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The race must go on

Nachruf: Motorradrennfahrer William Dunlop ist tot

News iga
William Dunlop

Der bekannte Motorradrennfahrer William Dunlop starb bei einem „Road Race“, einem Rennen auf abgesperrten Straßen. Wer ein Ende dieses lebensgefährlichen Anachronismus erwartet, wird bei den Teilnehmern und Fans auf völliges Unverständnis stoßen. The race must go on

Der Motorradrennfahrer William Dunlop ist tot. Er starb bei einem „Road Race“, einem Rennen auf abgesperrten Straßen. Die Road Races haben in Großbritannien und Irland eine lange Tradition und erfreuen sich immer noch großer Beliebtheit. Die Meldung über Dunlops Tod erschien sogar in den wichtigsten deutschen Nachrichtenportalen, was insofern bemerkenswert ist, weil fast jedes Jahr bei den Rennen Fahrer ums Leben kommen, hierzulande aber keines Wortes gewürdigt werden. Doch William Dunlop war nicht einer der unbedeutenden Fahrer, sondern entstammte der wohl berühmtesten Road-Racer-Familie. Wer jetzt ein Ende des Sports erwartet, wird bei den Teilnehmern und Fans auf völliges Unverständnis stoßen. The race must go on.

Road Racing ist der spektakulärste Sport der Welt, behaupten die einen. Die anderen halten es für einen lebensgefährlichen Anachronismus, der verboten gehört. Beide Parteien haben Recht. Es ist schwer, das Phänomen zu erklären, wenn man noch nie ein Road Race gesehen hat. Die Fahrer rasen mit PS-starken, speziell vorbereiteten Sportmotorrädern über öffentliche Straßen, die für die Rennen vorübergehend gesperrt werden. Es geht mit Vollgas durch die Dörfer, oft nur Zentimeter an Mauern und Weidezäunen vorbei. Überall lauern Bordsteine und Gullydeckel darauf, die Fahrer zu Fall zu bringen können.

Die kleinste Unachtsamkeit kann den Tod bedeuten. Das berühmteste Road Race ist die Tourist Trophy (TT) Isle of Man in der Irischen See. Sie wird seit 1907 ausgetragen und für die Inselbewohner sind die zwei Wochen nicht nur der Höhepunkt des Jahres, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle. Rund 35.000 Road Racing-Fans lassen sich dafür per Fähre auf die Insel schippern, die meisten reisen mit dem eigenen Motorrad an, um die Rennen zu sehen, am Streckenrand auf einer Wiese oder auf einer Mauer hockend den Wahnsinn zu erleben, sich mit Besuchern aus aller Welt zu unterhalten, abends an der Promenade von Douglas oder Ramsey ein Bier zu trinken und im Fahrerlager ganz zwanglos mit den Fahrern ein paar Worte zu wechseln. Rennsport zum Anfassen, ohne Allüren, mit echter Leidenschaft – hier gibt es ihn noch.

Das berühmteste Road Race der Welt

Die Rennen zur TT Isle of Man werden in acht verschiedenen Klassen ausgetragen, viele Fahrer starten mehrfach. Natürlich kann man nicht einfach so bei der TT fahren, die teilnehmenden Teams suchen sich ihre Fahrer genau aus. Die Auserwählten müssen schon viel Rennerfahrung haben und dennoch bereit zum Lernen zu sein, denn Road Racing und Rundkursrennen mit Auslaufzonen und Kiesbetten sind vom Fahrstil grundverschieden. Hitzköpfe oder Größenwahnsinnige haben keine Chance.

Der Kurs ist über 60 Kilometer lang und führt quer durch die Insel, entlang der Küste und über die Berge, den berüchtigten Mountain Course. Von den über 150 Teilnehmern gehören neun zum erlauchten Kreis des „132 mph Club“, die eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 132 Meilen pro Stunde (212 km/h) erreichten. Im Topspeed schaffen die 1000er-Superbikes Tempo 320 auf den Geraden.

Die Insel liegt in der rauhen Irischen See – Sturm, Regen und Nebel können jederzeit auftreten. Wenn in der Hauptstadt Douglas die Sonne lacht, kann es in den Bergen heftig schauern. Eine plötzliche Windbö kann ein Motorrad schlagartig von der Ideallinie drücken. Auf der TT werden Helden geboren und hier sterben Helden. Fast jedes Jahr kommt es zu Toten. Die Nachricht rast dann wie ein Lauffeuer über die Insel und es passiert, dass selbst gestandene Biker in wettergegerbten Lederjacken an der Strecke in Tränen ausbrechen. Sie trauern um ihre Helden.

