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Der ewige Rossi

Mit 40 auf Top-Niveau in der MotoGP. Valentino Rossi zum Vierzigsten

Motorrad iga

Valentino Rossi feierte am 16. Februar seinen vierzigsten Geburtstag. Für einen Rennfahrer ein biblisches Alter, die meisten seiner Kollegen, mit denen er begann, sind längst in Rente. Doch Rossi denkt auch mit 40 noch nicht daran, seine Karriere zu beenden, er sitzt in der kommenden Saison auf der Werks-Yamaha

Valentino Rossi feierte am 16. Februar seinen vierzigsten Geburtstag. Für einen Rennfahrer ein biblisches Alter, die meisten seiner Kollegen, mit denen er begann, sind längst in Rente. Doch Rossi denkt auch mit 40 noch nicht daran, seine Karriere zu beenden, er sitzt in der kommenden Saison auf der Werks-Yamaha und will um die WM-Krone kämpfen.

Valentino Rossi ist ein Phänomen. „The Doctor“, wie sein selbstgewählter Spitzname lautet, ist ein Spaßvogel mit einem riesigen Ego, ein fahrerisches Ausnahmetalent und Perfektionist, der Popstar unter den Racern. Er beherrscht nicht nur sein Motorrad in Vollendung, sondern auch die psychologische Kriegsführung, weiß, was er als Showmaster seinen Fans schuldig ist, liebt originelle Lackierungen auf seinem Helm und lässt sich von niemandem in seinen Entscheidungen hineinreden. Er ist kompromisslos auf der Rennstrecke, weicht keinem Duell aus, führt eine millionenschwere Firma und fördert persönlich mit Begeisterung Nachwuchstalente.

Neunmal wurde er Weltmeister, allein in der Königsklasse holte er sieben Titel. Rossi ist der letzte 500er-Weltmeister auf einem Zweitakter und holte nach seinem Wechsel von Honda auf die eigentlich unterlegene Yamaha dennoch den MotoGP-Titel. Wenn die neongelbe Nummer 46 auf der Strecke auftaucht, geraten ganze Horden von Fans in Ekstase. Niemand im Starterfeld hat auch nur annähernd so viele frenetische Anhänger wie „Vale“. Die kommen nicht etwa nur aus Italien, sondern finden sich weltweit, ganz besonders viele Rossi-Fans gibt es in Japan, Indonesien und Malaysia. In seiner Heimat wird Valentino Rossi verehrt wie ein Heiliger, er ist dort vermutlich beliebter als der Papst.

Die geerbte 46

Valentino wurde in eine Rennfahrerfamilie hineingeboren, sein Vater Graziano fuhr selber Motorrad-GP-Rennen. Von ihm übernahm sein Sohn die Startnummer 46, die er zu seinem Markenzeichen machte. Klein Valentino startete seine Karriere interessanterweise auf vier Rädern, er wurde 1990 als Elfjähriger regionaler Kart-Champion, wechselte ein Jahr später zu den Mini-Bikes, holte 1995 die italienische 125er-Meisterschaft, startete im folgenden Jahr in der 125er-WM auf einer Aprilia und wurde 1997 überlegen Champion – er gewann elf von 15 Rennen. Sein Ausnahmetalent deutete sich damals schon an.

Sein Spitzname „The Doctor“ resultierte daraus, dass Rossi immer akribisch alle Daten analysierte, um das Beste aus seinem Motorrad und seinem Fahrstil herauszuholen. In der 250er-WM wiederholte sich das Muster: Ein Jahr Eingewöhnungszeit, dann errang er überlegen den Titel. Als im Jahr 1999 Mick Doohan, der fünfmal hintereinander 500er-Weltmeister geworden war, noch vor Ablauf der Saison aufgrund einer Verletzung sein Karriereende bekannt gab, erbte Rossi 2000 dessen Werksmaschine. Honda wollte den vielversprechenden jungen Italiener unbedingt haben. Die 500er-Zweitakter waren ein ganz anderes Kaliber als die 250er und die Konkurrenz bestand aus den besten Fahrern der Welt. Rossi zeigte sich furchtlos und einen unbändigen Siegeswillen. Er wurde in seiner Debut-Saison Zweiter und – man ahnt es schon – holte sich 2001 die WM-Krone.

