war der Effekt, nicht die Ewigkeit.“ Laut Kühn zeige bereits ein einziger Blick auf das Kunstwerk, dass hier „nicht für das Überdauern der Zeiten, sondern aus dem Moment für den Moment gearbeitet wurde“. Sozusagen mit der „Methode des Dekorateurs“ als „Manifest des Augenblicks“.

Mit der Verwendung des Autos, einem Statussymbol der westlichen Konsumgesellschaft, wollte Tinguely die während der Perestroika nach Wohlstand strebenden russischen Besucher der Moskauer Ausstellung auf die Vergänglichkeit von „Luxusgütern“ aufmerksam machen – wenn man einen gebrauchten R5 als Luxusgut bezeichnen mag. Das Fahrzeug wurde dabei selbst zum Sinnbild des Todes. Nach dem Tod des Künstlers 1991 wurde Le Safari de la Mort Moscovite unter anderem 1993 in St. Ursanne und nach 1996 immer wieder sporadisch im Basler Museum Tinguely gezeigt.

Interessierte Besucher können den Restauratoren Albrecht Gumlich, Jean-Marc Gaillard und Chantal Willi momentan noch in Basel über die Schultern schauen. Das mehrwöchige öffentliche Projekt „Safari in Restauro“ soll „spannende Einblicke in die Entscheidungsfindungen und die Maßnahmen der Konservierung und Restaurierung“ bieten. Die Arbeiten werden mit Fotos und Texten im Ausstellungsraum dokumentiert.

Viele offene Fragen

Aber auch wenn das Museum Tinguely betont, dass „das primäre Ziel einer Restaurierung immer ist, den Ist-Zustand eines Kunstwerks zu bewahren“, birgt der Plan, Le Safari de la Mort Moscovite in Fribourg wieder auf die Straße zu bringen, doch große Gefahren. So ist den Restauratoren noch nicht bekannt, welche Strecke das Fahrzeug zurücklegen soll. Weder die zurückzulegende Distanz, noch die Art des Straßenbelags wurden bislang kommuniziert. Fribourg ist eine alte Stadt mit noch viel Kopfsteinpflaster. Den Restauratoren, die ja für den Erhalt des Kunstwerks zuständig sind, stellen sich deswegen viele Fragen: Gibt es Bürgersteigkanten, die überwunden werden müssen? Was ist, wenn es regnet? Wie schützt man lose Teile? Packt man sie in Tüten, klebt man sie an oder nimmt man kleine Schnüre zur Befestigung? Oder entfernt man sie besser vor der Fahrt? Was passiert, wenn etwas herunterfällt? Soll jemand hinter dem Fahrzeug herlaufen und heruntergefallene Teile einsammeln? Wie schnell darf man es überhaupt fahren?

Professor Guido Kühn, der unter anderem im technischen Stab der Documenta Kassel und bei einer großen Kunstspedition gearbeitet hat und sich nach eigener Aussage bestens mit Transportwesen, Werkinszenierung und Arbeitswelt kunstmusealer Einrichtungen auskennt, warnt vor den Folgen der geplanten Fahrt in Fribourg: „Im schlimmsten Fall entstehen Schäden, die dazu führen, dass Teile der Arbeit auf Kosten der Originalität ersetzt werden müssen oder dass die Arbeit, die aktuell noch in Bewegung präsentiert werden kann, über längere Zeit – möglicherweise für immer – nur unbewegt ausgestellt werden kann.“ Wahrscheinlicher seien aber geringere Schäden: „Lager können fressen, die ohnehin losen Passungen können ausleiern. Teile fallen ab.“ Der reichlich vorhandene Rost trage ebenfalls nicht zur Stabilität des Kunstwerks bei. Guido Kühn: „Kurzum, das Objekt wird ziemlich sicher durch die geplante Verwendung lesbare Spuren davontragen.“

Auch wenn die Entscheidung nach außen festzustehen scheint, betont jedoch Kuratorin Annja Müller-Alsbach vom Museum Tinguely, dass „erst nach den erfolgten konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen entschieden werden kann, wie genau und unter welchen Voraussetzungen Safari am Umzug am 3. September in Fribourg fahren wird“. Man kann es nur für das Fahrzeug hoffen, dass die Verantwortlichen die richtige Entscheidung treffen. Guido Kühn ist sich jedenfalls sicher, dass „ein einziger Blick auf die Skulptur Le Safari de la Mort Moscovite zeigt, dass sich jeder Versuch diese wieder auf die Straße zu bringen, verbietet.“ Falls sich die Fahrt trotzdem nicht verhindern lässt, rät der Oldtimer-Experte den Restauratoren, alle Flüssigkeiten zu tauschen und die Verschleißteile zu begutachten. Dazu sei jedoch eine „Teilzerlegung der relevanten Aggregate“ nötig. Das sei nur möglich, wenn man die kinetischen Teile zumindest vorübergehend demontiere. Man müsse auf jeden Fall mit einem erheblichen Wartungsstau rechnen. Kühn empfiehlt, Motor, Getriebe und Achsen zu öffnen, zu reinigen und neu zu befüllen. Erst dann sollte man den Motor „von Hand sorgsam durchdrehen und starten“. Er betont allerdings, dass er „diesen speziellen Wagen nicht starten und auch nicht für diesen Zweck aus dem Museum holen“ würde.

Ölwechsel erlaubt?

„Die Wahrscheinlichkeit bei einer Teilzerlegung und Begutachtung auf zu tauschende Teile zu stoßen, ist sehr hoch. Ob so ein tiefer Eingriff und ein Tausch von Betriebsmitteln und Verschleißteilen überhaupt aus konservatorischer Sicht wünschenswert ist, ist eine in Fachkreisen intensiv geführte Diskussion. Bei Beuys tauscht man ja auch nicht die Fette“, so Kühn. Seiner Ansicht nach herrscht bei Konservatoren mittlerweile die Ansicht vor, „eben nicht in Stand zu setzen, sondern den relevanten Zeitpunkt X in der Zeitleiste möglichst authentisch zu bewahren“. Kühn: „Dazu gehören auch die Ge- und Verbrauchsspuren, die zu beseitigen in diesem Fall notwendig wären, um das Gefährt auf die Straße zu bringen.“

Eventuell wäre es also doch besser, Le Safari de la Mort Moscovite die Prozession in Fribourg beispielsweise nur auf einem geschützten Anhänger anführen zu lassen. Oder man lässt das Kunstwerk nach der Restauration einfach in Ruhe und präsentiert es weiterhin in einem geschützten Rahmen. Dem Bestreben und der Intention Tinguelys, der ja nicht für das Überdauern der Zeiten gearbeitet hat, würde dies allerdings vermutlich widersprechen. Wie man es auch dreht und wendet, das Museum Tinguely in Basel hat eine schwierige Entscheidung zu treffen.


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[1] http://www.tinguely2016.ch/events/grand-prix-tinguely2016/?lang=de