zurück zum Artikel

Mercedes-Technik pflanzten einen modernen Dieselmotor in den Baby-Benz

Probefahrt im Mercedes 190 D Blue Efficiency

News ggo

Mercedes-Benz erklärt die Fortschritte auf besonders originelle Weise: Im 190 D Blue Efficiency, eigentlich ein Exemplar von 1992, arbeitet hochmoderne Dieseltechnik

Stuttgart, 3. August 2009 – Mein Fehler war es zu erwähnen, dass ich als Student Mitte der 1980er einen Mercedes 190 D nach Italien überführt hatte – klar, wer jetzt berichten muss. In Italien war man seinerzeit ganz heiß auf den Baby-Benz mit Dieselmotor, dabei hatte die Ära der Direkteinspritzer noch nicht einmal begonnen. Aber es gab eben auch keine Alternativen – das Segment der komfortablen Diesellimousinen hatte Daimler damals fest im Griff. In diesem Fall war das Objekt der Begierde übrigens ein 190 D 2.5 mit stolzen 90 PS, das war schon was zu dieser Zeit – zumindest für einen Diesel. Der Laufruhe kam zu dieser Zeit noch eine Vorkammer-Einspritzung zugute, außerdem erstmals eine fast vollständige Motorkapselung. So ließ es sich zügig und souverän reisen, untermalt von wohligem Dieselgrummeln aus fünf Zylindern.

Schrulliges Einzelstück
Der Mercedes 190 D BlueEfficiency der Neuzeit kann freilich fast alles besser. Leider gibt es von ihm nur ein Exemplar. Bei Mercedes erzählt man, die Idee zu diesem urigen Experimentalfahrzeug sei bei einer abendlichen Diskussion über die enorme Entwicklung der Diesel­motorentechnik entstanden. Man fragte sich demnach, wie man diesen Fortschritt erlebbar machen könnte, isoliert von den Entwicklungen in anderen Fahrzeugbereichen. Vor allem im Bereich der Fahr­zeug­elektronik hat es bekanntlich in den letzten 30 Jahren gewaltige Entwicklungen gegeben. So machte sich also ein kleines Team von Spezialisten an das ziemlich komplizierte Werk, einen modernen Common-Rail-Dieselmotor OM 651 mit 204 PS in den seligen Baby-Benz einzubauen.

Ungewöhnliche Hochzeit
Wenn man Peter Lehmann und seine Mannschaft vor ihrem Benz-Baby stehen sieht, wirkt es so. als ob sie bei diesem Projekt eine Menge Spaß hatten. Dabei war der Einbau eines der derzeit modernsten Dieselmotoren alles andere als trivial. Zunächst einmal brauchte man einen 190er, der mit der ungewohnten Leistung zurechtkommt, von den viel höheren Drehmomenten ganz abgesehen. Man fand schließlich einen 190 E 2.6 Typ W201 von 1992, der für sein Alter erstaunlich gut erhalten war. Der Sechszylinder-Benziner dieses Modells wiegt ähnlich viel wie der moderne OM 651, sodass beim Einbau die Balance des Fahrzeugs nicht allzu sehr durcheinander gerät.

Probefahrt im Mercedes 190 D Blue Efficiency

Ein bisschen gedengelt und gesägt werden musste dennoch, wie man sich bereits beim Blick in den Motorraum vorstellen kann. In Summe mit sämtlichen Nebenaggregaten, die sich heutzutage in einem Motorraum versammeln, füllt der OM 651 das vorgesehene Abteil im 190er bis in den letzten Winkel aus. Da bleibt nicht viel Spielraum: Die Lenkung drohte mit der Ölwanne des neuen Motors zu kollidieren, es musste eine neue her – ein Exemplar vom Mercedes Sprinter passte. Für das aktuelle Sechsgang-Getriebe musste der Getriebetunnel geweitet werden, ein passendes Hinterachsdifferential fand sich beim Vorgänger der aktuellen C-Klasse, dem W203.

Vernetzte Kommunikation
So weit klingt alles noch nach routinierter Teamarbeit in Nachbars Garage. Als richtig kompliziert erwies sich aber, dass moderne Antriebe einen regen Informationsaustausch mit dem Rest des Autos pflegen. Diese Form der vernetzten Kommunikation beherrschte der 190er noch nicht. Im modernen Nachfahren C-Klasse kommunizieren ständig über ein Dutzend Steuergeräte miteinander, um ihre Aufgaben aufeinander abzustimmen – in höheren Fahrzeugklassen sind es zum Teil noch weit mehr.

