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Motorradfahrer sollen sich vor der Saison fit machen. Warum?

Fitnesswahn

Klartext Florian Pillau
Zweirad

Jedes Frühjahr werden Kradfahrer mit erhobenem Zeigefinger aufgerufen, unbedingt Sport zu treiben, bevor sie sich nach der Winterpause wieder auf ihr Zweirad schwingen. Liebe Bedenkenträger, was glaubt ihr, was wir Motorradfahrer bei den ersten warmen Tagen im Frühling machen?

Jedes Frühjahr kommt von diversen Institutionen die gebetsmühlenartige Warnung: Motorradfahrer müssen fit sein für die kommende Saison! Mit erhobenem Zeigefinger werden Kradfahrer aufgerufen, unbedingt Sport zu treiben, bevor sie sich nach der Winterpause wieder auf ihr Zweirad schwingen. Liebe Bedenkenträger, was glaubt ihr, was wir Motorradfahrer bei den ersten warmen Tagen im Frühling machen? Gehirn ausschalten, mit Vollgas aus der Garage starten und in maximaler Schräglage um die erste Kurve rasen? Oder direkt eine Zehn-Stunden-Marathonfahrt absolvieren?

Dennoch ebbt der Strom der Mahner nicht ab. Die Deutsche Verkehrswacht rät allen Ernstes zu „Lauf- oder Radtraining, Zirkeltraining und Cardio-Übungen im Fitnessstudio“, als wären sie unsere Personal Fitness-Coaches. Es kommt noch besser: „Liegestützen und Sit-ups sind effiziente Übungen, um die für das Motorradfahren wichtige Körperspannung zu trainieren“. Wer aber angespannt auf einem Motorrad hockt, macht etwas grundsätzlich falsch, wie schon der Psychologe, Fach-Autor und bekennender Motorradfan Bernt Spiegel in seinem Werk „Die obere Hälfte vom Motorrad“ erklärt. Es geht ganz im Gegenteil darum, möglichst entspannt sein Zweirad zu steuern. Motorradfahren hat nichts mit aufgepumpten Muskeln zu tun. Selbstverständlich ist gegen körperliche Fitness nichts einzuwenden, aber unsportlichen oder gar übergewichtigen Menschen zu unterstellen, sie wären nicht in der Lage, sicher ein Motorrad zu führen, grenzt an Diskriminierung.

Erfahrung und Umsicht verhindern Unfälle

Der deutsche Durchschnittsmotorradfahrer nähert sich deutlich der 50, hat meistens etliche Kilo zuviel auf den Hüften und würde wahrscheinlich beim Zirkeltraining nach wenigen Minuten nach einem Sauerstoffzelt japsen. Ist er deshalb nicht mehr in der Lage, ein Motorrad im Frühjahr zu fahren? Wer sich zu Saisonbeginn auf den Landstraßen umsieht, wird überwiegend Zweiräder sehen, deren Fahrer sich bereits im fünften Jahrzehnt befinden, einen Body-Maß-Index weit oberhalb des Durchschnitts aufweisen und wahrscheinlich keine zehn Sit-ups hinbekommen, aber ihr Motorrad mit traumwandlerischer Sicherheit bewegen. Warum? Langjährige Erfahrung und Risikobewusstsein!

Es grenzt schon an Rufschädigung, dass den Motorradfahrern stets Unverantwortlichkeit und Unfähigkeit unterstellt wird. Die überwältigende Mehrheit fährt umsichtig, hält sich an Verkehrsregeln und trägt komplette Schutzkleidung. Natürlich gibt es auch unter den Zweiradlern schwarze Schafe, aber hält man es dem durchschnittlichen deutschen Autofahrer vor, dass einige Jungspunde und übertrieben ehrgeizige Autobesitzer eifrig zu den Bußgeld- und Unfallstatistiken beitragen?

Konzentration statt Muskeln

Der TÜV Süd rät sogar „Bikern, sich mit Mountainbike-Fahren wieder in Form zu bringen.“ Mal abgesehen davon, dass wohl nur ein Bruchteil aller Motorradfahrer über ein Mountainbike verfügt, erhebt sich doch gleich die Frage, wie sie sich im Winter für die nicht ganz ungefährliche Sportart Mountainbiken fit machen sollen. Oder drohen hier keine Stürze im Gelände oder Unfälle im Straßenverkehr bei schlechten Witterungsverhältnissen?