Wechsel zwischen den Marken

Als 2002 der Wechsel von den 500er-Zweittakt-Motoren auf die 990er-Viertakter erfolgte, setzte Rossi seine Siegesserie fort und gewann mit der Honda RC211V zweimal hintereinander den Titel. Statt bei Honda zu bleiben, die damals das beste Motorrad bauten, suchte er nach einer neuen Herausforderung und da ohnehin Diskrepanzen zwischen ihm und der Honda-Geschäftsführung bestanden, unterschrieb er bei Konkurrent Yamaha. Bis dahin fuhr die Yamaha M1 hoffnungslos hinterher und kaum jemand räumte Rossi eine Chance ein. Doch Vale hatte den Ehrgeiz, es allen zu zeigen und außerdem seine komplette Mechaniker-Crew inklusive Cheftechniker Jeremy Burgess mitgenommen und sie schafften das Wunder, aus der Yamaha innerhalb von kurzer Zeit ein siegfähiges Motorrad zu machen.

Der „Doctor“ holte sich 2004 überraschend auf Yamaha die Weltmeisterschaft und wiederholte den Erfolg im darauffolgenden Jahr. In der nächsten Saison musste er sich mit dem Vize-WM-Titel begnügen, 2007 wurde er gar nur Dritter. So mancher sah Rossis Stern schon sinken, wie es nach elf Jahren im WM-Zirkus nicht ungewöhnlich wäre, doch 2008 schlug der Doktor wieder zu und sicherte sich frühzeitig WM-Titel Nr. 8, im Jahr 2009 erkämpfte sich Rossi seinen bislang letzten Weltmeistertitel.

Brennt immer noch für seinen Sport

Das ist zehn Jahre her und auch wenn er noch dreimal Vize-Weltmeister wurde, hätten wohl viele andere Fahrer die Durststrecke zum Anlass genommen, um aufzuhören. Doch auch hier erweist sich Rossi als Ausnahme: Er brennt immer noch für seinen Sport, er will unbedingt weiter Rennen fahren. Niemand bezweifelt, dass Rossi auch diese Saison auf allerhöchstem Niveau fahren und für Siege in Frage kommen wird, doch andererseits bestätigt er selber in Interviews, dass es ihm nicht mehr so leicht fällt wie früher. Regenerationsphasen dauern länger. Er fährt gegen Konkurrenten, die seine Kinder sein könnten.

Er setzt dagegen seine immense Erfahrung und akribische Vorbereitung. In der Öffentlichkeit wird über Valentino Rossi gern das Bild des unbekümmerten Partygängers verbreitet. Es stimmt zwar, dass er gerne mit Freunden feiert, aber es gibt auch einen anderen Valentino und der ist ein knallharter Arbeiter. Rossi ist zudem ein brillanter Entwickler, er verbringt oft Stunden mit seinen Mechanikern, um Daten seiner Testfahrten akribisch auszuwerten und Verbesserungen zu erarbeiten. Wenn er in die Box kommt, hat er ein Bündel konkreter Wünsche für sein Motorrad von denen er ganz genau weiß, dass sie ihn weiterbringen. Talent alleine reicht in der MotoGP eben nicht, Rossi ist hochdiszipliniert und konzentriert sich voll auf seinen Job.

Medien-Profi

Wohl niemand im Motorradrennsport hat die Medien stets so geschickt für sich genutzt und die psychologische Kriegsführung auf ein so hohes Level gehoben wie Rossi. Mal gibt es einen Seitenhieb gegen einen Konkurrenten in der Pressekonferenz, mal hält er sich im Training absichtlich zurück, um seinen wahren Leistungsstand zu verschleiern, manchmal reicht schon ein selbstsicheres Grinsen in der Startaufstellung zum Nachbarn, um diesen nervös zu machen.