Eine Antriebsschlupfregelung beispielsweise, bei der durch Eingriff in das Motormanagement Schlupf der Antriebsräder vermieden werden soll, erfordert natürlich, dass der Motor darüber Bescheid weiß, was die ABS-Sensoren zu vermelden haben. Und wenn dem OM 651 die Informationslage zu dünne ist, lässt er sich gar nicht erst starten: Das elektronische Zündschloss ist unter anderem das Bindeglied zwischen Motor-CAN-Bus und Innenraum-CAN-Bus. CAN steht übrigens für Controller Area Network und ist bis heute eines der zentralen Bussysteme [1] im Auto. Leider gab es beim 190er noch keinen CAN-Bus.

Elektronische Notlügen
So reichte klassisches „Handanlegen“ dann doch nicht aus und man musste sich moderner Steuerungstechnik bedienen (die es damals ebenfalls noch nicht gab), um den OM 651 an sein altes neues Umfeld zu gewöhnen. Ein dicker „Elektronikkasten“ im Kofferraum gaukelt ihm im 190er zunächst vor, dass er sich auf einem Prüfstand befinden würde. So lässt sich der Motor schon mal klaglos starten. In Bewegung setzen wollte er sich aber nur, wenn er ordnungsgemäße Status­meldungen vom ABS erhält. So werden nun die ABS-Signale kurzerhand simuliert, elektronische Tricks im Dienste eines ungewöhnlichen Erlebnisses.

Probefahrt im Mercedes 190 D Blue Efficiency

Denn mit dem modernen Dieselmotor überrascht der ehemalige 190 E 2.6 in zweierlei Hinsicht. Zum einen sind 500 Nm Drehmoment und 204 PS natürlich ein ganz anderer Kaliber als die 228 Nm und 166 PS des Sechszylinder-Benziners im Urzustand – und erst recht im Vergleich zum damaligen Basis-Diesel OM 601. Zudem braucht der „190 D BlueEfficiency“ im NEFZ nur 4,9 Liter Diesel auf 100 Kilometer, der OM 601 von 1988 mit sagenhaften 72 PS genehmigte sich noch 7,3 Liter. Diese Werte zeigen in der Tat, welch gewaltige Fortschritte [2] die Dieselmotorentechnik gemacht hat.

Live-Programm
Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, mit dem Frisch­zellen-190er mitzufahren, lieber hätte ich natürlich selber am Steuer gesessen. Und diese Mitfahrt brachte die zweite Überraschung: Trotz der weggefallenen Kapselung, für die offenkundig kein Platz mehr war, und trotz des Prototypenzustands ist der OM 651 im 190er keineswegs sonderlich laut oder rappelig. Natürlich zieht er ab wie aufgeschreckt von Nachbars Lumpi, bleibt aber kultiviert, sogar mit einem leicht heiseren Unterton, den man so einem Diesel gar nicht zutrauen würde.

Auch das Fahrwerk wirkt zeitgemäß, wenn auch vielleicht einen Hauch gemütlicher als heutzutage gewohnt – trotz der Sport-Abstimmung, die man vom 190 E 2.6 übernehmen konnte. Störend, sofern man bei dieser originellen Reise durch die jüngere Technikgeschichte überhaupt davon reden will, waren allenfalls zwei Dinge: Die Lastwechsel im Antriebsstrang sind offensichtlich nur mit sehr feinfühligem Fuß zu beherrschen, was sich mit einer Feinabstimmung der Motorsteuerung sicherlich noch abfangen ließe. Und dann mieft es im ehemaligen 190 E 2.6 doch arg, wie es halt so kommt, wenn Zigarettenrauch und sonstige Düfte im Laufe eines Autolebens langsam den Platz der Weichmacher einnehmen. Doch daran stört sich das Umbau-Team nicht, schließlich erinnert so auch der Duft daran, welche Zeitspanne das Team mit dem 190 D Blue Efficiency“ überbrückt hat.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-502222

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-erforscht-Bordnetz-mit-Internet-Protokoll-466769.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Diesel-unter-Hochdruck-448085.html