zurück zum Artikel

Schnelles Laden von Elektroautos mit 120 kW

Leistungszuwachs

Technik Christoph M. Schwarzer
Elektroautos, alternative Antriebe

Tesla Motors ist die Messlatte beim schnellen Gleichstromladen: In 75 Minuten ist die 85 kWh fassende Batterie des Model S komplett gefüllt. Je nach Temperatur des Akkus können zu Beginn 280 Ampere Stromstärke und mehr anliegen. Das entspricht Leistungen von bis zu 135 kW. Andere bieten bisher maximal 50 kW. Aber jetzt wird nachgezogen. Die Geschwindigkeit wächst.

Hamburg, 17. März 2015 – Tesla Motors ist die Messlatte beim schnellen Gleichstromladen: In 75 Minuten ist die 85 kWh fassende Batterie des Model S komplett gefüllt. An jedem der über 30 so genannten Supercharger, die entlang der deutschen Autobahnen errichtet wurden, können die Fahrer den Ladevorgang auf dem zentralen Screen live verfolgen: Je nach Temperatur des Akkus können zu Beginn 280 Ampere Stromstärke und mehr anliegen. Tendenz fallend, den das Tanken von Batterie-elektrischen Autos ist nicht linear. Stück für Stück sinken die Werte über 217 oder 166 Ampere weiter auf 108 und noch weniger. Das entspricht Leistungen von bis zu 135 kW. Zum Vergleich: Der japanische Chademo- und der deutsche CCS-Standard arbeiten bisher mit maximal 50 kW. Aber jetzt wird nachgezogen. Die Geschwindigkeit wächst.

Eine steigende Ladeleistung ist wichtig, weil sie ähnlich wertvoll wie eine wachsende Batteriekapazität ist: In der Elektroauto-Szene wird viel darüber diskutiert, ob jedes Fahrzeug zwangsläufig das größtmögliche Akku-Paket braucht. Es könnte ausreichen, ein für den Alltag in der Golf-Klasse sinnvolles Mittelmaß von in naher Zukunft 30 bis 50 kWh zu kaufen. Schließlich muss es energieintensiv produziert und permanent transportiert werden. Falls das Fahrtziel dann mal weiter entfernt liegt, gleichen Schnellladesäulen den scheinbaren Speichermangel aus. Darauf wiederum müssen Infrastruktur und Elektroauto ausgerichtet sein.

Offiziell hört man wenig zum Wachstum der Ladeleistung. Die Autobauer und deren Zulieferer hüllen sich in Schweigen. Hinter vorgehaltener Hand ist dennoch längst die Rede von 100, 150 und noch mehr Kilowatt für den japanischen Chademo- und den deutschen CCS-Standard.

100 kW Ladeleistung

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Kia mit dem Soul EV [1] ein Auto vorgestellt, das 100 kW Ladeleistung ermöglicht und damit näher an die Benchmark von Tesla heranrückt. Das Chademo-Protokoll und die Hardware geben das bereits her; nur wurde das Potenzial bisher nicht voll genutzt.

Ein weiterer wichtiger Hinweis auf mehr Bums an der Stromtanke liefert das Hamburger Unternehmen e8energy mit dem Produkt @express. Das ist ein neuer und ab Juni lieferbarer Multilader: Zeitgleich können drei Batterie-elektrische Autos versorgt werden; eins nach dem japanischen Chademo-, eins nach dem deutschen CCS-, und eins nach dem Typ 2-Wechselstrom-Standard. Die Summe der beiden Gleichstrom-Systeme Chademo und CCS liegt bei 120 kW; rechnet man noch die AC-Versorgung hinzu, ergeben sich sogar nominal 180 kW.

Hierbei kann @express frei modulieren: wenn nur eine der beiden Gleichstrom-Säulen besetzt ist, kann die volle Leistung von bis zu 120 kW fließen. Sind beide in Gebrauch, nutzt man am Multicharger von e8energy das Prinzip des eingangs beschriebenen Absinkens der Geschwindigkeit: Es ist unwahrscheinlich, dass zwei weitgehend entleerte Batterie-elektrische Fahrzeuge exakt in der gleichen Sekunde mit dem Laden anfangen. Dann hätte tatsächlich jedes Auto maximal 60 kW zur Verfügung. Weil das aber selten der Fall ist, können die 120 kW DC-Gesamtleistung bestmöglich hin und her verteilt werden.

Der Vorteil dieses Prinzips ist die Möglichkeit, den @express [2] ans gewöhnliche Niederspannungsnetz anzuschließen. Die Basisversion mit lediglich 60 kW (zwei Mal 20 kW für Chademo und CCS, ein Mal 20 kW für Typ 2) benötigt eine im Gewerbebereich übliche 128 Ampere-Leitung; für die große Variante sind 256 Ampere notwendig. Was nach einer Sparlösung klingt, ist im guten Sinn auch eine: Mit circa 60.000 Euro netto ist der Multicharger relativ günstig oder, wie e8energy es formuliert, ein „realitätsnaher Baustein“ für Autohöfe, Raststätten und andere Knotenpunkte.

Energiewende verursacht geringe Infrastrukturkosten

Was ein Supercharger bei Tesla kostet, ist nicht bekannt. Je nach Interessenlage – also Lobbyist der kalifornischen Marke oder Konkurrent – werden Preise zwischen 250.000 und über 500.000 Euro genannt. Die Supercharger sind auf das Mittelspannungsnetz angewiesen, wenn die volle Ladeleistung tatsächlich anliegen soll, dazu ist ein anständiger Trafo notwendig, und meistens müssen Erdarbeiten ausgeführt werden. Die Supercharger sind eben die Luxuslösung für ein Premiumprodukt.

Branchenkenner gehen davon aus, dass für die vorerst geplanten 50 Stationen in Deutschland etwa 15 Millionen Euro investiert werden müssen; dazu kommen geschätzte fünf Millionen Euro pro Jahr an Unterhalts- und Stromkosten, denn die elektrische Energie ist zwar für die Besitzer des Model S, nicht aber fürs Unternehmen umsonst.

Viel Geld? Nein. In Deutschland werden zurzeit rund 70 Milliarden Euro per anno für Diesel und Benzin ausgegeben; mehr als die Hälfte davon ist Steuerlast. Wenn hier über mehrere Jahre verteilt eine, drei oder zehn Milliarden Euro für Stromlade-, Wasserstoff- oder Erdgassäulen investiert werden, ist das eine letztlich lächerliche Summe, um eine zukunftsfähige Mobilität zu gewährleisten.

Die Vision der Autohersteller ist klar: Sie möchten möglichst wenig Leistungselektronik im Fahrzeug haben und diese auf die Infrastrukturseite verschieben. Am liebsten wäre es der Industrie wahrscheinlich, wenn grundsätzlich mit Gleichstrom geladen werden würde – auch zu Hause, wo das zwar technisch schon heute machbar, aber noch viel zu teuer ist.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2577756

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Kia-Soul-EV-im-Fahrbericht-2408592.html
[2] http://www.e8energy.de/portfolio-item/dc-schnellladestation-express/