Talent alleine reicht nicht

Die Männer, die hier teilnehmen, beweisen unfassbaren Mut, Talent alleine reicht nicht. Kein geringerer als der neunfache Motorradweltmeister Valentino Rossi war 2009 während der TT auf der Isle of Man und fuhr zu Werbezwecken seines damaligen Arbeitgebers Yamaha eine Runde außerhalb des Rennens hinter Giacomo Agostini her, bis heute Rekordweltmeister, der in den 1960er und 70er Jahren selber noch an der TT teilgenommen hatte. Rossi zeigte sich schwer beeindruckt und ihm war schleierhaft, wie man sich eine so lange Strecke merken konnte.

Genau hier liegt eines der Geheimnisse: Die Topfahrer kennen jeden Quadratzentimeter der Strecke. Sie wissen auch, wie sie sich über den Winter verändert hat: Ein Riss im Asphalt hier, eine weitere Welle da, ein paar Meter, die neu geteert wurden. Wenn sie mit Vollgas durch eine schattige Allee mit rasend schnell wechselnden Lichtverhältnissen fahren oder in maximaler Schräglage in eine unübersichtliche Kurve stechen, ist exakte Streckenkenntnis ihre Lebensversicherung.

Road Racer sind anders

Lebensmüde Draufgänger? Ganz sicher nicht! Wer die besten Road Racer kennenlernt, wird überrascht sein, wie vernünftig, nachdenklich und absolut lebensbejahend sie sind. Der 23fache Champion der TT Isle of Man, John McGuiness, zum Beispiel ist ein besonnener, eher zurückhaltenden Mensch, der sich seine Worte meist ganz genau überlegt. Der 46jährige kommt aus dem englischen Küstenort Morecambe, gleich gegenüber der Isle of Man, und ist am liebsten Zuhause bei seiner Familie. Von Fitnesstraining hält er nicht viel, wohl aber von akribischer mentaler Vorbereitung.

Oder Guy Martin, eine ausgesprochene Frohnatur, der viel lacht und sogar regelmäßig Fernsehshows in England moderiert, dabei arbeitet er immer noch in seinem Job als Lkw-Mechaniker. Obwohl er seit Jahren zu den Topfahrern gehört und achtmal den Ulster GP gewonnen hat, konnte er bis heute noch keinen Sieg bei der TT verbuchen. Dennoch versucht er es jedes Jahr aufs Neue, aufgeben ist nicht sein Stil. Nur 2016 hat er die TT ausfallen lassen zugunsten eines 4300 Kilometer langen Mountainbike-Rennens in den Rocky Mountains. Er kam nach 18 Tagen als einer der schnellsten Teilnehmer an.

Oder Ian Hutchinson, Sympathieträger und einziger Fahrer, der je alle Rennen innerhalb einer TT-Woche gewinnen konnte. Er zog sich bei einem Sturz komplizierte Knochenbrüche zu. Die Ärzte wollten ihm deshalb das Bein amputieren, doch Hutchy, wie ihn seine Fans liebevoll nennen, ließ es nicht zu und kämpfte sich zurück, bis er wieder an der TT teilnehmen konnte – und erneut gewann. Alle Road Racer wissen genau, dass sie bei ihrem Sport sterben können und leben dabei vielleicht intensiver als jeder andere.

Erst Absage, dann tödlicher Unfall

Jetzt kam William Dunlop am 7. Juli 2018 bei einem Trainingslauf zu den Skerries 100, einem Road Race nördlich von Dublin, durch einen Sturz bei hoher Geschwindigkeit ums Leben. Dabei hatte der 32jährige Ire seine Teilnahme an der TT Isle of Man einen Monat vorher noch kurz vor dem Rennen abgesagt, weil seine Frau hochschwanger war und es zu Komplikationen kam. Er war einer der Favoriten und trotzdem hatte alle Verständnis dafür, noch nicht einmal sein Teamchef machte ihm Vorwürfe.

Im Road Racing geht es familiär zu. Bei der TT fährt man gegen die Uhr, im Fahrerlager tauscht man sich über die gemachten Erfahrungen aus. Selbst die Topfahrer helfen wie selbstverständlich den Hinterbänklern mit Ratschlägen, Werkzeug oder einfach nur einem Bier. William Dunlop galt überall als sehr beliebt – und sehr schnell. Das musste wohl in seinen Genen liegen, denn die Dunlops aus dem beschaulichen nordirischen Ballymoney gelten als die erfolgreichste Road Racer-Familie aller Zeiten. Williams Vater Robert gewann fünfmal bei der TT Isle of Man und holte zahlreiche Siege bei anderen Road Races. 2008 starb er beim Rennen zur North West 200, nur wenige Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt.

Die Legende Joey Dunlop

Doch das berühmteste Familienmitglied der Dunlops ist Roberts Bruder Joey. Unter den Road Racern gilt er als die Legende schlechthin und war zweifellos der beliebteste Motorradrennfahrer sowohl bei den Iren, als auch bei den Briten – was etwas heißen will. Er hält bis heute mit 26 Siegen den Rekord auf der TT Isle of Man, er gewann 23 Mal den Ulster GP und 13 Mal die North West 200, außerdem war er von 1982 bis 1986 fünfmal in Folge TT-F1-Champion. Überall, wo der gelbe Helm auf dem Motorrad mit der Startnummer 3 auftauchte, brandete Jubel an der Strecke auf.