Wer mit dem Motorrad am Straßenverkehrt teilnimmt, braucht dazu weniger seine Muskeln, sondern viel mehr Konzentration und Routine. Die bekommt er aber nicht in der Mucki-Bude, sondern erstaunlicherweise im Straßenverkehr. Einen ganz tollen Tipp hat der TÜV Süd für schwabbelige Arme parat: „Die beim Motorradfahren besonders beanspruchte Muskulatur von Handgelenken, Unterarmen und Fingern lasse sich durch Kneten eines Tennisballs trainieren.“ Solche Ratschläge führen eher zu Sehnenscheidenentzündungen.

Warum warnen die Verkehrsexperten nicht auch Autofahrer, dass sie vor dem Wintereinbruch dringend Sport treiben müssten, um fpr Gefahren des Schnees gewappnet zu sein? Etwa nach dem Motto: Wenn der Wagen plötzlich bei Glatteis wegrutscht, muss schnell gegengelenkt werden – mit unterentwickelten Armmuskeln kann man das Auto aber nicht mehr beherrschen. Oder: Wer Übergewicht hat, kann nicht fit genug sein, um sich längere Zeit bei Schneefall zu konzentrieren. Solche und ähnliche blödsinnigen Gedankenspiele würde sich jeder Autofahrer zu Recht verbeten, aber Motorradfahrer werden mit unausgegorenen Ratschlägen derartig überschüttet, dass man sich kaum noch auf sein motorisiertes Zweirad traut. Muss ich vorher nicht erst das Sportabzeichen machen? Oder einen Marathon absolvieren, um ganz sicher zu sein, dass ich mein Motorrad sicher beherrsche?

Ursachenforschung

„Vor jeder Ausfahrt aufwärmen und Muskulatur lockern“, rät die Deutsche Verkehrswacht. Werden die für solche genialen Ratschläge wirklich bezahlt? Hört sich eher wie Werbung der Krankenkassen an. Außerdem wird angeraten, zu Beginn der Saison noch ein Fahrertraining zu absolvieren und praktischerweise bietet die Deutsche Verkehrswacht solche gleich selber an – gegen Gebühr, versteht sich. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Fahrertrainings sind sinnvoll und absolut empfehlenswert, besonders für Fahranfänger. Denn hier bekommen sie das Verhalten in Gefahrensituationen beigebracht, was die Fahrschulen kaum vermitteln können. Es aber als Voraussetzung für alle Motorradfahrer anzupreisen („nicht nur das Motorrad sollte zum Saisonstart fahrtüchtig gemacht werden“), hat einen faden Beigeschmack, schließlich verdient die Verkehrswacht daran. Wer sich selber nicht sicher auf dem Motorrad fühlt, sollte unbedingt ein Fahrsicherheitstraining machen, aber wer es als halbwegs routinierter Biker ruhig und konzentriert im Frühjahr angehen lässt, dürfte keinem gesteigerten Gefahrenpotenzial ausgeliefert sein.

Gewisse Institutionen und auch die Medien weisen gerne auf die Motorrad-Unfallzahlen im Frühling hin, dabei liegen die Ursachen seltener an mangelnder Fitness, als vielmehr an schlechter Witterung und falscher Gefahreneinschätzung. Ein übergewichtiger Sportmuffel mit einem Jahrzehnt Motorraderfahrung bewegt sich um Welten souveräner und sicherer mit seinem Bike im Straßenverkehr als ein durchtrainierter Fitnessfanatiker mit einem Jahr Fahrpraxis. Laut ADAC-Statistik werden nur 30 Prozent aller Motorradunfälle von den Fahrern selbst verschuldet. Das bedeutet, dass die Biker viel besser als ihr Ruf sind, denn in zwei von drei Fällen werden sie von anderen Verkehrsteilnehmern vom Motorrad geholt. Die meisten Motorradunfälle passieren statistisch übrigens Sommer. Sollen das etwa auch noch die Spätfolgen des versäumten Sporttrainings im Winter sein?


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