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Jungbrunnen

Reportage: Mercedes Classic Center Fellbach

Autos Stefan Grundhoff
Im Mercedes Classic Center Fellbach

Im Mercedes Classic Center werden alle je gebauten Mercedes- und Daimler-Modelle betreut, gepflegt, repariert, restauriert und notfalls wieder neu aufgebaut. Wenn man möchte, bekommt man einen viele Jahrzehnte alten Neuwagen

Das Herannahen der Mille Miglia ist für die Mitarbeiter des Mercedes Classic Center in Fellbach immer deutlich spürbar. Jedes Jahr verdichtet sich bis zum Starttermin der Rallye Ende Mai ihr Arbeitspensum. Schließlich lassen viele Teilnehmer an der historischen Rallye zum Saisonhöhepunkt ihre Flügeltürer und Vorkriegsmodelle noch einmal technisch auf den neuesten Stand bringen. 1700 Kilometer im erhöhten Tempo durch die Nordhälfte Italiens sind für die Fahrzeuge keine Wochenendausfahrt und bei der „Mille” will jeder glänzen – optisch wie technisch.

Doch ist das Classic Center natürlich nicht primär eine historische Rennabteilung. Hier werden alle je gebauten Mercedes- und Daimler-Modelle betreut, gepflegt, repariert, restauriert und notfalls wieder neu aufgebaut. Die Hebebühnen in der Werkstatt sind allesamt belegt und Platz scheint in der Halle überhaupt Mangelware zu sein. Gerade ziehen zwei Mitarbeiter auf einer portablen Bühne eine Pagode in die hintere Ecke. Der schwarze 230 SL ist fertig und kann abgeholt werden.

Waren es vor Jahren in erster Linie Eigentümer von Legenden wie Mercedes 300 SL, 600er oder der seltenen Vorkriegsmodelle wie SS oder SSK, die ihre Schmuckstücke in Fellbach warten ließen, so nimmt heute die Zahl jüngerer SL und S zu. „Die Pagoden sind stark im Kommen“, sagt der Leiter des Classic Centers Klaus Reichert, „hier gibt es mittlerweile auch eine größere Nachfrage nach Werksrestaurierungen wie allgemein bei den SL. Viele kaufen auf dem freien Markt vermeintlich gut erhaltene Modelle und erschrecken hinterher, wenn sie von uns eine ehrliche Meinung bekommen.“ Im schlimmsten Fall kommt der neue Eigentümer um eine Werksrestaurierung nicht herum.

Werksrestaurierung im Wert eines Eigenheims

Doch einige Daimler-Fans wollen ihrem Liebling nach Jahrzehnten auch etwas Gutes tun und investieren deshalb in eine Restaurierung. Die kostet viel Zeit und jede Menge Geld. „Eine komplette Werksrestaurierung kostet rund 500.000 Euro und dauert zwei Jahre, ein Flügeltürer schnell sogar 650.000 Euro“, erklärt Projektleiter Andreas Häberle, „man könnte das auch in etwas mehr als einem Jahr durchboxen, aber wenn es perfekt sein soll, braucht es mit Rohkarosse und allem Drum und Dran eben einfach seine Zeit.“

Die haben die Eigentümer des ungewöhnlichen Mercedes 450 SEL in auffallend kräftigem Mittelblaumetallic anscheinend. Der Wagen aus dem diplomatischen Dienst in Frankreich, der auf dem freien Oldtimermarkt kaum mehr als 10.000 bis 15.000 Euro bringen dürfte, wird in den nächsten zwei Jahren in Fellbach auf Neuzustand gebracht. „Das ist ein eher ungewöhnliches Projekt“, räumt Klaus Reichert ein, „aber seine Eigentümer haben oft Fahrzeuge bei uns und wollen den W 116 eben wieder wie neu haben.“ Noch steht das mittelblaue Fahrzeug mit französischem Kennzeichen im Vorraum der Werkstatt.

Nebenan parken 300 SL Roadster, Luxuscabrios der Baureihe W 111 und ein spektakulär gut erhaltener Mercedes 600 der Baureihe W 100. Die deutsche Staatslimousine wurde 1979 für Mercedes-Benz gebaut und bis heute nie zugelassen. In den ersten zwei Jahren nutzte Mercedes-Benz diesen 600 als Chauffeurlimousine für Veranstaltungen und bewegte es dabei ausschließlich mit militärischen Sonderkennzeichen. 1981 verkaufte Mercedes-Benz das Fahrzeug an einen ihrer besten Kunden, einen Autohändler in der Nähe von Stuttgart. Der Eigentümer des Autohauses kaufte das Fahrzeug mit 54.500 km und stellte es in seinem eigenen Showroom.

„Die Kunden haben sich im Laufe der Jahre durchaus geändert“ erklärt Reichert, „Originalität geht heute über alles. Das war nicht immer so.“ Auch wenn Pagoden vom Typ W 113 oder der klassische 107er mittlerweile in Wert und Arbeitsnachfrage im Fellbacher Classic Center steigen – das Gros machen nach wie vor Luxusmodelle wie der Flügeltürer oder die Staatslimousine W 100 aus. „Ein Mercedes 600 ist technisch durchaus kompliziert“, sagt der Klassiker-Experte Andreas Häberle, „das ist bekannt. Die meisten kommen daher gleich zu uns. Genau wie beim 300 SL.“ Nebenbei weist er darauf hin, dass die Staatslimousine, bis 1991 auch Repräsentationsfahrzeug der deutschen Bundesregierung, gemessen an Technik und Exklusivität, auf dem freien Markt nach wie vor zu günstig sei. Der schwarze 600er des Mercedes Museums, der aktuell zum Verkauf steht, kostet knapp 550.000 Euro.

Generell spürt auch das Stuttgarter Classic Center einen Trend, der auf Versteigerungen und Oldtimerevents auf der ganzen Welt zu sehen ist. „Die Nachfrage nach Vorkriegsmodellen geht eindeutig zurück“, so Klassik-Chef Klaus Reichert. „das merken auch wir.“ Doch wenn einmal ein Modell wie der Daimler 1910 zu Besuch in die Werkstatt kommt, ist die ohnehin abwechslungsreiche Arbeit der Spezialisten noch etwas spannender als sonst. Das Luxusmodell aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts mit Lederkotflügeln bietet den Fondpassagieren ungewöhnlichen Luxus: Auf Wunsch erwärmt ein Abgasrohrsystem den hinteren Fußraum.

Teile in Wiederauflage

Ob es für den seltenen Daimler 1910 noch Ersatzteile gibt, darf bezweifelt werden, doch sonst gibt es fast nichts, das nicht besorgt werden kann. „In unserem Teilecenter in Germersheim gibt es 52.000 Ersatzteile – unzählige davon nur für die Klassiker“, sagt Andreas Häberle. Teile, die nicht mehr verfügbar sind, können in Originalqualität nachproduziert werden. Schwerpunkt bei Nachfertigungen und Wiederauflagen sind dabei zumeist sicherheits- und fahrrelevante Teile. Wenn möglich, übernimmt der ursprüngliche Serienlieferant die erneute Produktion, alternativ stehen jedoch mehr als 150 Zulieferer bereit.

Die Traumwagen sollen schließlich funktionstüchtig erhalten werden. „Denn vom Rumstehen wird kein Auto besser – die Wagen müssen bewegt werden“, gibt Reichert zu bedenken. Dazu passt ja, dass bald wieder Mille Miglia ist.


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