Die Liste seiner großen Gegenspieler umfasst illustre Namen, zu Beginn von Rossis Karriere war es zum Beispiel der viermalige Weltmeister Max Biaggi, dem der Ruf der Überheblichkeit anhaftete. Rossis spitze Bemerkungen und fahrerisches Talent ließen Biaggi verzweifeln, einmal kam es sogar zu einem kurzen Faustkampf auf dem Weg zum Podium. Danach bekam Sete Gibernau die Rache von Rossi zu spüren, als der Spanier – bis dahin eher freundschaftlich mit ihm verbunden – ihn 2004 bei der Rennleitung vor dem GP von Quatar denunzierte (jemand aus Rossis Team hatte den Startplatz mit dem Besen gefegt für besseren Grip) und Vale in die hinterste Startreihe verbannt wurde. Rossi demontierte Gibernau in der Folgezeit nach allen Regeln der Kunst, bis heute unvergessen sein legendäres Manöver in der allerletzten Kurve beim GP von Jerez 2005, als er Gibernau mit einem Blockpass von der Strecke schubste und gewann. Anschließend lief es beim Mitfavoriten Gibernau überhaupt nicht mehr, ein Jahr später gab er seinen Rücktritt bekannt.

Rossis psychologische Spielchen funktionierten allerdings nicht immer, an Casey Stoner, fahrerisch ein wahrscheinlich noch größeres Talent als Vale, prallten alle provokanten Bemerkungen ab. Der junge Australier wurde 2007 auf der als fast unfahrbar geltenden Ducati Weltmeister. Als Rossi 2011 zu der italienischen Marke wechselte, läutete er den Tiefpunkt seiner Karriere ein. Er kam mit der Ducati nie zurecht, kämpfte verbissen und verletzte sich dabei zum ersten Mal in seiner Karriere schwer: Er brach sich bei einem Sturz das Bein, während Stoner sich erneut den Titel auf Honda holte. Nach zwei Jahren kehrte „The Doctor“ zu seinem alten Arbeitgeber Yamaha zurück.

Rossi ist für seine Fans unantastbar

Die Fans verzeihen Vale alles, nicht nur wegen seiner Rennerfolge. Er unterhält sein Publikum nach siegreichen Zieldurchfahrten mit lustigen Einlagen neben der Strecke, vergisst nie seine Fan-Tribüne zu grüßen und lacht in jede Kamera, die sich auf ihn richtet. Rossi weiß Loyalität zu schätzen, einige seiner Mechaniker schrauben bereits seit rund zwei Jahrzehnten für ihn.

Seinem Helmhersteller AGV und dem Lederkombi-Hersteller Dainese hält er schon seit seinem Karrierebeginn die Treue. Am wichtigsten ist Vale aber sein engster Freundeskreis, allen voran Alessio „Uccio“ Saluccio, der schon seit Schulzeiten sein bester Freund und Unterstützer ist – er fehlt bei keinem Rennen. Anscheinend kann Rossis Beliebtheit nichts anhaben, nicht einmal der Neid als bestverdienender Motorradrennfahrer. Als ein Berater ihn drängte, seinen offiziellen Wohnsitz nach London zu verlegen, um Steuern zu sparen, kam ihn der italienische Fiskus auf die Schliche. Es war für das Finanzamt nicht schwer nachzuweisen, dass Vale überwiegend in seinem Heimatort Tavullia lebte und forderte Steuernachzahlungen für 112 Millionen Euro Einnahmen. Man einigte sich schließlich auf 35 Millionen Euro Strafe, die italienischen Fans regten sich jedoch nur über das Finanzamt auf und nahmen ihren Vale stets in Schutz.

Die Firma VR46

Spätestens seitdem nimmt Rossi alle geschäftlichen Angelegenheiten selber in die Hand. Er war schon immer ein Kontrollfreak: An seinem ersten Rennmotorrad ließ er keinen Mechaniker die Aufkleber und Sponsoren-Logos anbringen, sondern bestand darauf, es selber zu machen – da war Valentino gerade zwölf Jahre alt. 2008 gründet Rossi seine Firma VR46 in Tavullia und produzierte seine Merchandising-Artikel selber. Damit war er nicht nur seiner eigener Boss, sondern auch Werbeträger. Das machte er so erfolgreich, dass bald andere Fahrer – seinen Konkurrenten – ihre Fanartikel auch bei VR46 produzieren ließen. Heute macht die Firma 20 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Seine Heimatstadt Tavullia lebt vom Rossi-Fieber, überall im kleinen Ort nahe der Adriaküste ist die Nummer 46 präsent und die Touristen strömen stetig.