Dabei war Joey Dunlop ein bescheidener, eher wortkarger Typ, der im heimischen Ballymoney einen Pub betrieb. Er fuhr alleine mit seinem alten Transporter quer durch Europa zu den Road Races, die er regelmäßig gewann. Auf dem Weg durch den Osten Europas nahm er oft die in Ballymoney gesammelten Kleiderspenden mit, um sie in Rumänien, Bosnien und Albanien an die Ärmsten zu verteilen. Er war für alle einfach nur Joey, er hasste es, wenn Aufhebens um seine Person gemacht wurde. Er sagte einmal: „Ich wollte nie ein Superstar sein. Ich wollte einfach nur ich selbst sein. Ich hoffe, dass die Leute sich einmal so an mich erinnern werden.“

Dabei gab es nicht wenige, die sich um ihn rissen. Er gewann 1977 sein erstes Rennen bei der TT Isle of Man und 1983 war es keine geringere Marke als Weltmarkführer Honda, die dem Ausnahmetalent einen Vertrag als Werksfahrer anbot. Er willigte ein, bat sich jedoch aus, dass er selber an den sündhaft teuren Rennmotorrädern schrauben wollte. Honda war zunächst nicht begeistert, doch Joey machte den japanischen Bossen klar, dass er sein Leben nicht in fremde Hände legen würde und sie willigten schließlich ein. Sie sollten es nicht bereuen, Joey holte fortan sämtliche Siege auf Honda. In Japan genießt die TT Isle of Man sehr hohes Prestige, ein Gewinn bedeutet für das betreffende Motorradmodell einen deutlichen Verkaufsschub.

Tod im Rennen

Road Racing war Joeys Leben, selbst mit 48 dachte er nicht ans Aufhören und gewann im Jahr 2000 noch drei Rennen bei der TT Isle of Man. Doch nur einen Monat später startete er bei einem Road Race in Estland. Bei Regen kam er in einer Kurve von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Er war sofort tot. Ganz Irland und Großbritannien trug Trauer, vor seinem Pub in Ballymoney breitete sich ein Blumenmeer aus, das 50.000 Fans aus aller Welt dort niedergelegt hatten. Joey hatte in seiner langen Karriere viele haarsträubende Stürze gehabt, doch immer überlebt und galt fast schon als unsterblich. Sein Tod nach 23 Jahren Road Racing machte die Menschen fassungslos.

Seine Frau, seine fünf Kinder, seine Mutter und seine Geschwister waren tiefbestürzt und trauerten um ihn. Doch der Gedanke, deshalb das Rennfahren aufzugeben, kam weder seinem Bruder Robert, noch seinem Sohn Sam oder seinen beiden Neffen William und Michael. Als Robert Dunlop acht Jahre später beim Training zu den North West 200 tödlich verunglückte, nahm dessen Sohn Michael am Rennen teil – nicht trotzdem, sondern jetzt erst recht – und gewann. Er widmete seinen Sieg dem kurz zuvor verstorbenen Vater. In den folgenden Jahren reifte Michael zu einem der besten Road Racer heran und holte bis heute zahlreiche Siege. Dass sein Bruder William nun auch der Tod beim Rennen ereilt hat, wird ihn nicht davon abhalten, weiter mit Vollgas über die Landstraßen zu jagen. Doch nicht nur die Road Racer, sondern auch die Fans hegen ein intensives Gemeinschaftsgefühl. Als für die Witwe und Kinder von William Dunlop zu einer Spendenaktion aufgerufen wurde, kamen innerhalb weniger Tage 25.000 Britische Pfund zusammen.

Intensität des Lebens

Wer die Dunlops jetzt als Wahnsinnige bezeichnet, sollte bedenken, dass Road Racing ihre Familientradition ist und mit hohem Prestige und nicht zuletzt auch gutem Einkommen verbunden ist. Es gibt in den Alpen Familiendynastien von Bergsteigern, die schon mehr als einen Verwandten am Berg verloren haben. Auch sie kämen nie auf die Idee, deshalb mit dem Klettern aufzuhören. Basejumper stürzen sich an einem Fallschirm von hohen Gebäuden, Tech-Diver tauchen in hundert Meter Tiefe, Ultramarathonläufer nehmen an Wüstenrennen und Reiter an Querfeldein-Rennen teil. Alles Sportarten mit hohem Risiko. Sind sie deshalb verrückt? Oder sind sie vielmehr auf der Suche nach einer Intensität des Lebens, die ihnen sonst verwehrt bleibt?

William Dunlop starb bei dem, was er am liebsten tat. Sein Tod macht ihn nun unter den Road Racern unsterblich.


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