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Wie Licht, Software und „Physical Apps“ für eine neue Art der Individualisierung sorgen sollen

Privatinitiative: Visteons Car-Sharing-Auto "e-Bee"

Technik Gernot Goppelt

Die Autobranche rechnet für die Zukunft mit mehr Car-Sharing-Konzepten. Das stellt neue Anforderungen an die Entwicklung von Autos. Visteon stellt ein Konzeptfahrzeug vor, bei dem Licht, Software und „Physical Apps“ für eine neue Art von Heimeligkeit sorgen

München, 20. November 2012 – Wenn Automobilzulieferer ein Konzeptfahrzeug vorstellt, richtet sich das weniger an den Endkunden – die Automobilhersteller sollen beeindruckt werden. Interessant sind solche Konzeptautos dennoch, weil die Zulieferer weitaus mehr zur Entwicklung neuer Fahrzeuggeneration beitragen, als man manchmal meint. Auch der „e-Bee“ des Zulieferers Visteon – vorgestellt auf der diesjährigen Elektronikmesse Electronica – zeigt, was uns in zukünftigen Autos erwarten könnte.

Das öffentliche Auto

Der e-Bee illustriert außerdem, was Visteon überhaupt macht: Der im Jahr 2000 aus der Ford Motor Company ausgegliederte Zulieferer ist vor allem in den Bereichen Audio und Infotainment, Fahrzeugelektronik, Interieur und Klimatisierung tätig. Oder wie es ein Visteon-Vertreter bei der Vorstellung des e-Bee sagte: „Wir machen alles, was man im Auto bedienen kann“. Der e-Bee soll zeigen, wie ein Auto im Jahr 2020 aussehen könnten. Das betrifft zum Beispiel die Umweltfreundlichkeit – Visteon setzt recycelte und „biobasierte“ Harze und Hybridmaterialien aus natürlichen Fasern sowie wiederverwertbare Polypropylen-Materialien ein. Wichtiger ist aber ein Gedanke, mit dem sich derzeit praktisch alle Automobilhersteller befassen, der Bedeutung von Car-Sharing für das Design eines Autos.

Was hat Car-Sharing mit dem Fahrzeugkonzept zu tun? Eine Menge: Car-Sharing bedeutet zunächst einmal, dass man ein Auto nicht mehr besitzt. Damit fällt weitgehend die Möglichkeit zur Individualisierung weg, für die es andererseits scheinbar eine Art natürliches Bedürfnis gibt. Warum sonst wird so viel Gehirnschmalz in das individuelle Design und Tuning gesteckt, warum sonst stellt man Wackeldackel auf die Hutablage oder schnallt sich hartgummiartige Flachreifen an seinen Polo? Das alles geht mit einem Leihwagen nicht, weshalb Visteon nach anderen Möglichkeiten der Individualisierung sucht.

Apps mal anders

Der Zulieferer unterscheidet dabei im e-Bee nach Region, Fahrzeughalter und Nutzer. „Region“ bedeutet, dass der Fahrzeuginnenraum zwar prinzipiell immer gleich ist, aber das Bedienkonzept jeweils angepasst werden kann. Das betrifft die Anzeigeelemente, wo dies relativ einfach per Software bewerkstelligt werden kann, aber auch Stauraumoptionen oder die Qualität und Ausführung der Oberflächen. Der „individuelle Fahrzeughalter“ wird durch einfach installierbare Module berücksichtigt, die aufgehängt oder eingesteckt werden können, Ähnliches bietet Mini heute bereits beim Country- und Paceman. Visteon stellt sich vor, dass man zukünftig kabellose Ladegeräte, Kameras, Getränkehalter usw. auf diese Weise individuell installieren kann – so genannte „Physical Apps“. Der „individuelle Nutzer“ schließlich kann zum Beispiel Nutzerpräferenzen abrufen, die in der Cloud gespeichert sind, er kann eine persönliche Darstellung der Touch-Screen-Flächen und Instrumente einstellen oder deren Farbe wählen – das gilt sogar für die LED-Beleuchtung, über die sich ein persönliches Ambiente realisieren lässt. Man könnte verkürzt sagen, dass der Autofahrer es sich per Knopfdruck gemütlich machen kann, obwohl ihm das Fahrzeug nicht gehört.

Zudem macht sich Visteon Gedanken über eine bessere Raumausnutzung, ohne dabei funktionale Nachteile zu erzeugen. Das Klimamodul, in dem Heizung, Lüftung und Klimaanlage integriert sind, ist im Motorraum untergebracht – zumindest bei einem Elektroauto ist das thermisch kein Problem. Die Airbags sind im Dachhimmel untergebracht. Eine Instrumententafel im herkömmlichen Sinne ist deshalb nicht notwendig, Das wiederum schafft mehr Platz für die Insassen und für die bereits erwähnten „Physical Apps“.

Ein Detail fiel uns auf, dass ein bisschen aus diesem Rahmen fällt, aber sicherlich manchen Autofahrer erfreuen würde: Die Lautsprecher sind in die Kopfstützen eingebaut, mit mehreren Vorteilen: Man kann sich beschallen lassen, ohne dass andere Insassen allzu sehr gestört werden. Solange man den Kopf einigermaßen ruhig hält, erhält man ein hervorragendes Stereo-Panorama. Sicherlich ist es etwas merkwürdig, wenn die Klangbühne hinter dem Kopf aufgebaut wird und das lässt sich mit elektronischen Tricks wohl auch nur zum Teil korrigieren. Dennoch wären die Kopfstützenlautsprecher eine interessante Alternative zu einem Kopfhörer, der aus Sicherheitsgründen im Auto nicht vertretbar ist.

Wo steht mein Leihwagen?

Visteon ist nicht der erste Zulieferer oder Entwicklungsdienstleister, der das Car Sharing zu Thema macht. Schon Anfang 2011 stellte der Entwicklungsdienstleister EDAG die Studie „Light Car Sharing [1]“ vor, mit einem etwas anderen Fokus freilich: Innen ist das Fahrzeug vor allem geräumig und pflegeleicht, außen aber arbeitet EDAG mit Lichtsignalen, die zeigen, ob ein Auto gerade „zu haben“ ist. Irgendetwas in dieser Art wird man in Zukunft auch benötigen, wenn sich das Car-Sharing wirklich im großen Stil durchsetzen sollte. Schon das real existierende Car2Go-Projekt von Smart zeigt, dass der gesamte Verkehrsraum zum Parkraum werden kann, sodass man Methoden benötigen wird, um ein freies Autos schnell zu finden.


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