Hier gründet Valentino 2013 auch die „VR46 Riders Academy“, nach dem Vorbild der berühmten Trainings-Ranch von Ex-Weltmeister Kenny Roberts in Kalifornien. Rossi ärgerte es damals, dass in der Motorrad-WM fast nur noch Spanier Ton angebend waren, die einst stolze Racer-Nation Italien hatte kaum noch einen Top-Fahrer vorzuweisen. Auf der iberischen Halbinsel gab es hingegen seit langem eine umfassende Nachwuchsförderung, die größten Talente wurden gezielt auf die MotoGP vorbereitet. So etwas wollte Rossi auch für Italien haben und wer wäre besser für die Sichtung und Ausbildung junger Talente geeignet, als der neunfache Weltmeister? Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, dieses Jahr werden mit Moto2-Weltmeister Franco Morbidelli und Francesco Bagnaia gleich zwei seiner Schüler in die MotoGP aufsteigen. Sie machen ihrem Meister damit direkte Konkurrenz, doch Rossi ist stolz auf sie und hat in der Academy immer noch viel Spaß mit seinen Eleven, etwa beim Wett-Driften auf seinem privaten Flat-Track-Kurs. Für die Nachwuchstalente ist Rossi Idol, Lehrer und Kumpel in einer Person. Die Rennerei liegt Rossi einfach im Blut: Wenn er in seiner knapp bemessenen Freizeit ausspannen will, fährt er gerne in einem WRC-Auto auf der Monza Rally Show mit – bislang kann er sieben Siege vorweisen.

Allround-Talent

Wie er all seine Funktionen – Rennfahrer, Academy-Leiter, Werbeträger und Boss seiner Merchandising-Firma – unter einen Hut bringt? In dem er strikt zwischen allem trennt. Wenn er zu Tests oder einem GP reist, ist er hundertprozentig darauf fokussiert. Seine Firma hat er mit seinen engsten Freunden besetzt, denen er zwar vertraut, aber dennoch von ihnen verlangt, dass sie ihm regelmäßig Rapport stehen und keine Entscheidungen ohne sein „okay“ fällen. Außerdem trainiert er täglich. Rossi mag eigentlich keine Fitness-Studios und quält sich dennoch regelmäßig in ihnen, doch viel lieber trainiert er auf allem, was zwei Räder und einen Motor hat, egal ob beim Motocross, Flat-Track oder Trial.

So gesprächig und schlagfertig Rossi auch bei Pressekonferenzen ist, gibt er kaum Interviews abseits der Rennstrecken. Über sein Privatleben redet er schon gar nicht. Bekannt ist, dass er mit der 15 Jahre jüngeren Francesca Sofia Novello liiert ist. Das angehende Modell stand 2016 als Grid Girl neben ihm, als es gefunkt hat. Von einem Vierzigjährigen erwarten die Italiener natürlich, dass er verheiratet ist und Bambini in die Welt setzt. Doch Rossi winkt ab, daran würde er frühestens nach seiner Rennfahrerkarriere denken.

Angst vor dem Karriereende

Vor dem Karriereende Rossis graut es hingegen dem MotoGP-Vermarkter Dorna jetzt schon. Sie wissen genau, dass ohne Vale der Rennzirkus sein Zugpferd verliert. Niemand im Starterfeld hat mehr Anhänger, kein anderer Motorradrennfahrer hat selbst unter der nicht-Motorrad-affinen Bevölkerung diesen Bekanntheitsgrad wie Rossi. Zu jeder Rennstrecke auf diesem Planeten pilgern Massen von Fans im neongelben Rossi-Outfit – von Malaysia bis Argentinien, von Japan bis Australien – um ihr Idol zu zelebrieren.

Niemand ist in Sicht, der ihn als Publikumsmagnet ersetzen könnte, auch nicht der Überflieger Marc Márquez. Noch hat die Dorna Zeit, sich etwas einfallen zu lassen: Rossis Vertrag mit Yamaha läuft bis 2020 und Vale beabsichtigt, auch mit 41 noch Rennen zu fahren – um vielleicht doch noch seinen zehnten WM-Titel zu holen.


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